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MZ-Schulbesuch - Teil 2 MZ-Schulbesuch - Teil 2: Die großen Unterschiede

Von KATRIN LÖWE 09.05.2011, 21:06

ALLSTEDT/MZ. - Es ist Montagmorgen, 8 Uhr, Sekunden nach dem Klingeln. Der Tafeldienst ist schon verteilt - eifrig haben die meisten Kinder die Hände nach oben gestreckt. Jetzt hallt ein 23-stimmiges Echo dem "Guten Morgen" von Steffi Herold in der 1b der Grundschule Allstedt (Mansfelder Land) entgegen. Kaum verklungen, werden zum ersten Mal an diesem Tag die Stühle gerückt: Einmal in einen Kreis, das Wochenende muss ausgewertet werden. Warum es schön war? Hannes hat beim Fußball ein Tor geschossen, etliche Mitschüler haben gegrillt, Lara hat bei einem Fest Esel geführt. Für wieder andere war der McDonalds-Besuch das Highlight oder der Kuchen bei der Oma. Jeder darf erzählen, bevor die Klasse sich wieder an ihre schräg stehenden Vierertische aufteilt. Ab jetzt geht der "Ernst" des Tages los.

Für Steffi Herold, 47 Jahre alt, heißt das auch aufteilen. Aus einem Fibel-Text sollen die Kinder herausschreiben, was man so zum Bau eines Floßes braucht. Zwei Tische müssen die komplette Liste notieren, schnelle Schülerinnen wie Lilly kriegen schon nach 20 Minuten eine Extra-Aufgabe. An anderen Tischen belässt Herold es bei je drei Dingen. Und an einem, da sitzt Sonderschullehrerin Katrin Trute mit drei Kindern und löst komplett andere Aufgaben. Da ist das Wort "Mama" noch eine Herausforderung, während in den Heften der anderen Worte wie "Hölzchen" oder "Korken" stehen.

"Vor 20 Jahren", sagt Herold, "gab es noch nicht so große Leistungsunterschiede in einer Klasse." Heute ist ein Großteil mit dem Alphabet bis auf X und Y schon durch, während andere erst den fünften Buchstaben lernen, da rechnen die einen und zählen bis 20, während die anderen noch bei der sechs sind. Frontalunterricht funktioniert schon deshalb oft nicht mehr, sagt Herold.

Das Land will die Kinder, die bisher an Förderschulen kamen, integrieren. Bis auf wenige Ausnahmen werden sie in Allstedt seit diesem Schuljahr alle in der normalen Grundschule eingeschult. Eine Riesen-Umstellung für die Lehrer. "Ich habe am Anfang viel Material gesucht, aber es kam einfach nichts heraus", erinnert sich Herold. "So von heute auf morgen. . ." Sie musste lernen, in kleineren Schritten zu denken, wie Trute erklärt. Trute, seit 25 Jahren Sonderschulpädagogin, ist vom Förderzentrum Sangerhausen für drei Tage in der Woche nach Allstedt abgeordnet. Sie soll nicht nur mit den Kindern arbeiten, die mehr oder weniger große Entwicklungsrückstände aufweisen, sie soll vor allem den Lehrern helfen, mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Dreierlei Unterrichtsvorbereitungen, Anträge und Gespräche mit Jugendamt, Familienhilfe oder Kinderpsychologen: "Das ist neu für einen Grundschullehrer", sagt Trute. Manches spielt sich inzwischen ein, "am Anfang des Schuljahres waren wir verzweifelter als jetzt".

Neun Erstklässler arbeiten in Allstedt nach komplett eigenen Wochenplänen - das ist viel. Das letzte Wort, ob sie später doch an eine Förderschule wechseln, haben die Eltern, sagt Trute. Manches an Rückständen lasse sich kompensieren. Trute ist niemand, die sich gegen Integration ausspricht, "wo es geht, sollte man es tun". Vier von 18 Grundschülern mit Förderbedarf in Allstedt aber werden zum neuen Schuljahr wechseln. Trute sucht indes Kontakt zu Kindertagesstätten, um Defizite früher zu erkennen. Oft bräuchten auch Eltern Hilfe, sagt sie zudem.

In der 1b versucht Herold, ihre lernschwächsten Schützlinge so oft wie möglich in den normalen Unterrichtsablauf einzubinden. Beim Rechenspiel stehen sie mit in der Schlange, addieren um die Wette. Sonst aber sind sie an "ihrem" Tisch. "Das geht nicht anders", sagt Herold. Schon organisatorisch. Für die drei ist - soweit möglich - immer eine zweite Lehrerin oder pädagogische Mitarbeiterin im Raum. Sie brauchen ständig individuelle Ansprache, wechselnde Methoden: Vom Buchstaben schreiben bis zum Ausmalen von Bildern, während der Rest der Klasse schon Sätze zusammenstellt. Trute wünschte sich manchmal andere Arbeitsmittel, um praktischer, spielerischer zu fördern. Die sind nicht da, und umstürzende Bauklötze etwa würden auch die anderen stören.

Nach fünf Stunden hat es die 1b diesmal geschafft, die sechste ist Ruhephase in einem Extra-Raum. Für Steffi Herold indes ist der Tag noch nicht vorbei. Sechs Stunden mindestens bis zum letzten Klingeln ist sie an der Schule. Rund drei pro Tag braucht sie für die Unterrichtsvorbereitung, "inklusive Wochenende", so die 47-Jährige. Für heute bereitet sie den gemeinsamen Unterricht der ersten und zweiten Klasse vor. Vor drei Jahren ist er in Allstedt eingeführt worden. Ein paar Jahre länger gibt es zudem die flexible Schuleingangsphase, bei der die Kinder für die ersten zwei Klassen im Zweifel auch drei Jahre Zeit haben oder schon nach der ersten in die dritte wechseln. Änderungen, Reformen gab es reichlich. Herold aber macht ihr Job Spaß, auch wenn es ihr manchmal "bis hier steht", wie sie mit der Hand in Stirnhöhe verdeutlicht. "Aber jammern hilft nicht. Und die Kinder sind doch niedlich, das macht es wieder wett."

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