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MZ-Serie «Straßengeschichten» MZ-Serie «Straßengeschichten»: Mehr als eine Kneipenmeile

Von Susann Huster 22.08.2006, 19:56

Halle/MZ. - Straßen erzählen Geschichten. Die MZ erzählt die Geschichte von Straßen in Sachsen-Anhalt. Heute geht es um die Kleine Ulrich- straße in Halle.

Sie ist gerade mal 320 Meter lang und gehört zu den lebendigsten Orten der halleschen Altstadt - die Kleine Ulrichstraße. Viele Studenten und Lehrkräfte der nahe gelegenen Universität, Touristen und Einheimische bevölkern die Straße mit ihren oft frisch renovierten Häusern. Wer genügend Zeit mitbringt, kann in Geschäften stöbern, wo man Massenware vergeblich sucht. Anschließend lässt sich bei einem Latte Macchiato in einem der Cafés das bunte Treiben auf der Straße beobachten.

Die Hallenser sind stolz auf ihre "Kleine Uli". Sie ist ein Ort, an dem sich schon seit Jahrhunderten das gesellschaftliche Leben abspielt. Um 1415 wurde sie "Kleine Olrikesstrate" genannt. Wenige Jahre später erwähnten die Chronisten Olearius und Dreyhaupt sie als eine der damals zwölf Straßen Halles und sprachen von der "cleynen Ulrichstraße". Der Name stammt von der Ulrichskirche, die einst am nördlichen Ende der Straße stand.

Im Laufe der Jahrhunderte erlebte dieser Ort Höhen und Tiefen. So vernichteten 1600 und 1645 verheerende Brände große Teile der Straße. Überhaupt verzeichneten die Chronisten für jenes Jahrhundert viel Unheil: In dem öffentlichen Ziehbrunnen in der Straße brachten sich immer wieder Menschen um, Prostituierte töteten dort ihre neu geborenen Kinder. Im Haus Nummer fünf befand sich einst der renommierte Gasthof "Zur preußischen Krone", in dem 1716 die Mätresse Augusts des Starken, Gräfin Anna von Cosel, wohnte. Zu dieser Zeit zählte die Kleine Ulrichstraße zu den verkehrsreichsten der Stadt.

Und noch heute fahren Autos durch die kurze Straße, die eigentlich eine verkehrsberuhigte Zone ist. Etliche Autofahrer halten sich nicht an die Vorschrift - sehr zum Leidwesen vieler Anlieger. Einer von ihnen ist Very Barth, der dort ein Fotostudio betreibt. Er hat die Nase gestrichen voll von den - oft zu schnell - vorbeifahrenden Autos und ist für eine Sperrung der Straße für den Autoverkehr. Sonst aber kommt Barth ins Schwärmen, wenn er von der "Kleinen Uli" spricht. "Das ist eine der interessantesten Straßen Halles - von früh bis nachts."

Er legt ebenso wie einige Häuser weiter Cornelia Weise von der Boutique "Mona Lisa" Wert auf die Feststellung, dass die Straße keine reine Kneipenmeile ist, wie es oft heißt. "Die Gastronomen sind viel später gekommen", sagt Weise, die seit acht Jahren dort ihre Mode für etwas molligere Damen verkauft.

Angela Naumann, die Betreiberin des "Kaffeeschuppens" - einem Irish Pub mit vorwiegend intellektuellem Publikum - spricht von einem ausgewogenen Branchenmix aus Kneipen, Cafés und interessanten Geschäften in ihrer Straße. Sie war mit ihrer Kneipe in Wendezeiten eine der Ersten, die sich hier

ansiedelten. "Viele verbinden mit unserem Laden ihre Geschichte", sagt sie. Studenten von einst wie der Lyriker André Schinkel kämen heute mit ihren Familien in den "Kaffeeschuppen", der 1989 noch ein Independent-Café war und daher seinen flippigen Namen hat.

Ob feinste Schokolade, Galerien, Schuhe, Mode oder Feinkost - die Vielfalt der meist sehr individuellen Geschäfte ist groß. "Das ist in anderen Städten in einer solchen 1a-Lage nicht zu finden", sagt Antiquitätenhändler Peter Cornelius aus der Kleinen Ulrichstraße 12. Er mag diese "gute Mischung" aus Cafés und Geschäften, die man für einen schönen Stadtbummel einfach brauche. "Die Straße darf aber nicht weiter zur Kneipenmeile werden", gibt er zu bedenken. Auch künftig müsse der Mix stimmen, wolle die "Kleine Uli" ihr Flair und ihre Lebendigkeit behalten.