Engagierte Leselernpaten Leselernpaten in Halle: So helfen Engagierte Kindern beim Lesen lernen

Halle (Saale) - Robin hat sich in die Verbrecherschule eingeschlichen. Und Jan Khalef weiß ganz genau, warum: „Er soll Batman erzählen, wo die Schule ist und was dort gemacht wird“, sagt der Siebenjährige, der in die zweite Klasse der Friesenschule in Halle geht.
Dann greift Jan sofort nach dem orangefarbenen Buch, das schon auf dem Tisch liegt und hält es Marianne Bucher hin. „Er liebt Superhelden“, sagt die 53-Jährige und klappt den Kinder-Roman auf.
Bucher ist die Leselernpatin von Jan. Einmal in der Woche trifft sie sich mit dem Jungen in seiner Schule zum gemeinsamen Schmökern. „Wir lesen Bücher, die zu seinem Alter passen - vor allem aber, was ihm Spaß macht“, sagt sie. Schulstoff komme nicht auf den Bücherstapel. „Der aktuelle Unterricht soll keine Rolle spielen, um auch den Druck von den Kindern zu nehmen.“
Seit vier Jahren ist Bucher schon Teil des Leseprojektes, das von der Freiwilligenagentur Halle-Saalekreis ins Leben gerufen wurde. „Nachdem ich aus beruflichen Gründen neu nach Halle kam, wollte ich mich hier engagieren und auch Kontakte knüpfen“, erzählt die Frau, der man ihre oberpfälzische Herkunft noch am rollenden „R“ anhört.
Ehrenamtliches Engagement sei ihr wichtig. „Und es macht so viel Freude, den Kindern bei ihrer Entwicklung zuzusehen.“
Leselernparten gibt es über die Freiwilligenagentur Halle-Saalekreis seit 2003
Die Vorlesepatenschaften wurde 2003 von der Freiwilligenagentur gestartet. Derzeit gibt es in Halle 60 Paten, die wöchentlich mit Kindern Bücher anschauen. „Bei dem Projekt ist vor allem die Eins-zu-eins-Betreuung von enormer Bedeutung“, sagt Sulamith Fenkl-Ebert.
Bei der Freiwilligenagentur ist sie für die Vorlesepaten mit zuständig. „Durch die enge Betreuung entsteht ein vertrautes Verhältnis.“ Und die Kinder würden es genießen, dass sich jemand eine Stunde mal nur mit ihnen beschäftigt. „Diese geschenkte Zeit ist fast das wichtigste“, sagt Fenkl-Ebert. Gerade für Schüler, die nicht die besten Lernbedingungen haben.
Jan Khalef ist so ein Kind. Der Junge mit dem modischen Kapuzenpulli und den tiefschwarzen Haaren ist seit Oktober bei dem Projekt dabei. Noch traut er sich kaum, Marianne Bucher anzuschauen. „Er ist noch schüchtern“, sagt seine Patin. Jan kam erst im Sommer 2016 nach Deutschland. Er stammt aus Syrien, seine Eltern sprechen Kurdisch mit ihm. Dass mit ihm zu Hause ein deutsches Buch gelesen wird - fast ausgeschlossen.
Umso erstaunlicher ist es, wie der Siebenjährige durch die Superhelden-Geschichte saust. Problemlos reiht er Buchstaben zu Wörtern und diese zu Sätzen. Robin besucht gerade den Sportunterricht der Verbrecherschule und hat einen Gangster beim Kampftraining auf die Matte gelegt. Jan Khalefs Augen kleben am Papier. Dass er erst seit etwas mehr als einem Jahr Deutsch lernt, hört man ihm nicht an.
Bei dem Wort „Chance“ bleibt der Junge dann aber hängen. „Chanke“, sagt Jan. „Das ist ein englisches Wort“, erklärt ihm Marianne Bucher und souffliert ihm das Wort dann richtig. „Bei der Aussprache und dem flüssigen Lesen ist er schon super“, sagt die Patin. Nur das Textverständnis müsse noch geübt werden.
Deswegen fragt Bucher ihren Schützling am Ende jeder Seite über deren Inhalt ab: „Was ist mit dem Gangster passiert“, fragt sie. Jan überlegt kurz: „Er ist hingefallen, das tat ihm weh“, antwortet der Junge dann. „Richtig“, sagt Bucher.
Freiwilligenagentur Halle-Saalekreis: Das sind die Lesepaten in der Region
Die Lesepaten sind eine bunt gemischte Gruppe. Natürlich gibt es unter ihnen die Rentner, die nicht nur den eigenen Enkeln vorlesen wollen. Unter den 60 Ehrenamtlern sind jedoch auch viele Studenten sowie Männer und Frauen, die wie Marianne Bucher voll im Berufsleben stehen. Allerdings könnte es, wenn es nach Sabine Schade ginge, durchaus noch mehr Freiwillige geben: „Allein an unserer Schule hätte ich 20 Kinder, für die ein Pate gut wäre“, sagt die Sozialarbeiterin der Friesenschule.
Denn: Die nahe und intensive Betreuung bei den Leselernpaten sei im Unterrichtsalltag nicht möglich. „Das ist etwas, was Schule nicht leisten kann“, sagt Schade. Und mit den Patenschaften geht es zudem auch um die Unterstützung von Kindern aus sozial schwachen Familien. Schließlich ist die Fähigkeit, Texte zu lesen und zu verstehen, eine wichtige Grundlage fürs Lernen und für Bildung.
Dass es nicht mehr Paten gibt, bedauert auch Sulamith Fenkl-Ebert von der Freiwilligenagentur. „Vielleicht ist eine gewisse Scheu da, weil Leselernpate nach pädagogischem Wissen klingt“, sagt sie. Diese Angst müsse man allerdings nicht haben, betont Marianne Bucher. „Es geht hauptsächlich darum, da zu sein und mit den Kindern zusammen zu lesen.“
Und außerdem gebe es regelmäßig Begleitseminare mit Experten und Paten-Treffen, bei denen Erfahrungen ausgetauscht werden. „Alleingelassen wird man auf keinen Fall“, sagt Bucher.
Um die Betreuung der Paten zu ermöglichen, braucht es allerdings auch finanzielle Hilfen. „Wir sind auf Spenden angewiesen, damit wir Referenten bezahlen und auch Material für die Lesestunden kaufen können“, erklärt Sulamith Fenkl-Ebert.
Den Großteil der Kosten, die jedes Jahr entstehen, werde durch die Zuwendung von „Wir helfen“ gedeckt. 3 000 Euro hat der Unterstützungsverein der Mitteldeutschen Zeitung im vergangenen Jahr zur Verfügung gestellt. „Ohne dieses Geld wäre das Projekt nur schwer durchführbar“, sagt Fenkl-Ebert.
In der Superhelden-Geschichte hat die Schulleiterin der Gangster-Akademie gerade einen Ausflug angekündigt. Für Robin die perfekte Chance abzuhauen und Batman von seinen Erkenntnissen zu berichten. „Aber ob das gelingt, erfahren wir erst nächste Woche“, sagt Marianne Bucher und klappt das Buch zu. Die Zeit ist vorbei. Jan Khalef muss wieder in den Unterricht. Doch eine Fortsetzung der Lesestunde folgt - ganz bestimmt. (mz)