Gesundheit im Landkreis Wittenberg Gesundheit im Landkreis Wittenberg: Problemfall Hausarzt
Wittenberg - Erneut ist es in Wittenberg passiert, dass ein Neuzugezogener zunächst keine hausärztliche Versorgung erhalten hat. Im aktuellen Fall handelt es sich um einen 56-Jährigen (Name der Redaktion bekannt), der nach 30 Jahren in seine alte Heimat zurückgekehrt ist. Kurz nach seiner Ankunft in Wittenberg im August sei er trotz akuter Beschwerden von mehreren Praxen abgewiesen worden - mit der Begründung, man sei ausgelastet.
Immerhin in einem Fall sei er von einer niedergelassenen Ärztin „mit dem RTW“ in die Notaufnahme des Krankenhauses geschickt worden (die er zuvor schon einmal selbst aufgesucht hatte). Wie die Rechtslage ist und was Patienten tun können, wenn sie keinen Arzttermin bekommen, wollte die Mitteldeutsche Zeitung von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) wissen.
Ist es zulässig, dass niedergelassene Ärzte Patienten abweisen?
Auch ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Arzt oder Ärztin darf die Übernahme einer Behandlung eines gesetzlich versicherten Patienten aus besonderen Gründen ablehnen. Als solche besonderen Gründe sind z. B. eine Störung des Arzt-Patientenverhältnisses oder aber auch eine Überlastung anerkannt. Eine Notfallbehandlung darf jedoch nicht abgelehnt werden.
Erst im Juli hat die MZ den Fall von Klaus Krupa geschildert. Nachdem die Hausärztin des Piesteritzers in den Ruhestand gegangen war, kämpfte er für seine Frau und sich lange um einem Termin bei einem neuen Hausarzt. Immer wieder sei ihm gesagt worden, man nehme keine neuen Patienten. Anfang September war ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung im Gesundheitsausschuss des Kreises. Dort ging es im Hinblick auf (haus)ärztliche Versorgung auch um die Prognose, dass es eher schwieriger als einfacher werden dürfte.
Gibt es von Seiten der KV dazu eine Regelung?
Das oben Gesagte ergibt sich aus Rechtsprechung und Rechtslehre, welche ihren Ursprung in Regelungen des Sozialgesetzbuches, fünftes Buch, und darauf beruhender Normen hat.
Wann dürfen niedergelassene Ärzte die Behandlung ablehnen?
Folgende Fallkonstellationen sind u. a. anerkannt: Der gesetzlich versicherte Patient (älter als 18 Jahre) kann die Gesundheitskarte nicht vorlegen. Es besteht eine Überlastung der Arztpraxis. Der Arzt müsste bei Übernahme der Behandlung seine Fachgebietsgrenzen überschreiten. Eine zu große Entfernung zum Wohnsitz bei Patienten, bei denen mit Hausbesuchen zu rechnen ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten ist gestört, z. B. durch Schuldvorwürfe an den Arzt oder durch Nichteinhaltung ärztlicher Behandlungsempfehlungen.
Was empfiehlt die KV Patienten in solchen Fällen?
Wir bieten auf unserer Internetseite eine tagaktuelle Arztsuche an. Leider kommt es aufgrund des bestehenden und fortschreitenden Ärztemangels vor allem im hausärztlichen Bereich immer wieder zu schwierigen Versorgungslagen. Dies führt dazu, dass Patientinnen und Patienten länger nach einem Hausarzt suchen müssen oder eine hausärztliche Versorgung weiter entfernt zumindest übergangsweise in Anspruch nehmen müssen. Die KVSA kann versuchen, Hilfestellungen zu geben. Die Patienten sollten sich dann über die Telefonnummer 0391/6277349 an uns wenden.
Wie ist die hausärztliche Situation in Wittenberg und der näheren Umgebung?
In dem für Ihre Anfrage maßgeblichen Planungsbereich „Mittelbereich Wittenberg“ sind Hausärzte im Umfang von 59,25 Versorgungsaufträgen tätig. Davon 37,0 in der Lutherstadt Wittenberg. Zwar ist die Anzahl der Versorgungsaufträge in diesem Bereich in den letzten zwei Jahren um 0,75 angestiegen, jedoch ist gleichzeitig die Anzahl der versorgten Patienten überdurchschnittlich stark angewachsen. Hier wird das hohe Engagement der Hausärzte deutlich. Insbesondere auch mit Blick auf die bundesweiten Patientenzahlen. Schon jetzt versorgt ein Hausarzt in Sachsen-Anhalt durchschnittlich ein Viertel mehr Patienten als im Bundesdurchschnitt.
Und wie sieht die Altersstruktur aus?
Der Anteil der Hausärzte im Mittelbereich Wittenberg, die älter als 60 Jahre sind, liegt bei 36,5 Prozent. Hier ist zu befürchten, dass zukünftig nicht für jede Praxis ein Nachfolger gefunden werden kann, da allein jetzt schon in Sachsen-Anhalt über 150 Hausarztstellen frei sind und besetzt werden könnten.
Was kann gegen den Ärztemangel getan werden?
Um dem Ärztemangel entgegenzuwirken, arbeitet die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt schon seit geraumer Zeit an der Stärkung des ärztlichen Nachwuchses. Die Maßnahmen setzen bereits im Medizinstudium an, wo neben Stipendien auch praktische Studienzeiten gefördert werden. Bisher wurden z. B. 124 Stipendien durch die KVSA vergeben. Diese Stipendien sind mit der Verpflichtung für die Studierenden verbunden, in Sachsen-Anhalt in schlecht versorgten Gebieten tätig zu werden. Damit fördern wir die Chance, von den circa 400 Medizinstudierenden je Jahrgang an Sachsen-Anhalts Universitäten einen spürbaren Teil für die kassenärztliche Tätigkeit in unserem Land zu gewinnen.
Welche Anreize können noch geboten werden, die Medizinstudenten zu einer hausärztlichen Tätigkeit in einer ländlichen Region veranlassen?
Es sind nicht allein die finanziellen Anreize. Vielmehr muss bereits in der Ausbildung der ambulanten Versorgung, insbesondere der Allgemeinmedizin, eine größere Bedeutung zukommen. Studierende müssen die Gelegenheit haben, die ambulante Tätigkeit im Rahmen des Studiums kennenzulernen, um sie frühzeitig als eine Möglichkeit der ärztlichen Tätigkeit in die Zukunftsperspektive einzubeziehen. Den Masterplan 2020 und die darin beschriebenen Forderungen unterstützen wir insofern vollumfänglich. Darüber hinaus wird die Facharzt-Weiterbildung im ambulanten Bereich gefördert. Im Rahmen der Praxisübernahme oder Gründung einer Praxis stehen weitere Möglichkeiten der Förderung durch die KVSA zur Verfügung.
Anmerkung der Redaktion: Der eingangs erwähnte 56-Jährige, der sich mit seiner Geschichte an die MZ gewandt hatte, hat inzwischen eine Hausärztin gefunden. (mz)