Hochwasserschutz Hochwasserschutz : An der Realität vorbei

Mühlanger - Allein gelassen fühlen sich die Menschen in Mühlanger beim beim Hochwasserschutz. 2002 und 2013 erreichte die Elbe das Ortszentrum, verwüstete unter anderem Keller in der Wittenberger Straße. Vier Jahre nach der Katastrophe warten die Bewohner immer noch auf Baumaßnahmen, die sie endlich ausreichend gegen Wassermassen schützen.
Aber ob diese jemals starten, ist nach einer Informationsveranstaltung zum Thema Hochwasserschutz sehr fraglich.
Die rund 100 Mühlangeraner mussten erfahren, dass die Schäden, die bei einem statistischen Jahrhundert-Hochwasser an ihren Häusern entstünden, nicht den den Bau neuer Deiche rechtfertigten. Das ist das Ergebnis einer Projektstudie, die der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) vorstellte.
Wie Thomas Schlegel von der Ingenieurgesellschaft Macke erklärte, wurde berechnet, wie weit und wie hoch eine unter dem Fachbegriff HQ 100 firmierende Elbeflut den Ort überschwemmen würde. Daraus wurde das Schadenspotenzial ermittelt und dem Aufwand für einen Deichbau gegenüber gestellt.
Deichbau unwirtschaftlich?
HQ 100 ist die Abflussmenge eines Gewässers, die statistisch einmal alle 100 Jahre erreicht oder überschritten wird. „Man kann das nicht an einem Pegelstand festmachen“, erklärt der Wittenberger LHW-Niederlassungsleiter Frank Beisitzer auf die Frage eines Einwohners aus Mühlanger. „Es ist ein Durchflusswert.“
Gerechnet werde mit einem Durchfluss von 4.000 Kubikmeter Wasser je Sekunde. Am 8. Juni 2013 lag das Tagesmittel in Wittenberg bei 4.140 Kubikmeter.
Für die Wittenberger Straße, die tiefste Stelle von Mühlanger, wären mit 1,75 Millionen Euro die Kosten für den Deichbau viermal so hoch wie die errechnete Schadenssumme. Starker Tobak für die Anwohner, die schon seit 2002 darauf hoffen, dass etwas für den Hochwasserschutz getan wird.
Bürgermeister Peter Müller (Freie Wähler) hatte sein Veto eingelegt, als er vom Ergebnis der Studie erfuhr: „Wir haben vom LHW gefordert, unter Zugrundelegung realer Ereignisse und Bedingungen eine tragbare Lösung zu suchen.“ „Wir sind nicht hierher gekommen, um ihnen zu sagen, dass wir nichts tun wollen“, verschafft sich der Direktor des LHW, Burkhard Henning, Gehör.
Er verweist darauf, dass die Richtwerte, die für die Berechnung von Projekten am gesamten Elbelauf in Sachsen-Anhalt gelten, aus dem Jahr 1995 stammen. Zwar sollen sie überarbeitet werden, aber wann? Den Anwesenden wird die Computeranimation einer Hochwasserschutzwand vorgestellt, die für den Bereich der Wittenberger Straße wirken soll. Diese wäre billiger als ein Deich.
An die Stadt ergeht die Aufgabe, nochmals die Zahl der tatsächlich geschädigten Häuser und die Schadenssummen zusammenzutragen. Auf dieser Grundlage will der LHW die Wirtschaftlichkeitsberechnung auf eine neue Basis stellen. Komme man zu einem besseren Ergebnis, könnte dies in das Hochwasserschutzkonzept des Landes einfließen.
„Wir wollen heute auch von ihnen wissen, ob sie damit leben könnten“, erinnert Henning an die Diskussion, die es in Gallin und Elster um die Optik der Hochwasserschutzwand gegeben hatte. Auf einen Realisierungstermin lässt sich der LHW-Chef nicht festlegen: „Ich verspreche niemandem etwas, was ich nicht einhalten kann. Aber es steht auch nicht ganz in den Sternen.“
Ortschaftsrat Holger Lehmann ist der Auffassung, dass der volkswirtschaftliche Schaden in die Betrachtung einbezogen werden müsse, notfalls müsse eben die Stadt bauen. Damit greift Lehmann Bürgermeister Müller vor: „Diese Variante haben wir mit dem LHW schon besprochen, notfalls müssten wir tatsächlich diesen Weg gehen“, erklärt er. „Aber den LHW brauchen wir, wir haben nicht die Fachleute.“
Wer haftet für Schäden?
„Wir wollen und können nicht das Loch in dem ganzen Hochwasserschutzsystem sein“, appelliert Ortsbürgermeister Hans-Joachim Harm an die Einwohner, „dass wir uns dazu kurzfristig finden. Wir wollen ein ehrliches Ergebnis“.
Matthias und Maritta Runde aus der Wittenberger Straße bezweifeln, dass sich das Land so einfach aus der Verantwortung stehlen kann. Bei den Versicherungen sei Mühlanger in die Gefährdungsklassen III und IV eingestuft. Die Beträge, die die Eigentümer bezahlen, seien heftig - so sie nach zwei Ereignissen überhaupt noch versichert worden sind.
„Wer übernimmt die Schäden, wenn die Versicherungen nicht mehr zahlen?“, fragt Matthias Runde und seine Frau kündigt an: „Wir würden dann das Land in Haftung nehmen.“ (mz)