1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Treffen mit dem Lebensretter: Treffen mit dem Lebensretter: Genetische Zwillinge liegen sich weinend in den Armen

Treffen mit dem Lebensretter Treffen mit dem Lebensretter: Genetische Zwillinge liegen sich weinend in den Armen

Von Ingo Kugenbuch 19.08.2019, 08:46
Genetische Zwillinge: Mario Scharfe und der sechsjährige Riley auf dem Baseball-Platz.
Genetische Zwillinge: Mario Scharfe und der sechsjährige Riley auf dem Baseball-Platz. Mario Scharfe

Wernigerode/Rockwall - Als Stephanie Moss das Haus im texanischen Rockwall betritt, ahnt sie noch nichts. „Wir haben hier jemanden“, sagt Tante Mana. Dann steht da mitten im Raum Mario Scharfe, 33, aus Wernigerode im Harz. Und Stephanie Moss schreit. „Oh my God!“, ruft sie und stürzt auf Scharfe zu, umarmt ihn. Und immer wieder: „Oh my God!“

Sie hat soeben zum ersten Mal den Mann getroffen, der das Leben ihres jetzt sechsjährigen Sohnes Riley gerettet hat. Da schreit man eben.

Treffen mit dem Lebensretter: Immunsystem aus dem Gleichgewicht geraten

Als Riley ein Baby war, diagnostizierten die Ärzte bei ihm die seltene Krankheit Hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH). Sein Immunsystem war komplett aus dem Gleichgewicht geraten, griff das eigene Knochenmark an.

Die einzige Heilungsmöglichkeit der Krankheit, die meist durch defekte Gene entsteht: Der Patient bekommt ein neues, intaktes Immunsystem - durch eine Knochenmark-Transplantation. Riley hatte Glück: In Wernigerode, im  Oberharz-Örtchen Benneckenstein,  fand man für ihn einen genetischen Zwilling und damit den passenden Spender.

Mario Scharfe ließ sich am 1. August 2013 in Köln 800 Milliliter Knochenmark aus dem Beckenkamm entnehmen - und rettete damit das Leben des sechs Monate alten Säuglings in Texas. Heute ist Riley ein gesunder Junge, der bei den Mineola Bombers Baseball spielt.

Treffen mit dem Lebensretter: Tante hat die Reise organisiiert und bezahlt

Die 77-jährige Tante Mana, die Tante von Rileys Vater Daylon, hat Scharfes Reise nach Texas und das Zusammentreffen exakt sechs Jahre nach der Knochenmarkspende organisiert und bezahlt - eine Überraschung. Für Riley sind die Überraschung - und die schreiende Mutter - zunächst zu groß.

„Der Kleine hatte am Anfang Angst und ist weggerannt“, erinnert sich Scharfe, der wieder zurück im Harz ist und beim Gespräch mit der MZ mit einem roten Mineola-Bombers-Cap in einem Wernigeröder Café sitzt.

„Am Ende lagen wir uns alle weinend in den Armen“, sagt Mario Scharfe.

Für ihn, den Maschinenbediener beim Schreibgerätehersteller Schneider in Wernigerode, war es der erste Flug, die erste große Reise.

Mit United Airlines ging es am 31. Juli von Frankfurt nach Dallas. Beim Zwischenstopp in Chicago betritt der schmächtige Mann zum ersten Mal amerikanischen Boden. „Ich bin raus und habe geschnuppert“, sagt Scharfe und kräuselt die Nase. „Es war eine andere Luft. Da habe ich gewusst: Jetzt bist du in Amerika.“

In Dallas begrüßen Tante Mana und ihre Cousine den Mann aus dem Harz mit selbst gemalten Schildern: „Mario“ steht darauf geschrieben. Er verständigt sich mit ihnen auf Englisch und „mit Händen und Füßen“, wie er sagt.

Treffen mit dem Lebensretter: Alles ist viel größer

Die alten Damen fahren mit Mario Scharfe in eine gigantische Mall. Im Dschungelrestaurant des Einkaufszentrums gibt es Hühnchen mit Pommes frites und eine Coke. Die anschließende Fahrt in ein Villenviertel in Rockwall, wo die beiden alten Damen wohnen, beeindruckt Scharfe nachhaltig: „Alles ist größer, die Straßen breiter, die amerikanischen Autos... - das war ein cooler Moment.“

Nach einem dünnen amerikanischen Bier fällt Scharfe todmüde ins Bett. Der Jetlag und die Aufregung lässt die erste Nacht in Texas jedoch früh enden.

Um 7 steht Mario Scharfe auf, um 10 steht der Reporter der Lokalzeitung „Blue Ribbon News“ vor der Tür. „Mein Ruhepuls war auf 150, ich hatte schwitzige Hände“, erinnert sich Scharfe an den Morgen, an dem er Riley und dessen Eltern treffen sollte.

Treffen mit dem Lebensretter: Beim schüchternen Junge ist das Eis schnell gebrochen

Nach dem tränenreichen Aufeinandertreffen mit dem Mann aus Deutschland hält sich Riley zunächst im Hintergrund. „Der Junge war sehr, sehr schüchtern“, sagt Scharfe - bis sie am nächsten Tag gemeinsam in ein Spielhaus gehen.

„Da ist das Eis gebrochen“, sagt Scharfe. „Riley kam und sagte: ,Mario soll mit mir spielen‘“ Und als sie alle zusammen am Abend ein Spiel der Texas Rangers besuchen und nach dem Sieg der Rangers ein zehnminütiges Feuerwerk im heißen texanischen Himmel abgebrannt wird, da sind sie sich einig: „Dieses Feuerwerk war nur für uns.“

Treffen mit dem Lebensretter: Überraschungen zum Geburtstag

Ehe Mario Scharfe Texas am vergangenen Sonntag wieder verlässt, wird er an seinem 34. Geburtstag am 9. August noch einmal verwöhnt: Die Tante schenkt ihm ein iPad, Rileys Eltern einen ledernen Cowboyhut, es gibt eine Überraschungsparty mit den Nachbarn.

Beim Abschied klammerte sich Riley weinend an Scharfes Bein. Nächstes Jahr will der Wernigeröder wieder nach Texas fliegen, das Jahr darauf kommt Familie Moss, so der Plan, in den Harz. „Ich bin kein Freund mehr“, sagt Scharfe, „ich bin jetzt ein Familienmitglied.“

*******************************************

Alle Informationen zu Stammzell- und Knochenmarkspenden unter www.dkms.de (mz)

So berichtete die texanische Lokalzeitung „Blue Ribbon News“.
So berichtete die texanische Lokalzeitung „Blue Ribbon News“.
Scharfe