1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Mutig bei Feuer und Qualm: Nach Gasexplosion in Blankenburg - Wie drei junge Menschen halfen: Mutig bei Feuer und Qualm

Mutig bei Feuer und Qualm Nach Gasexplosion in Blankenburg - Wie drei junge Menschen halfen: Mutig bei Feuer und Qualm

Von Benjamin Richter 26.12.2019, 14:56
Bei der Explosion in einem Plattenbau in Blankenburg (Harz) kam Mitte Dezember ein Mann ums Leben, 15 weitere Bewohner wurden teils schwer verletzt.
Bei der Explosion in einem Plattenbau in Blankenburg (Harz) kam Mitte Dezember ein Mann ums Leben, 15 weitere Bewohner wurden teils schwer verletzt. Dominique Leppin

Blankenburg - „Föhnen ist nicht möglich“, sagt Romina Preiß, „das stinkt für mich nach Rauch.“ Auch das Einschlafen, fügt die 18-Jährige hinzu, falle ihr ab und zu schwer. Zu frisch sind die Bilder in ihrem Kopf, die Dinge, die sie gesehen hat, als sie vor einer reichlichen Woche nach der Explosion in einem Blankenburger Wohnblock zur Ersthelferin wurde.

Brennende Wohnungen, Qualm im Treppenhaus und vor den Fenstern, Brandwunden: Um diese Eindrücke zu verarbeiten, stehen der jungen Frau seitdem Seelsorger zur Seite, an die sie sich immer wenden kann. „Psychisch geht es mir mittlerweile besser“, erklärt Preiß, die an jenem Freitag zu den ersten drei Helfern am Unglücksort gehörte.

Die schrecklichen Bilder vom Ort der Explosion bleiben im Gedächtnis

Unter den drei Ersthelfern, denen wenige Tage nach der Katastrophe Blankenburgs Bürgermeister Heiko Breithaupt (CDU) für ihren mutigen Einsatz dankte, ist auch Benjamin Schilling. Der 24-Jährige arbeitet in der Kindertagesstätte „Am Regenstein“ und blickte am Morgen des Unglücks zufällig aus dem Fenster des Gruppenraums, als er bemerkte, dass sich von der Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes ein großes, gelbes Teil löste.

„Es flog in der Luft, und dahinter flog Glas. Ich habe sofort gesehen, dass es Glas ist.“ Zahlreiche Splitter der Fensterscheiben aus dem Häuserblock liegen noch immer auf dem Rasen um das Gebäude.

Erst nach dieser Beobachtung, schildert Schilling, habe er den Knall gehört. Dann sei er nach draußen gerannt, wo er Romina Preiß getroffen habe, die ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Kita „Am Regenstein“ absolviert.

Um 8.55 Uhr, erinnert sich Schilling, habe er die Feuerwehr alarmiert. „In dem Moment habe ich gehofft, dass in der Wohnung keiner mehr drin ist“, beschreibt er. Gleich darauf seien Preiß, er selbst und der dritte Ersthelfer André Zinke, den sie vor dem Gebäude getroffen hatten, aber auf eine ältere Frau auf einem Balkon im ersten Obergeschoss aufmerksam geworden.

Eine Frau war vor den Flammen auf einem Balkon im ersten Obergeschoss geflüchtet

„Sie hat sich am linken Rand des Balkons hingesetzt“, berichtet Schilling, hinter ihr hätten Flammen aus der Wohnung geschlagen. Heute ist klar, dass es sich bei der 75-Jährigen wohl um die Ehefrau des bei der Explosion ums Leben gekommenen 78-jährigen Mieters der Wohnung handelt.

„Wir haben ihr zugerufen: ,Wir kommen jetzt hoch und helfen Ihnen!‘“, fährt Schilling fort. Zu dritt hätten sie den Wohnblock betreten und seien die Treppe hinaufgerannt.

In die betreffende Wohnung seien sie allerdings nicht weiter als zwei Schritte hineingekommen. „Da drin hat es überall lichterloh gebrannt“, beschreibt Schilling. Sie hätten kehrtgemacht und bei allen Nachbarn im Haus geklingelt. „Uns war klar, dass wir die Leute da herauskriegen müssen, vor allem die aus den oberen Wohnungen, weil der Rauch ja nach oben zieht“, sagt Romina Preiß.

Von der vierten Etage nach unten klingelten die Ersthelfer an allen Wohnungstüren

Die kleine Gruppe habe sich von der vierten Etage nach unten gearbeitet. Viele Wohnungen, merkt Benjamin Schilling an, hätten sie selbst betreten und nachsehen müssen, ob noch Menschen darin waren. „Gefühlt habe ich für jede Wohnung fünf Minuten gebraucht“, legt er dar, „dabei waren es in Wirklichkeit nur Sekunden.“

Insgesamt, so Schilling, hätten sie noch sechs Menschen aus dem brennenden Gebäude geholt. „Dann sind wir wieder raus und haben überlegt, wie wir die Frau von dem Balkon runterkriegen.“ Seine erste Idee, einen Bauzaun als Leiter zu verwenden, schlug fehl: Das Metallteil war zu kurz.

„Da wusste ich: Jetzt muss sie springen“, erklärt der Erzieher. Preiß habe ihre Jacke auf einem kugelförmigen Busch unterhalb des Balkons ausgebreitet und er und Zinke hätten die Arme aufgehalten, um die Frau zu fangen - was letztlich gelang. Die Rettungskräfte, die wenig später eintrafen, brachten die durch den Brand schwer Verwundete per Hubschrauber in die Spezialklinik Bergmannstrost nach Halle.

Ein kugelförmiger Busch bremst den Sprung der Frau vom ersten Obergeschoss

Um sich wieder auf den Blick aus dem Gruppenraum einlassen zu können, braucht Benjamin Schilling nun Zeit. Bis auf Weiteres ist er krankgeschrieben. „Den Kindern gegenüber muss ich ja mit einer gewissen Freude bei der Sache sein“, erklärt er. Das könne er im Moment noch nicht.

Hinter ihm und den beiden anderen Ersthelfern von Blankenburg, ergänzt er, liege ein einschneidendes Erlebnis. „Wir sind so etwas ja gar nicht gewohnt, wir sind nur ganz normale Menschen.“ Ebenso sei es ihm bei seinem entschlossenen Handeln nicht darum gegangen, anschließend als Held gefeiert zu werden. „Ich wollte nur den Menschen helfen.“ (mz)