Mauerfall am Brocken Mauerfall am Brocken: "Mein Berg war endlich frei" - Der Brockenwirt erinnert sich

Schierke - „Tor auf, Tor auf“ rufen Tausende Menschen vor einer mit Stacheldraht bewehrten Stahlpforte. Um 12.50 Uhr ist es dann soweit: Ein DDR-Major der Grenztruppen überbringt die erlösende Nachricht: „Wir öffnen jetzt“. Und die Menschen strömen auf das Plateau des Brocken im Harz. Am 3. Dezember 1989, gut drei Wochen nach dem Fall der Mauer in Berlin, war auch der mit 1141 Metern höchste Berg Norddeutschlands frei. Für Brockenwirt Hans Steinhoff aus Schierke sind das auch nach 25 Jahren noch bewegende Momente. „Ich konnte es kaum fassen“, erinnert sich der heute 70-Jährige. „Ich durfte wieder auf meinen Berg“.
Es war an jenem 3. Dezember eine unglaublich klare Sicht auf den sagenumwobenen Berg, von dem sich schon Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Heine inspirieren ließen. „Ich konnte den Gipfel vom thüringischen Oberhof aus erkennen“, sagt Steinhoff. Dort war er an jenem Tag als internationaler Wettkampfrichter bei einem Rodelweltcup im Einsatz. „Ich ahnte aus der Ferne, dass auf dem Brocken etwas passieren würde“, sagt der gelernte Gastronom. „Doch als ich vom Fall der Grenzanlagen erfuhr, konnte ich es dennoch nicht sofort glauben.“
Ganz nah dabei war sein Freund Werner Vesterling aus Schierke. Er war einer der Initiatoren des Marsches auf den Brocken. „Es konnte nicht sein, dass drei Wochen nach dem Mauerfall in Berlin der Brocken immer noch Sperrgebiet war“, sagt er. Als Mitglied des Neuen Forums habe er deshalb den Marsch auf den Einheitsberg der Deutschen schlechthin mitinszeniert. Mit Schildern wie „Freier Brocken für freie Bürger“ seien erst Hunderte zum Gipfel gelaufen. Dann seien es Tausende gewesen, die sich gegen die dreieinhalb Meter hohen Mauern und den Stacheldraht auflehnten.
„Am Anfang waren wir in Sorge, dass Schüsse fallen könnten, doch als immer mehr Menschen zum Brocken kamen, wurden wir immer sicherer“, sagt Vesterling. „Weder ein Offizier der Stasi noch ein Sowjetischer ließen sich nach der Öffnung blicken“, erinnert er sich. Nur zwei sowjetische Soldaten hätten aus einem Samowar Tee für ein paar DDR-Groschen ausgeteilt.
Auf der nächsten Seite: Gründung des Brockenstammtisches und die Wiederkehr der Brockenbahn.
Mandy Hertel lebt seit 1982 in Schierke. „Für mich war der freie Brocken schon ergreifend, aber weit emotionaler war der Fall der Mauer in Berlin“, sagt die heute 49-Jährige. Für sie sei das gesperrte Revier im Harz normal gewesen. „Ich kannte es nicht anders und schließlich war mein Vater Offizier der Grenztruppen“, sagt sie.
Dort, wo die Soldaten Tee ausschenkten, betreibt Steinhoff heute eine Gaststätte und ein Hotel. Der gelernte Konditor hatte gleich nach dem Fall der Sicherheitsanlagen eine Art gastronomische Notversorgung mit Bockwurst, Gulaschkanone und Glühwein auf dem Brocken aufgezogen. Heute betreiben er und seine beiden Kinder mehrere Gaststätten und ein Hotel auf und am Fuße des Berges.
Doch nicht nur um das Geschäftliche kümmerte sich Steinhoff nach dem Fall der Mauer. „Anfang der 90er wollte ja keiner eine Entscheidung treffen“, erinnert er sich. So gründete Steinhoff den heute auch über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinaus bekannten Brockenstammtisch. „Ich wollte Leute aus Ost und West zusammenbringen und die Lösung von Problemen voranbringen“, sagt Steinhoff.
Wiederaufnahme der Brockenbahn
Zu den ersten Erfolgen der Runde gehörte die Wiederaufnahme des Betriebes der damals völlig heruntergekommenen Brockenbahn, deren Personenverkehr nach dem Mauerbau am 13. August zwischen Schierke und dem Brocken eingestellt wurde.
„Ein Brocken ohne Brockenbahn ging gar nicht“, sagt der damalige Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts Horst Rehberger. Der FDP-Politiker ist seit Anfang der 90-er Jahre Mitglied des Brockenstammtisches und kommt noch heute oft dorthin. So habe er sich beim damaligen Bahnchef Heinz Dürr für die Schmalspurbahn eingesetzt. Bereits am 15. September 1991 sei der Verkehr mit zwei dampfbetriebenen Zügen wieder aufgenommen worden.
Ob Steinhoff am 3. Dezember mit der Brockenbahn auf den Berg fährt, weiß er noch nicht. Auf alle Fälle wird er an diesem denkwürdigen Tag dort oben sein. „Schließlich war der Brocken bis zum 3. Dezember 1989 der höchste Punkt des Kalten Krieges an der innerdeutschen Grenze.“ (dpa)
