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Nach Hochwasser in Merseburg Nach Hochwasser in Merseburg: Anwohner beteiligen sich finanziell am Deichbau

Von Dirk Skrzypczak 22.10.2013, 07:06
Olaf Necke, Partnerin Uta Stötzner und Sohn Jan wohnen direkt an der Straße, ihr Grundstück reicht bis an die Saale. Um vor Hochwasser geschützt zu sein, beteiligen sie sich finanziell am Bau einer Schutzanlage.
Olaf Necke, Partnerin Uta Stötzner und Sohn Jan wohnen direkt an der Straße, ihr Grundstück reicht bis an die Saale. Um vor Hochwasser geschützt zu sein, beteiligen sie sich finanziell am Bau einer Schutzanlage. Peter Lisker Lizenz

Merseburg/MZ - Sanft steigt Dampf von der Saale auf, die sich träge in ihrem Bett wälzt. „Dieses Fleckchen Erde ist doch eigentlich ein Paradies“, sagt Uta Stötzner, die mit ihrem Partner Olaf Necke und Sohn Jan in der Merseburger Werderstraße direkt am Fluss wohnt, der sich hier am Eingang zur Stadt noch seinen Weg durch die Aue bahnt. Doch die Idylle trügt. Viermal hat der Strom seit 1994 seine Urgewalten entfesselt, 20 Privatgrundstücke überschwemmt - das letzte Mal mit einem Rekordhochwasser im Juni dieses Jahres. „Ich möchte endlich nicht mehr in Angst vor der Saale leben müssen“, sagt Uta Stötzner, die mit ihrer Familie nach wie vor mit den Folgen der Flut kämpft. Ein Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt soll den Südosten Merseburgs nun Schutz vor künftigen Überflutungen bringen.

Hochwasserschutzanlage für rund 1,07 Millionen Euro

Geplant ist der Bau einer Hochwasserschutzanlage für rund 1,07 Millionen Euro - finanziert zu 80 Prozent durch das Land. Den Rest der Summe trägt die Stadt, die wiederum die Grundstücksbesitzer in der Werder- und der Krautstraße auf freiwilliger Basis an den Kosten beteiligt. Das gab es in Sachsen-Anhalt in dieser Form noch nie. Für bebautes Land schießen die Eigentümer einen Euro pro Quadratmeter zu, für unbebaute Flächen 50 Cent. 43 000 Euro kommen so zusammen, die in den städtischen Finanzanteil einfließen. „Es hat viele Gespräche mit den Anwohnern gegeben. Und sicher wurde hier und da auch kontrovers diskutiert. Letztlich haben sich alle der Idee angeschlossen“, erzählt Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU).

Dass die Grundstückeigentümer auch finanziell Verantwortung übernehmen, findet Bühligen in diesem Fall richtig. „Durch den Hochwasserschutz tragen wir zum Werterhalt des privaten Eigentums in diesem Stadtteil bei. Die Menschen, die hier wohnen, müssen daran ein Eigeninteresse haben.“ Sachsen-Anhalts Landwirtschafts- und Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) sieht es ähnlich. „Diese Verfahrensweise ist ein sinnvoller Weg. Jeder, der von Hochwasser betroffen sein kann, ist verpflichtet, eine geeignete Vorsorge zu treffen, soweit das möglich und zumutbar ist.“ Ob das Modell Schule machen kann, sagt der Minister aber nicht.

Die Investitionen in den Hochwasserschutz sind im vergangenen Jahr der Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt gewesen. Nach Angaben des Landesbetriebs für Hochwasserschutz (LHW) wurden seit dem verheerenden Elbehochwasser 2002 mit der Förderung von Bund und der Europäischen Union 487 Millionen Euro in den Bau von neuen Schutzanlagen oder die Ertüchtigung von alten Deichen geflossen. Der Schwerpunkt lag dabei klar auf der Elbe. So wurden für den Bau oder die Modernisierung von Anlagen im Flussbereich Merseburg (Saalekreis, Halle und Teile vom Burgenlandkreis) lediglich 34,5 Millionen Euro vornehmlich an Saale und Weißer Elster ausgegeben.

Aktuell arbeitet der Landesbetrieb an einem Vorhersagemodell, um künftige Saalefluten besser einordnen zu können - was vor allem dem Katastrophenschutz dienen soll. „Auch wir wurden von der extremen Situation an Saale und Weißer Elster überrascht. Das geben wir selbstkritisch zu“, sagt Frank Friedrich vom Landesbetrieb. 33 Trupps hätten noch während der Flut im Juni den Scheitel des Saalehochwassers verfolgt und die höchsten Marken gemessen. Mehr als 4 000 Daten müssen ausgewertet werden. Ende des Jahres sollen die Modelle vorliegen. Dann könne man bei Katastrophen die Abflüsse simulieren, Folgen berechnen und Überschwemmungsgebiete neu festlegen.

Allein 20 Millionen Euro muss das Land für die Reparatur von den vier größten Deichbrüchen aufbringen: bei Fischbeck und Breitenhagen/Groß Rosenburg an der Elbe sowie Hemsendorf und Klossa (Kreis Wittenberg) an der Schwarzen Elster. Das teilte das Magdeburger Landwirtschaftsministerium mit. Der auf fast sieben Kilometern Länge beschädigte Deich bei Fischbeck ist mit einer Spundwand zunächst provisorisch geschlossen worden, ab April 2014 soll dort gebaut werden. Im Deichabschnitt Breitenhagen/Groß Rosenburg liefen ohnehin Sanierungen. Der Deich soll dort Ende November wieder komplett sein. Die Deiche an der Schwarzen Elster werden seit 2010 DIN-gerecht verstärkt - die inzwischen gesicherten Bruchstellen lagen in noch nicht ausgebauten Bereichen.

Knackpunkt ist im Fall von Merseburg die Einstufung der etwa 53 000 Quadratmeter großen Fläche. Sie gilt als Überschwemmungsgebiet. „Diese Flächen dienen in ihrer natürlichen Funktion als Rückhalt bei Hochwasser“, heißt es aus dem Umwelt- und Agrarministerium in Magdeburg. Der neue Deich indes würde diese Schutzfunktion nicht beeinträchtigen, das ist bei der Planung überprüft worden. Die verbleibende Überflutungsfläche bleibe groß genug, ergab die Expertise.

Land muss nicht Wohnbebauung in Überschwemmungsgebieten schützen

Das Land sei nicht verpflichtet, eine Wohnbebauung in Überschwemmungsgebieten zu schützen, so das Ministerium. Da sich aber die Stadt beteilige, werde man das Vorhaben unterstützen - so wie beim Hochwasserschutz in Biederitz. Nur dass dort Anwohner nicht zur Kasse gebeten werden wie in Merseburg.

„Wir haben doch gar keine Wahl, als mitzumachen“, sagt Olaf Necke. Das 5 200 Quadratmeter große Grundstück mit dem Wohnhaus und den Nebengebäuden hat er von seinen Eltern übernommen. Die hatten gelernt, mit dem Hochwasser zu leben. Das aber soll früher längst nicht so extrem ausgefallen sein. „1988 stand das Wasser das erste Mal im Garten, 1994 dann einen Meter hoch im Haus“, schildert der 51 Jahre alte Juwelier, der in Bad Lauchstädt ein Uhren- und Schmuckgeschäft führt.

Als 2002 die Saale wieder ausbrach und immense Schäden hinterließ, hatte die Versicherung die Police gekündigt. Necke baute sich daraufhin seinen eigenen Damm, dazu eine massive Betonmauer. Denn wenn das Wasser kommt, dann gleich von drei Seiten. „2011 konnten wir das Haus halten, aber in diesem Juni waren wir wieder chancenlos“, erzählt er.

Mehr als 90 000 Euro an Schäden haben Gutachter ausgerechnet. Bevor die Mauern trocken sind, werden wohl noch Monate vergehen. Die Fluthilfe des Landes, die die Familie beantragt hat, lindert die Not. „Vier Flutkatastrophen in zwei Jahrzehnten. So kann es nicht weitergehen“, sagt Olaf Necke. Er wolle nicht mehr den Schlamm aus einem Haus schippen und von vorn beginnen.

Das Saalehochwasser bedroht indes nicht nur die Häuser an der Werderstraße, sondern auch den historischen Stadtteil Neumarkt. „Wir hätten ohnehin in den Hochwasserschutz investieren müssen. Nur wäre die Variante kleiner ausgefallen“, sagt Frank Friedrich, Sachbereichsleiter im Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft. So sollte die Bundesstraße 181 zu einem Damm ausgebaut werden. Der Neumarkt wäre dann sicherer, alle Grundstücke südlich davon aber der Flut ausgeliefert gewesen. „Und genau dieses Szenario wollten wir vermeiden“, sagt Bühligen.

Wie die Stadt reagiert hätte, wenn einzelne Grundstückseigentümer gegen den Finanzierungsplan auf die Barrikade gegangen wären, kann der Oberbürgermeister nicht sagen. „Dann hätten wir eine Lösung finden müssen.“ Oder es wäre bei der ursprünglichen Planung geblieben

Baubeginn für 2014 geplant

Soweit ist es nicht gekommen. Schon im nächsten Jahr soll der Bau beginnen. Vorgesehen ist eine Kombination aus Deich, Spundwand und mobilen Elementen. „Es ist der große Vorteil der Merseburger Variante, dass wir uns mit Privatpersonen nicht mehr herumschlagen müssen. Das dürfte das Planverfahren deutlich beschleunigen“, sagt Frank Friedrich vom Landesbetrieb. Die Unterlagen für die Genehmigung des Bauprojektes sind eingereicht, die Entscheidung, ob und wann die Bagger anrollen, fällt das Landesverwaltungsamt in Halle.

Mit der unverbauten Idylle ist es dann für Familie Nocke/Stötzner vorbei. Quer über ihr Grundstück soll dann eine Mauer verlaufen, wie Nocke gehört hat rund 1,50 Meter hoch. „Vor dem Anblick graut es mir schon heute“, sagt Uta Stötzner. Immerhin habe der Landesbetrieb für Hochwasserschutz zugesagt, dass das Bauerwerk optisch gestaltet werden soll. „Früher hätte ich nie zugestimmt“, sagt sie. „Aber seit diesem Sommer ist das anders.“

Im Juni hatte die Saale die Werderstraße überflutet.
Im Juni hatte die Saale die Werderstraße überflutet.
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