Mediterraneum

Von Alexander Schierholz 07.04.2014, 10:50
Blick ins Innere des „Mediterraneums“.
Blick ins Innere des „Mediterraneums“. Andreas Stedtler Lizenz

Köthen - Zugegeben, am Anfang überwog die Skepsis. Das Mediterraneum in Köthen sollte es sein. Man könne dort Pflanzen kaufen, hatte die Kollegin gesagt, und ein Restaurant gebe es auch. Aha, dachte man. Ein Gartenmarkt also. Und das Restaurant ist dann wohl so wie die, die es manchmal an Baumärkten gibt. Oder wie die Selbstbedienungsabfütterungs-Stationen in Möbelhäusern.

Kontakt

Maxdorfer Straße 51, 06366 Köthen

Telefon: 03496/3099 25, Netz: www.casa-mediterraneum.de

Die Skepsis blieb. Und wurde noch größer bei der Anfahrt. Quer durch Köthen und hinaus aufs flache Land, laut Routenplaner mitten im Nirgendwo. Irgendwann ein Abzweig, auf den, wie sich später herausstellen sollte, ein großes Schild hinwies, das aber im Dunkeln nicht zu sehen war. Dann: ein Parkplatz, ein alter Bauernhof, ein zweigeschossiges Gebäude. Man geht hinein. Und ist überrascht. Warme Farben. Feine Bettwäsche. Edle Landhausmöbel. Kunstvolle Lampen. Duftöle. Wein. Gartenmarkt? Im Freigelände. Dort stehen Terrakottatöpfe und Pflanzen. Das Mediterraneum ist tatsächlich auch ein Einrichtungshaus.

Im Mediterraneum gibts die Speißekarte auf einer Tafel

Und das Restaurant? Quasi eingebettet. Die Treppe hinauf auf eine Art großzügige Galerie. Wieder Möbel, Accessoires. Kleinere und größere Tische mit Stühlen, an denen Preisschilder baumeln. Essen und Trinken in einer Musterausstellung. Na gut, denkt man, warum nicht.

Die Irritation wird abgelöst durch die nächste Überraschung. Es tritt auf Marcos Antonio Perez, sorgsam gestutzter Bart, strahlendes Lächeln, vollendete Umgangsformen. Der junge Kellner bringt - nein, nicht die Speisekarte. Sondern eine große handgeschriebene Tafel mit den Gerichten des Tages. Die Skepsis ist mittlerweile gespannter Neugier gewichen: Was ist das für ein Laden?

Liebe zum Süden: Seit 2011 kann man im Mediterraneum auch speißen

Ja, was für einer? Ein Laden, der sich der Liebe seines Besitzers zur südeuropäischen Lebensart verdankt, zu Farbe, Licht und Wärme des Mittelmeerraumes. Stefan Gradzielski, 39, ist viel rumgekommen in Spanien, Italien, Griechenland, jahrelang, auf diversen Urlaubsreisen. Irgendwann hat er beschlossen, seinen Beruf als Bauingenieur an den Nagel zu hängen, um sein Geld mit seiner Liebe zum Süden zu verdienen.

In diesem Jahr feiert er Zehnjähriges mit seiner Geschäftsidee - Gartenausstattung, Möbel und Accessoires im mediterranen Stil. Das Restaurant, „anfangs eher ein Bistro“, kam erst 2011 dazu - und musste nach einer Woche schon wieder für zehn Tage geschlossen werde. Hagelschaden. Gradzielski hat sich davon nicht entmutigen lassen, er weiß, was Durststrecken sind. Nach der Eröffnung 2004 habe er eine Zeit gebraucht, um sich zu etablieren, sagt er. „Es war eine schwierige Anfangszeit.“

„Mein Elternhaus steht nebenan.“

Was wohl auch am Standort liegt - ein ehemaliger Bauernhof in einer Neubauernsiedlung von 1949, einige Kilometer außerhalb von Köthen. Für Steffen Gradzielski ein Ort mit persönlicher Geschichte: „Mein Elternhaus steht nebenan.“ Grund genug für ihn, hier den Neuanfang zu wagen.

Und wie ist das nun mit der großen Tafel anstelle der Speisekarte? „Das kennen wir so von unseren Reisen nach Südeuropa“, sagt Gradzielski. In mancher italienischen Trattoria gebe es noch nicht einmal eine Tafel, erzählt er, sondern komme der Wirt stattdessen an den Tisch der Gäste und berichte, was heute frisch gekocht werde. „Wir wollten authentisch sein und diese Erfahrungen hier weiterverbreiten.“

Ein gewollter Nebeneffekt: Gast und Wirt kommen so gleich übers Essen ins Gespräch. „Ein ganz wichtiger kultureller Aspekt“ sei das, findet Stefan Gradzielski. Und viel besser, als wenn der Kellner nur kurz die Bestellungen aufnimmt, und das möglichst noch mit Nummern. „Die 78, aber bitte ohne Sardellen“ - das ist ein Graus für Gradzielski. Bei ihm erklärt Markus Peters, Chef im Restaurant, ebenso geduldig wie plastisch, was sich hinter „Maiale con Pomodoro“ verbirgt: Schweinefleisch mit Tomaten, „scharf angebraten, dazu ein schöner Sugo mit Zwiebeln“. Das Ergebnis schmeckt fruchtig-pikant, Tomatenstückchen verhindern ein Abrutschen ins Matschige. Das Fleisch ist zuweilen leider etwas trocken geraten.

Dafür ist an der gegrillten Dorade, die für die Begleitung auf den Tisch kommt, nichts auszusetzen. Auf Wunsch bietet Kellner Antonio sogar das Filetieren an. Zu beiden Hauptgerichten wird gegrilltes Gemüse gereicht, leicht in Öl eingelegt - Paprika, Fenchel und Co. sind so schonend behandelt worden, dass sie sich wunderbar ihren Eigengeschmack bewahrt haben.

Internationales Team

Weil der Hunger so groß ist wie die anfängliche Skepsis und die spätere Neugier, beginnt der kulinarische Abend mit Vorspeisen. Die Antipasti Toscano bieten Schinken, Salami, Käse und Oliven - klassisch und gut. Daneben lockt „Arrotolata“, eine Vorspeise, die sich als Weizenfladen mit Käse, Schinken, Tomaten und Rucola entpuppt. Klingt pompöser als es am Ende ist, erweist sich aber überraschend geschmack- und gehaltvoll.

Die Karte - pardon: die Tafel - ist an diesem Abend deutlich Italien-lastig. An anderen Abenden kann das aber ganz anders aussehen, einen festen Speiseplan gibt es nicht. Im „Mediterraneum“ werde frisch gekocht, sagt Gradzielski, und saisonal. In Topf und Pfanne kommt, was verfügbar ist, meist von regionalen Anbietern. Einmal im Monat aber starten die Köthener nach Italien, Fisch, Käse oder Gemüse einkaufen. Dass das Italienische auf dem Teller am Ende nicht dominiert, dafür sorgt schon das Team in Küche und Service - Kellner Antonio stammt aus Mallorca, Koch Rodrigues aus Portugal. Und Restaurantchef Markus Peters hat Erfahrungen in Spanien, Kolumbien und der Dominikanischen Republik gesammelt.

Unsere Devise ist, dass Bedienen von Dienen kommt.

Sie alle hat Stefan Gradzielski auf Service eingeschworen: „Unsere Devise ist, dass Bedienen von Dienen kommt.“ Ostern darf der Gast sogar selbst bestimmen, zumindest im kleinen Rahmen: Gradzielski will Frischfisch aus der Eistheke anbieten, der dann nach Wunsch zubereitet werden solle.

Aber bis Ostern ist es ja noch eine Weile hin. Jetzt ist erst einmal Zeit für das Dessert. Antonio, der freundliche Mallorquiner, empfiehlt Pistazien-Parfait mit Sahnecreme, von ihm selbst zubereitet. Die pastellgrüne Leckerei stellt sich als gelungener Abschluss heraus, kühl, samtig auf der Zunge. Hätte man so gar nicht gedacht, am Anfang dieses Abends außerhalb von Köthen, mitten im Nirgendwo. Von Skepsis keine Spur mehr.