1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Nacktrodeln in Cochstedt: Nacktrodeln in Cochstedt: "Mädels gute Laune und Bier"

Nacktrodeln in Cochstedt Nacktrodeln in Cochstedt: "Mädels gute Laune und Bier"

Von Katrin Löwe 16.02.2014, 21:26
Gruppenbild mit viel aufgemalter Werbung für den Veranstalter und einem Besucher, der kurz vor knapp noch ins Teilnehmerfeld gelost wurde. Knapp 100 Journalisten aus fünf Ländern berichteten über das Spektakel.
Gruppenbild mit viel aufgemalter Werbung für den Veranstalter und einem Besucher, der kurz vor knapp noch ins Teilnehmerfeld gelost wurde. Knapp 100 Journalisten aus fünf Ländern berichteten über das Spektakel. Andreas Stedtler Lizenz

Cochstedt/MZ - Im Internet ätzen die ersten. Endlich habe das 60-Millionen-Steuergrab seine wahre Bestimmung gefunden - auch wenn man eine Rodelpiste billiger hätte haben können. So viel zumindest steht fest: Würde nur ein Bruchteil der Besucher des Nacktrodelns am Samstag zum Fliegen da sein, der Flughafen Cochstedt (Salzlandkreis) könnte sich glücklich schätzen. Hat doch mit Ryanair die einzige Linie ihren Flugbetrieb auf dem Airport eingestellt, in den das Land vor dem Verkauf besagte 60?Millionen investiert hatte.

An Politik und wirtschaftliche Aussichten dürfte bei frühlingshaften 13 Grad aber kaum einer der 8.000 Besucher einen Gedanken verschwendet haben. „Die Leute haben Lust auf Party“, sagt André Gierke vom veranstaltenden Radiosender 89.0 RTL. Sie hätten Lust auf den „Bonus“ nackter Oberkörper - und einige darauf, „einmal im Leben etwas Verrücktes zu tun“, so Gierke. Es ist diese Mischung, die aus dem Nacktrodeln ein Ereignis gemacht hat, das seit 2009 im niedersächsischen Braunlage immer mehr Besucher anlockte. Zuletzt waren es mit 25.000 so viele, dass der frivole Partyspaß logistisch nicht mehr zu händeln war. In Cochstedt ist er das wieder, dank großer Parkflächen, einer extra aufgebauten Rampe und knapp 100 Tonnen künstlichen Schnees.

Das Zielpublikum - vor allem junge Leute zwischen 16 und 35 - folgt. Was ihn hertreibt? „Die Mädels, gute Laune und das hier“, sagt ein Besucher mit Blick auf seinen Bierbecher, bevor er süffisant bemerkt, dass auffallend viele Männer da seien. Annika und Jan-Hendrik sind mit einem Party-Bus aus Hameln (Niedersachsen) gekommen. Es sei die größte Schnee-Party im Umkreis, sagen sie. „Gerade, weil sie so gaga ist, ist sie schon wieder interessant.“ Andere finden da schon längst in promilleseeliger Stimmung mehr oder minder derbe Synonyme für die weiblichen Körperteile, die sie locken.

Für Prüderie ist kein Platz

Zu sehen gibt es davon einige, für Prüderie ist kein Platz bei dieser Sause. Mag ja sein, dass in der jüngsten Sexualstudie der Hochschule Merseburg 53 Prozent der Jugendlichen Nacktbaden kategorisch ablehnten und immer weniger ihre Eltern schon nackt gesehen hatten. Da bleibt dennoch Potenzial für Partys: 2000 Anmeldungen sind für das Nacktrodeln eingegangen, so Gierke. 18 Frauen und 26 Männer dürfen mitmachen, als es - nur mit knappem Höschen und Helm bedeckt - auf Luftkissen die 50-Meter-Rampe in Richtung der johlenden Menge hinabgeht.

Da gibt es zum Beispiel die „gesetzten“ Starter mit Promi-Status, welchem Buchstaben man dem auch immer voransetzen mag: Ex-Porno-Star Mia Julia, Mister Germany Oliver Sanne oder aber Erotik-Model und neueste Dschungel-Queen Melanie Müller. Sie war schon beim TV-Quotenhit für nackte Tatsachen bekannt.

Da gibt es aber auch Kosmetik-Azubi Franzi Stuhr aus Bad Harzburg, die zwar kein FKK mag, aber auf der Rampe Mut und Selbstbewusstsein zeigen will, wie sie sagt. „Es ist ja nicht alltäglich, dass man vor so vielen Menschen seinen Körper präsentiert.“ Da sind Teilnehmer wie Vivien Breithaupt, die mit ihrem Fußball-EM-Tipp vor zwei Jahren falsch lag und nun eine Wettschuld einlöst. Oder Auslieferungsfahrer Marcel Rohde (31) aus Halberstadt, der seiner Frau zeigen will, dass er kein Weichei ist. Früher gab es durchaus andere Mutproben.

Und nicht zuletzt sind da „Exoten“ wie Sylvia Fleischer aus Tangerhütte, mit ihren 50 Jahren weit über dem Altersschnitt der Teilnehmer von knapp 26. Seit ihr Enkel vor einem Jahr bei einem Unfall schwer verletzt wurde, habe sie eine andere Einstellung zum Leben, erzählt die Verkäuferin. „Man muss es genießen“, sagt sie - prüde sei sie als „Kind der DDR“, in der FKK Standard war, nie gewesen.

„Kasperkram für zugedröhnte Ballermanntouristen“

Doch so viel Gaudi Teilnehmer wie Besucher in Cochstedt auch haben: Unumstritten sind Spaßgesellschafts-Events wie diese nicht. Von Kritikern im Netz als „Kasperkram für zugedröhnte Ballermanntouristen“ betitelt, haben sie schon für Verstimmung im Erzgebirge gesorgt. Als ein Gastronom 2010 in Oberwiesenthal ein Nacktrodeln veranstalten wollte, vermissten die Stadtoberen Niveau. Eine kommunale Tochterfirma, auf deren Gelände der Wettbewerb starten sollte, lehnte ab - „aus imageschädigenden und moralischen Gründen“, wie Medien damals zitierten. Inzwischen veranstaltet ein sächsischer Radiosender in Altenberg ein Nacktrodeln.

Auch sein Sender ist laut Gierke vor dem Auftakt 2009 bei fünf, sechs Kommunen auf Skepsis gestoßen. In Braunlage nicht. Der Harz kämpft gegen sein Image als Senioren-Destination. Noch 2012 freute sich der Bürgermeister über viele junge Leute, „die sonst nie in den Oberharz gekommen wären“ und nun Gastronomen und Hotels einen satten Umsatz bescherten. In Cochstedt kamen 2.000 weniger als erwartet - unter ihnen auch die 66-jährige Monika und ihr 76-jähriger Partner aus Magdeburg, die „Melanies Brüste mal im Original sehen wollten“, wie sie sagen.

Wo sie doch extra angerufen hatten, damit die wirklich Dschungelkönigin wird. Für den Nacktrodel-Weltmeistertitel reichte es für die 25-Jährige nicht. Den holte Altenpflegerin Anika Lengsfeld aus Burg, blond, tätowiert, gepierct, „1,65 Meter geballter Sex“, so die Moderatoren. Sie hat im Vorfeld auch den „Blond nicht gleich blöd“-Test (original Moderation) bestanden. Die Frage? Wie heißt der höchste Berg am Brocken?

Die Massen stehen dicht gedrängt vor der Rampe, auf der die Nacktrodler ins Ziel rutschen. 8.000 Besucher kamen nach Cochstedt.
Die Massen stehen dicht gedrängt vor der Rampe, auf der die Nacktrodler ins Ziel rutschen. 8.000 Besucher kamen nach Cochstedt.
Andreas Stedtler Lizenz
Anika Lengsfeld (l.) und Maurice Berg jubeln nach ihrem Sieg bei der Nacktrodel-WM auf dem Airport Magdeburg/Cochstedt.
Anika Lengsfeld (l.) und Maurice Berg jubeln nach ihrem Sieg bei der Nacktrodel-WM auf dem Airport Magdeburg/Cochstedt.
dpa Lizenz