Spurensuche mit Staubsauger Lehrgrabung Studenten MLU Halle-Wittenberg Burgruine Anhalt Harzgerode: Spurensuche mit Staubsauger

Harzgerode - Zweige knacken, ein laues Lüftchen lässt die Blätter rascheln. Und dann durchdringt das Geräusch eines Staubsaugers die waldige Ruhe. Das verbreitete Klischee vom zerstreuten Wissenschaftler, der vornehmlich mit Pinsel und still vor sich hin arbeitet, zerbricht, noch nicht mal an der Grabungsstelle angekommen.
„Wir holen hier auch schon mal die Spitzhacke raus“, sagt Archäologin Maria Albrecht, während ein junger Mann mit einer Axt in der Hand vorbeizieht. Sie und Anna Bartrow sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und leiten die Lehrgrabungen bei Harzgerode, unweit der Burgruine Anhalt.
Mit einem Dutzend Studenten sind sie vor ein paar Wochen in den Harz gekommen, um die Geschichte des vor 600 Jahren verlassenen Dorfes Anhalt weiter zu erforschen.
Seit 2017 finden in der früheren Siedlung Forschungs- und Lehrgrabungen statt
Gegraben wird in der einstigen, 1311 erstmals erwähnten Siedlung nicht zum ersten Mal. Seit 2017 finden hier jährlich Forschungs- und Lehrgrabungen der Universität in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie statt.
Im ersten Jahr stießen die Studenten auf einen Ofen zur Metallverarbeitung, im vergangenen nahmen sie einen Keller unter die Lupe. Dabei förderten sie mehr als 5.000 Funde zutage. „Das ist eine Hausnummer“, sagt Albrecht, und „die meiste Arbeit haben wir ja nicht im Feld, sondern hinterher.“ Dann müssten die Funde gereinigt, inventarisiert und ausgewertet werden.
Über mangelnde Beschäftigung im Nachgang werden die Grabungsteilnehmer auch in diesem Jahr nicht klagen können. Denn schon jetzt – und die Überreste des Dorfes werden noch bis zum 20. September untersucht – lässt sich von einer reichen Ausbeute sprechen.
Als eines der herausragenden Stücke präsentieren die Grabungsleiterinnen Teile einer Schere. Nach Jahrhunderten in der Erde ist ihre Form unverkennbar. Gefunden wurden auch ein Messer – Klinge und Mittelteil sind erhalten –, ein Axtblatt, Hufeisen, ein Sporn, wie ihn Reiter genutzt haben, um ihre Pferde anzutreiben.
„Und eben“, sagt Albrecht und zeigt auf ein Tütchen, das sie mit einem Stein beschweren musste, damit es nicht wegfliegt, „kam das Bruchstück einer Münze rein“. Es ist nicht mal fingernagelgroß. Dazu kommen verschiedene Schnallen, darunter eine mit Kerben verzierte Bronzeschnalle, ein tönerner Wirtel – so wird das Gewicht an einer Handspindel bezeichnet – und Scherben über Scherben: von Gebrauchsgegenständen, Koch- und Schankgeschirr, teils sind sie hübsch verziert.
Als das Dorf aufgegeben wurden, kamen die Kirchenglocken nach Harzgerode
Angefangen wurde an der Stelle, an der die Studenten im vergangenen Jahr aufgehört haben. Einige sind wieder dabei, für andere ist der Einsatz eine Premiere – unter realen Bedingungen. Sie gehen dabei schichtweise vor; und stoßen dabei auch auf Grundmauern – alte Kellerwände.
Um zu erkennen, dass hier mal gesiedelt wurden, müssten sie allerdings nicht mal graben. Was der Laie nicht ausmachen kann, ist für Experten offensichtlich: etwa, dass der bewachsene Hügel mal eine Kirche war. Deren Glocken wurden, nachdem das Dorf aufgegeben worden war, 1440 nach Harzgerode gebracht.
Sie erkennen Überreste eines alten Brunnens, frühere Wegstrukturen - und in den Senken im Gelände Hausstellen. Die Topografie dieses Waldstückes, so Albrecht, verrate schon allerhand. Die Grabungen dienten dazu, noch tiefer einzutauchen in die Geschichte, herauszufinden, wie lang das Dorf existiert habe – und auch der Metallurgie auf die Spur zu kommen, erklärt sie.
Mithilfe geomagnetischer Messungen werden Verfüllungen aufgespürt
Dazu gibt es auch noch eine zweite Grabungsstelle auf einer kleinen Lichtung. Geomagnetische Messungen wurden hier vorgenommen, Störungen im Erdmagnetfeld registriert - Zeichen dafür, dass es Verfüllungen gibt.
„Die Studenten lernen hier jeden Schritt, wie gegraben und wie dokumentiert wird“, erklärt Bartrow. Nur beeilen müssen sie sich nicht: „Bei Forschungsgrabungen hat man mehr Zeit als auf einer Baustelle.“ (mz)


