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Motorrad-Unfälle in Sachsen-Anhalt Motorrad-Unfälle in Sachsen-Anhalt: «Man hat nur ein Leben»

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 21.08.2009, 18:19

WENDEFURTH/MZ. - Am vergangenen Wochenende kam hier ein 50-jähriger Motorradfahrer ums Leben. Einer von bisher 24 toten Bikern in diesem Jahr in Sachsen-Anhalt.

"Erst im vorigen Jahr ist ein Arbeitskollege von mir mit dem Motorrad tödlich verunglückt, natürlich wird man da nachdenklich", sagt Marcel Schreiber. Der 28-Jährige aus Halberstadt ist mit seiner Harley regelmäßig im Harz unterwegs, "immer wenn ich Zeit habe und das Wetter gut ist". Jetzt sitzt er auf der anderen Seite des Tunnels, am Talsperren-Parkplatz, auf dem sich gerade am Wochenende viele Motorradfahrer treffen. Der Helm liegt auf der Maschine, er trägt Jeans und T-Shirt. Keine Lederkombi? "Ist vielleicht etwas leichtsinnig", räumt er ein, "aber wir fahren ja auch langsam". Was das heißt? "Na, so 100 bis 150." Und außerdem sei es so heiß heute, wirft sein Kumpel Christian ein.

Solche Sätze ärgern Christa Hollstein. "Die haben wohl nachwachsende Schutzkleidung", frotzelt die 61-Jährige. Sie selbst und ihr Mann Jürgen, zu Hause in Norderstedt bei Hamburg, seien immer in voller Montur unterwegs: "Man hat doch nur ein Leben." Aber junge Fahrer seien offenbar generell waghalsiger. Und glaubten, so ihr Mann, "nach vier, fünf Jahren Fahrpraxis können sie alles. Das ist ein Trugschluss". Tatsächlich passieren nach ADAC-Angaben besonders viele Motorradunfälle in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen. Hauptursachen: überhöhtes Tempo und zu geringer Abstand.

"Die Maschinen haben heute so viel Leistung, dass gerade viele Junge sie nur bis zu einem gewissen Punkt im Griff haben", ist Harald Roth überzeugt. Und dann? "Der Rest ist Glück", meint der 53-Jährige aus dem Schwarzwald trocken, der selbst seit 35 Jahren Motorrad fährt und gemeinsam mit Adelheid Wankerl zum ersten Mal den Harz erkundet. Nach der Pause an der Rappbodetalsperre geht es weiter in Richtung Braunlage, am Tag vorher waren sie am Kyffhäuser unterwegs.

Was Roth dort beobachtet hat, lässt ihn den Kopf mit dem akkurat gestutzten weißen Vollbart schütteln: "Da ist überall 70, aber das schert viele Biker nicht. Die fahren sogar auf Zeit die Serpentinen hoch." Seine Begleiterin kann Autofahrer verstehen, die deswegen auf waghalsige Biker schimpfen, "wenn die zum Beispiel vor einer Kurve überholen wollen. Und dann heißt es wieder, die Motorradfahrer rasen alle", ärgert sie sich. Roth räumt ein, "bei einer schönen Bergstrecke steigt der Adrenalinspiegel. Da dreht man auch schon mal am Gashebel. Aber man muss sich eben einschätzen können."

Dabei helfen können Sicherheitstrainings. "Machen wir jedes Jahr", sagt Christa Hollstein. "Man lernt, seinen Motorrad zu vertrauen." Was auf dem Programm steht? "Bremsen, bremsen, bremsen", sagt die 61-Jährige, die erst vor elf Jahren ihre Liebe zu den schweren Maschinen entdeckt hat. "In der Fahrschule war ich die Älteste." Auch das Ausweichen werde geübt, das sei aber schwierig, weil sich ein Motorrad dabei häufig nur schwer handhaben lasse. Warum ein Sicherheitstraining so wichtig ist? "Weil man im Schlaf reagieren können muss", so Hollstein. "Wenn etwas passiert, hat man keine Zeit mehr nachzudenken."

Freilich, sagt Christa Hollstein, gebe es auch Situationen, in denen man schneller fahren müsse als manchem Autofahrer lieb sei. Etwa, wenn es auf Serpentinen hinter einem langsamen Auto den Berg hinaufgehe. "Dann muss ich auch schon mal überholen, bevor mir die Maschine stehen bleibt. Ich brauche ja Schwung." Auch das Überholen in der Kolonne habe mitunter seinen Sinn, erklärt ihr Mann Jürgen: "Wenn ich vor mir einen Transporter habe, vielleicht noch mit dunkel abgeklebten Scheiben, dann sehe ich nichts." Vorausschauendes Fahren sei so nicht möglich, da helfe nur Ausscheren. In jedem Fall, meint seine Frau, müssten Biker "immer für zwei denken - für sich und für den Autofahrer". Ein Motorrad habe schließlich keine Knautschzone, betont Christa Hollstein.

Eine Binsenweisheit, doch Marcel Schreiber nimmt sie schulterzuckend hin. "Haben Radfahrer oder Skateboarder ja auch nicht", sagt er und grinst verlegen. Wenige Minuten später sitzt er wieder im Sattel und braust über die Staumauer der Rappbodetalsperre. Die Blumen, die an einen toten Biker erinnern, fliegen an ihm vorbei.