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Günther Deckert Günther Deckert: Ein Leben für den Radsport

Von rainer Schultz 27.01.2012, 16:43

wittenberg/MZ. - Günther Deckert kommt sofort ins Schwärmen, wenn er von den goldenen Wittenberger Radsportzeiten berichtet. Keine der 30 Jahre, die er als Trainer tätig war, möchte der 76-Jährige missen. "Immer auf Achse zu sein, konnte ich keiner Frau zumuten", betont der eingefleischten Junggeselle, den es nach der Flucht aus Schlesien 1945 nach Wittenberg verschlug. "Das war eine harte Zeit", so Deckert, "doch der Sport half mir über die schwere Anfangsphase hinweg." Von 1952 bis 1955 betrieb er aktiv Radsport. Das Karriere-Ende läutete die Diagnose eines Arztes ein. "Sie haben einen Herzfehler", erinnert sich Deckert, den es heute noch ärgert, dass sich diese Diagnose im Nachhinein als Irrtum herausstellte. "Doch da war schon alles zu spät."

Der Piesteritzer hatte sich entschieden, dem Radsport treu zu bleiben - als Übungsleiter. Zusammen mit Werner Strube begann 1958 ein neues Sportkapitel für ihn. Zweimal wöchentlich stiegen Deckerts Schützlinge dienstags und freitags um 16 Uhr aufs Rennrad. Eine Trainingseinheit betrug 120 bis 150 Kilometer und führte in die Dübener Heide rund um Bad Schmiedeberg. Gegen 19.30 Uhr endete der "Ausflug".

Marke "Eigenbau"

Die Saison ging von April bis November. Sonntags fanden die Wettkämpfe statt. Die Querfeldein-Rennen bildeten im Spätherbst den Saisonabschluss. Wie sahen die technischen Voraussetzungen in den 1950er und Anfang der 1960er Jahre aus? "Wir Piesteritzer ließen uns nicht unterkriegen. Die Marke Eigenbau und Vorkriegsbestände dominierten. Unsere ersten Rennräder der tschechischen Marken Favorit und Tourist erhielten wir vom Verband, nachdem wir bereits erste nationale und internationale Erfolge aufweisen konnten." Ein Diamant-Rad mit Achtgang-Schaltung war schließlich die Krönung, erinnert sich Deckert, der seine Jungen in den ersten Jahren auf einem Motorroller der Marke "Wiesel", später auf einem Trabant "Kübel" begleitete. Langsam ging es bergauf. "Als BSG Chemie Piesteritz wurden wir vom Stickstoffwerk mit 13.000 bis 14.000 Mark bezuschusst. In den 1980er Jahren erhielten wir schließlich zwei Kleinbusse. Die Wettkämpfe führten uns nahezu in die gesamte DDR", erinnert sich der 76-Jährige.

Weltmeister aus Piesteritz

Viele Namen sind inzwischen vergessen. Rückblickend sind dies unter anderem Lothar Meister (fünfmaliger Friedensfahrtteilnehmer und Gesamtzweiter der Tour 1951 sowie Weltmeister bei der Steher-WM 1958), die ehemaligen Friedensfahrtteilnehmer und Mitglieder der Nationalmannschaft Wolfgang Grabo, Manfred Brüning, Günter Lörke, Lothar Höhne und der zweimalige Weltmeister (1967 und 1969) im Einer-Kunstradfahren, Gerhard Blotny. Andere Namen sind wesentlich präsenter. Mit dem WM-Titel 1983 in der Schweiz war es Uwe Raab, der in der Lutherstadt eine Radsport-Euphorie auslöste. Ein Piesteritzer Eigengewächs hatte den Thron in dieser populären Sportart erobert!

Kontakt ist geblieben

Ein Teil dieses Triumphes hat Raab seinem ehemaligen Übungsleiter Günther Deckert zu verdanken, der sein Talent frühzeitig erkannte und förderte. Bis heute sind der in der Lutherstadt wohnende Raab und sein erster Trainer freundschaftlich verbunden. Stets bekam Deckert eine Karte von Wettkampf- und Trainingsreisen Raabs aus allen Kontinenten. "Wie gern wäre ich bei der WM 1983, als Uwe den Titel in Bern gewann, dabei gewesen. Damals war mir dies nicht vergönnt." Vielleicht war es ein schwacher Trost, als Deckert 1988 mit dem Titel "Meister des Sports" geehrt wurde.

Fleißige Brüder Grabsch

Zusammen mit Christoph Jaekel trainierte Deckert in den 1980er Jahren im Trainingszentrum den Nachwuchs. Dazu zählten auch die Gebrüder Grabsch aus Seegrehna.

"Bert und Ralf Grabsch waren sehr trainingsfleißig und ehrgeizig. Man brauchte sie nicht extra zu motivieren. Sie wussten, worauf es ankam. Als Bert 2008 Weltmeister wurde, sah ich mir mit Familie Grabsch die Fernsehübertragung an. Der Jubel kannte keine Grenzen", schildert Deckert noch jedes Renndetail. Akribisch hat er in zahlreichen Alben sein Leben als Radsportübungsleiter (die Trainerlizenz erhielt er 1992) und die Erfolge seiner Schützlinge aufgearbeitet. Noch heute vergeht kaum ein Tag, an dem der drahtige Senior nicht seine 60 bis 70 Kilometer auf dem Rad zurücklegt. Darüber führt er Buch. Sein Spitzenwert stammt aus dem Jahr 2007 mit 9.130 Kilometer. Im vergangenen Jahr waren es "nur" 6 837.

Deutliche Ansage

Sein Blick geht Richtung Zukunft. "Ich wünsche mir, dass es mit dem Radsport wieder aufwärts geht, auch ohne Doping. Gutes Material und Rennmaschinen gibt es inzwischen zu Genüge. Doch dazu gehören auch Menschen, die bereit sind, sich zu quälen." Gegenwärtig bemüht sich der RSV Wittenberg unter Michael Strache darum, an diese Traditionen anzuknüpfen. Ein Rundstreckenrennen Anfang Mai durch Wittenbergs Altstadt zählt dazu. Integriert ist diese Veranstaltung in die Radsporttage, mit Generali-Cup, kleiner Friedensfahrt und Regio Pedale. Der Kreissportbund und der RSV leisten in der Vorbereitung ganze Arbeit. Der 76-Jährige hat zudem noch einen Traum. Warum sollte die Tour des France im Jahr 2017 nicht durch Lutherstadt rollen? "Träumen ist schließlich erlaubt."