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Magdeburg Magdeburg: Hätte Tod des zweiten Kindes verhindert werden können?

Von Johannes Dörries 05.12.2012, 19:07

magdeburg/MZ. - Sie ist Mutter von zwei toten Kindern. Ihr erstes Kind, ein Junge, ist drei Monate alt geworden, bevor es im März 2004 nach Misshandlungen starb. Das Landgericht Chemnitz hat die heute 31 Jahre alte Frau dafür 2004 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Jetzt sitzt die Frau in Magdeburg erneut in Untersuchungshaft. Sie soll ihre 18 Monate alte Tochter so schwer misshandelt haben, dass diese an den Folgen starb. Die Frau habe sich zu der Tat zwar geäußert, aber kein volles Geständnis abgelegt, sagt Silvia Niemann, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Magdeburg. Die Motive der Tat seien noch nicht geklärt. Dennoch läuft bereits eine Debatte darüber, ob der Tod des zweiten Kindes hätte verhindert werden können.

Im Frühjahr 2004 hatte die junge Mutter Stress in ihrer damaligen Beziehung. Sie stritt sich mit ihrem Lebensgefährten, der nicht der Vater ihre Babys war, erklärt Thomas Mrodzinsky, Sprecher des Landgerichts Chemnitz. Als sie mit ihrem Kind allein zu Hause war, kam es zur Kurzschlusshandlung: Sie hielt dem Jungen mehrere Minuten lang Mund und Nase zu. Als der Lebensgefährte zurückkam, ließ sie ihn den Rettungsdienst für den leblosen Sohn alarmieren. Das Baby wurde zwar reanimiert, starb aber wenige Tage später in der Klinik.

Das Gericht wertete das Geschehen später als Totschlag in einem minderschweren Fall. Die junge Mutter sei zur Tatzeit erheblich in ihrer Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Die Haftstrafe von zwei Jahren wurde für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht legte der Frau auf, sich von ihrem Ex-Lebensgefährten fernzuhalten, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten und die psychologische Behandlung fortzusetzen, die sie begonnen hatte. Wie weit die Frau diese Auflagen erfüllte, konnte die Staatsanwaltschaft Chemnitz am Mittwoch nicht klären.

Kleinkind in Rucksack gesperrt

Am Sonntag vor einer Woche ereignete sich der zweite Fall. Der Ablauf gleicht dem Geschehen in Chemnitz fatal. Die 31-Jährige soll ihre Tochter in einen Rucksack gesteckt und diesen verschlossen haben, so dass das Kind keine Luft mehr bekam. Was sie dazu bewegt haben könnte, sei offen, so Niemann. Die Frau war mit ihrer Tochter allein, ihr neuer Lebensgefährte war nicht zu Hause. Als sie ihr Kind aus dem Rucksack befreite, war es leblos. Sie alarmierte den Rettungsdienst, auch das Mädchen wurde reanimiert - und starb drei Tage später im Uniklinikum. Als Ärzte die Polizei alarmierten, kam der Fall ins Rollen. Gegen die Frau wird wegen Totschlags ermittelt. Ein Gutachten soll ihre Schuldfähigkeit klären. Ergebnisse erwartet Niemann erst 2013. Die Frau habe in einer geordneten festen Partnerschaft gelebt, gegen ihren Partner werde nicht ermittelt.

Hätte die Tat verhindert werden können? Beim Jugendamt in Magdeburg war die Familie nicht bekannt, es gab keine Hinweise auf Probleme. Sie war im Frühjahr in eine Plattenbau-Wohnung in Magdeburg-Olvenstedt gezogen. Von der Vorgeschichte in Chemnitz wusste die Stadt nichts, sagt Sprecherin Cornelia Poenicke. Die Verurteilung von 2004 ist zwar auch heute noch im Bundeszentralregister verzeichnet - "schlummert" aber dort, sagt Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Klaus Tewes. "Ein Jugendamt hat keine Möglichkeit, da hineinzugucken." Das bestätigt auch Holger Paech, Sprecher des Sozialministeriums. Und er räumt ein, dass im Interesse des Kindeswohls eine andere Regelung besser wäre. "Da muss weiter diskutiert werden."

Betroffen, aber auch ratlos, reagiert Daniel Clauß, Leiter der sozialmedizinischen Ambulanz an der Uniklinik Halle, auf den Tod des Mädchens. "Ich weiß nicht, ob es möglich ist, solche Fälle zu verhindern." Der Kinder- und Jugendpsychiater kennt aus seiner Arbeit die Nöte junger Familien. Werden Kinder misshandelt, fühlten die Eltern sich zumeist gestresst und überfordert. Typischer Fall: Kinder schreien ohne Unterlass - was in den ersten Lebensmonaten normal sei. Ratlose Eltern schütteln ihr Baby in der Hoffnung, dass es Ruhe gibt. Das Gefährliche: Heftiges Schütteln kann Blutungen im Kopf auslösen, Hirnschäden bis hin zum Tod. 120 Kinder in Deutschland erleiden pro Jahr ein Schütteltrauma.

Schrei-Sprechstunde

Mit Angeboten wie einer Schrei-Sprechstunde versucht die hallesche Klinik vorzubeugen. Weitere Offerten sind landesweit Familienhebammen und Paten, die begleiten und unterstützen, wenn Familien überfordert sind. Allerdings: All das ist freiwillig, Problemfamilien kommen eher selten, berichtet Clauß. Auch die 31-jährige Magdeburgerin hat keine Hilfe gesucht.