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Mindestlohn Mindestlohn: Anbau der Spreewaldgurke gefährdet

Von Steffen Höhne 31.07.2015, 17:59
Polnische Erntehelfer der Agrargenossenschaft Unterspreewald pflücken auf sogenannten Gurkenfliegern das Gemüse.
Polnische Erntehelfer der Agrargenossenschaft Unterspreewald pflücken auf sogenannten Gurkenfliegern das Gemüse. dpa Lizenz

Lübbenau - Langsam wird der Gurkenflieger von einem Traktor über das Feld gezogen. Auf dem Anhänger mit links und rechts langen, tragflächenartigen Plattformen liegen 24 Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter. Unermüdlich zupfen sie Gurken von den Pflanzen und legen diese auf ein Fließband. „Am anstrengendsten ist es, den Kopf hoch zu halten“, sagen die Arbeiter. Der Chef der Agrargenossenschaft Unterspreewald, Uwe Schieban, steht auch auf dem Feld: „Es ist eine harte Arbeit.“ 140 Erntehelfer beschäftige das brandenburgische Unternehmen jedes Jahr. „Noch“, fügt der Landwirt hinzu. „Der Mindestlohn könnte das Ende der Spreewaldgurke in der jetzigen Form bedeuten.“

Das sieht nicht nur Schieban so. Etwa acht größere Agrarbetriebe gibt es noch in der Region, die auf 600 Hektar das Gemüse anbauen. 40 000 Tonnen werden jährlich geerntet. Verarbeitet werden diese von drei größeren ortsansässigen Konserven-Herstellern und zahlreichen Manufakturen. „Egal mit wem man spricht, kein Betrieb weiß derzeit, wie es wegen der steigenden Kosten weitergeht“, sagt Heinz-Peter Frehn, Chef des Gurkenhofs Frehn. In diesem Jahr sei die Anbaufläche in der Region bereits um 20 Prozent geschrumpft. Dies sei erst der Anfang, glaubt Frehn, der auch im Vorstand des Gartenbauverbandes Berlin-Brandenburg sitzt.

Seit Jahresbeginn gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde für jeden Arbeitnehmer. Die Agrarwirtschaft hat mit der Gewerkschaft IG BCE allerdings einen Tarifvertrag vereinbart. In diesem Jahr liegt der Satz erst bei 7,20 Euro, steigt dafür aber bis Ende 2017 auf 9,20 Euro. Im Spreewald verdienten die osteuropäischen Saisonkräfte in der Vergangenheit durchschnittlich fünf Euro. Zum Vergleich: In Polen liegt der Mindestlohn bei 2,50 Euro.

Auf dem Hof von Schieban arbeiten als Saisonkräfte vor allem polnische Studenten, aber auch Lehrer aus dem Nachbarland, die ihr Gehalt aufbessern wollen. „Die steigenden Lohnkosten müssten wir auf die Preise umschlagen“, sagt Schieban. Doch das funktioniere nur in der Theorie - nicht in der Praxis. Einer von Schiebans wichtigen Kunden ist die Rabe Spreewälder Konserven GmbH aus Lübbenau. Das Familien-Unternehmen existiert seit 1898 und wird in der fünften Generation von Markus Belaschk geleitet. Auch in der DDR konnte der Betrieb privat geführt werden, weil er weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigte. Nach der Wende bauten Belaschks Eltern die Firma aus, die heute je nach Jahreszeit 50 bis 75 Mitarbeiter beschäftigt. Die Spreewaldgurke war eines der wenigen Lebensmittel, das nach der deutschen Einheit ohne Unterbrechung im Handel erhältlich blieb. Die Gurke ist seit der Jahrtausendwende zudem ein von der EU geschütztes Regionalerzeugnis. Es gilt: Wo Spreewald draufsteht, muss auch Spreewald drin sein.

2 000 Tonnen Gurken verarbeitet der Betrieb im Jahr. Den charakteristischen sauren Geschmack erhalten die Gurken durch Zwiebeln, Gewürze und Branntweinessig. Jeder Hersteller hat seine Rezeptur. Durch den Mindestlohn, so rechnet Belaschk vor, würden sich in drei Jahren die Gurken im Einkauf um 60 Prozent verteuern. Diese Steigerung an den Handel weiterzugeben, sei aber schwierig. Das Unternehmen beliefert viele Supermarktketten. In den dortigen Regalen stehen nicht nur die Gurken aus dem Spreewald, sondern auch viele Handelsmarken. Im sogenannten Preiseinstiegssegment kommen die Gurken auch aus der Türkei und Indien, erläutert Verbandsmann Frehn. Dort seien Fabriken errichtet worden, die für den deutschen Markt fertige Konserven produzieren. „Für den Verbraucher ist dies in der Regel nicht ersichtlich“, so Frehn. Auf den Etiketten stehe kein Herkunftsland. Diese internationalen Gemüsefirmen müssten keine vergleichbaren Kostensteigerungen verkraften.
Nach Ansicht von Frehn könne die Spreewaldgurke zwar über Regionalität und Geschmack beim Kunden punkten, doch der Preisabstand dürfe nicht zu groß werden. Laut Handelsexperten kostet ein Gurkenglas einer Handelsmarke heute etwa 79 Cent, eines mit Spreewaldgurken 1,49 Euro. Der Preisabstand kommt auch dadurch, da die Handelsriesen bei Markenprodukten höhere Gewinnspannen veranschlagen.

„Durch die Preissteigerungen landen wir irgendwann im Feinkost-Sortiment“, sagt Belaschk. Meint er dies ironisch? Er weiß es wohl selbst nicht genau. Es ist noch unklar, wie stark Handel und Kunden auf teurere Spreewaldgurken reagieren. Vom Untergang der Spreewaldgurke will Belaschk nicht sprechen; „Unsere Branche hat schon viele Höhen und Tiefen erlebt,“ Doch bereitet er sich vor. Neben Gurken produziert die Firma Rabe Meerrettich. Zudem wird auf Spezialitäten gesetzt, unter anderem Bioprodukte. Belaschk rechnet jedenfalls mit einem sinkenden Gurken-Absatz. Von seinen ehemals acht Lieferanten gibt es nur noch fünf. Ein weiterer habe signalisiert, dass er aufhöre.

Daran denkt Schieban noch nicht. Die Agrargenossenschaft ist ein großer Betrieb, neben den 40 Hektar Gurkenfeldern wird Rinderzucht und auch Biolandbau betrieben. „Wir können auch eine Durststrecke überstehen.“ Schieban will die Preisverhandlungen im Herbst abwarten. Dann wird er entscheiden, auf wie viel Hektar er im kommenden April Gurkenpflanzen stecken lässt. (mz)
(mz)