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Wildsau mit Nachwuchs Wildsau mit Nachwuchs: Tiere richten sich in Nachbarschaft ein - Sorge um Tochter

Von Ilka Hillger 13.04.2018, 14:05
Auf einer Brachfläche fühlt sich die Bache mit Nachwuchs wohl.
Auf einer Brachfläche fühlt sich die Bache mit Nachwuchs wohl. Klitzsch

Coswig - Entzückte „Ah“ und „Oh“ gibt es im Tierpark gerne mal für Frischlinge. Antje Schulze hat für kleine Wildschweine aber nur noch ein „Ojeh“ übrig. Wenn die Tiere gleich hinterm eigenen Grundstück leben, hält sich die Begeisterung in Grenzen, vor allem, wenn zum Nachwuchs eine wachsame Mutter gehört.

Diese Bache hat sich gemeinsam mit einer ganzen Rotte ein unbewirtschaftetes Grundstück im Coswiger Siedlerweg als bevorzugtes Revier auserkoren. Seit Jahren schon. Damit konnten Antje Schulze und ihr Verlobter Henry Esser immer noch einigermaßen leben, wenngleich es stets ärgerlich war und ist, wenn sich die Schweine unterm Maschendrahtzaun durch- und den Rasen und die Blumenbeete der Familie gründlich umgraben.

Dieser Tage ist auf dem unbewohnten Gelände mit hohem Gras, Büschen, alten Zäunen und Schuppen nur noch die Bache übrig geblieben. „Die Rotte hat sich zurückgezogen“, sagt Hans Kanthak und kennt als früherer Förster den Grund dafür genau. Keine 20 Meter vom Haus der Coswiger entfernt, hat sich das tragende Tier am Wochenende seinen Wurfkessel eingerichtet.

„Am Sonntag kamen dann elf Frischlinge“, erzählt Antje Schulze, und da muss selbst der erfahrene Förster und Jäger Kanthak staunen: Kaum zwei Tage später sind die Kleinen mit der Wildschweinmutter auf dem Grundstück unterwegs. „So früh passiert das im Wald nicht, es liegt wohl auch am sonnigen und warmen Wetter“, mutmaßt Kanthak. Gleich am Sonntag hat er einen ersten Blick auf die Schweine-Familie geworfen, aus der erhöhten Position des Schlafzimmerfensters im Einfamilienhaus.

Ganz aktuell gibt es auch in den südlichen Stadtteilen von Dessau mal wieder ein Wildschweinproblem. Die Tiere lassen sich dort auch tagsüber nicht stören. Bewohner berichten nicht nur von Schäden in ihren Gärten, sondern auch davon, dass die Schweine den Zugang zu Grundstücken blockieren, so dass Lieferanten und Pflegedienste sich nicht mehr weitertrauen. Deshalb hat die Ordnungsbehörde der Stadt kurzfristig zu einer Beratung am 16. April gebeten. Am runden Tisch sitzen dann der Stadtjäger, Vertreter der Landesforstbehörde, des Jagdbeirates und Jäger/Eigentümer der umliegenden Flächen, um Lösungen zu finden.

„Dass der Wurfkessel in einer solchen Nähe zu Menschen liegt, habe ich allerdings auch noch nicht erlebt“, sagt der Förster im Ruhestand, für den Wildschweine in der Stadt eigentlich keine Neuheit oder Sensation mehr sind, denn „hier am Stadtrand sind sie längst Alltag“.

Der Fall von Antje Schulze und Henry Esser ist dann aber doch ein besonderer, in dem Kanthak gerne geholfen hat. Esser stand bei ihm am Sonntag ratlos vor der Tür, nachdem er nach einem Förster recherchiert hatte und ihm Hans Kanthak empfohlen wurde. Die Sorge um die fünfjährige Tochter trieb den Vater um, denn trotz schönstem Wetter wollten die Eltern das Mädchen dann doch lieber nicht mehr im Garten spielen lassen.

Hans Kanthak konnte freilich auch nur mit Tipps und Ratschlägen helfen. „Lassen sie vor allem den Wurfkessel in Ruhe“, sagt er. Kater Egon könne aber ebenso gefahrlos in den Garten wie die kleine Tochter. Immerhin gibt es ja noch den - zugegeben etwas löchrigen - Maschendrahtzaun, der die Grundstücke mit den so gegensätzlichen Bewohnern trennt.

„Der Kater geht ohnehin nur bis zum Zaun und kommt dann zurück“, hat Antje Schulze beobachtet. Instinktiv hat Egon da wohl Respekt vor der Bache, die ihren Nachwuchs natürlich schützen will.

Henry Esser hat inzwischen auch einen Plan, um der Wildschweinrotte fortan die Schranken zu weisen: Er baut einen neuen Zaun. Viel mehr kann er schließlich nicht tun, das hat ihm auch schon das Ordnungsamt der Stadt Coswig mitgeteilt. Wildtiere in Stadtgebieten zu jagen, ist nur in Ausnahmefällen und in einer beschränkten Jagdausübung durch ausgewählte Jäger erlaubt.

Voraussetzung ist dabei in jedem Fall, dass eine gefahrlose Schussabgabe möglich ist. Ein Anspruch auf Ersatz von durch Wildtiere angerichteten Schäden besteht außerhalb von Jagdbezirken nicht. Für die Sicherung von Grundstücken oder Gebäuden muss der Eigentümer also selbst Sorge tragen.

So hält es nun auch Henry Esser und hat die Paletten mit gestapelten Holzbrettern schon in der Zufahrt stehen. „Jetzt streichen wir das Holz und wenn die Bache mit den Frischlingen in einigen Tagen wieder weg ist, beginnt der Zaunbau“, sagt der 50-jährige Coswiger, der seit 1998 im Siedlerweg wohnt.

Jäger Hans Kanthak rät ihm noch zu zwei querliegenden Holzbrettern am Boden, um das Untergraben zu verhindern. Steht der neue Zaun, wird hoffentlich der nächtliche Schweinelärm aus dem Garten leiser. Bis das wüste Grundstück hergerichtet ist, wird es aber noch eine Weile dauern. (mz)