Gleise der Harzer Schmalspurbahnen Gleise der Harzer Schmalspurbahnen: Die werden gut durchgerüttelt

Strassberg - „Probier mal“, funkt ihn sein Kollege an. Es gab Probleme mit einem der beiden Haken, die das Gleis samt Schwellen anheben. Die sollten jetzt behoben sein. „Nicht erschrecken“, sagt Bryan Worch, der am Bedienpult in der Gleisstopfmaschine sitzt, „es wird laut“. Dann probiert er. „Ich gehe jetzt unter den Fuß“, erklärt der gelernte Gleisbauer. Und mit Fuß meint er den unteren Teil der Schiene, den, der aufliegt.
Vier stählerne Stopfpickel bohren sich in den Schotter
Sein Blick ist auf einen kleinen Monitor gerichtet. Mit einem Joystick manövriert er die Haken; die greifen die Schiene und heben sie 15 Millimeter an. Dann bohren sich vier stählerne Stopfpickel in den Schotter; sie schwingen mit einer Frequenz von 35 Hertz, verdichten den Schotter unter den Schwellen. Dabei werden auch die Gleise wieder ausgerichtet. Millimetergenau.
Dafür wurde die Strecke vorher schon mal abgefahren, die Lage der Gleise exakt vermessen und so ermittelt, ob sich etwas nach rechts oder links verschoben oder in der Höhe geändert hat. Die Messwerte sind aber nur das eine. Ein bisschen Gefühl gehöre schon auch dazu, sagt Worch, der von seinem Platz aus „nur das Nötigste sieht“.
Dann bewegt sich der gelbe Stopfzug ein paar Zentimeter weiter – und das Spiel beginnt von vorn. Heben, Rütteln, weiter. 300 bis 400 Meter kann die Gleisstopfmaschine so zurücklegen.
„Für den Laien sieht danach nichts anders aus“
Noch bis Mitte Dezember sind die Mitarbeiter der Erfurter Gleisbau GmbH im Harz im Einsatz, Ende vergangener Woche waren sie in Staßberg. Wenn sie fertig sind, werden sie insgesamt fünf Kilometer Gleise gestopft haben, einen Kilometer auf der Brockenstrecke und jeweils zwei auf den Strecken der Harzquer- und der Selketalbahn.
„Für den Laien sieht danach nichts anders aus“, sagt Heide Baumgärtner von der Harzer Schmalspurbahnen GmbH. Allenfalls der neue Schotter fällt ins Auge. Vom Steinbruch bei Eisfelder Talmühle wurde er schon vorab an die Einsatzstellen gefahren. Den Rest erledigt ein Zwei-Wege-Bagger, der sowohl auf der Straße als auch auf Gleisen fahren kann. Mit ihm werden die durch das Verdichten entstandenen Lücken mit Schotter aufgefüllt.
Das Gleisstopfen ist in regelmäßigen Abständen nötig. Aus Sicherheitsgründen und wegen des Fahrkomforts. Vor allem durch Wasser, Frost und auch Wurzeln würden Gleise und Unterbau geschädigt, sagt Baumgärtner. Die logische Folge: „Die Gleise liegen irgendwann nicht mehr richtig.“
Gleise waren 30 Jahre lang stillgelegt
Würde man nichts dagegen unternehmen, hätte das Folgen: Zunächst müsste die Geschwindigkeit der Züge schrittweise herabgesetzt werden, und nach geraumer Zeit wären die Strecken gar nicht mehr befahrbar.
Dass Gleise Pflege brauchen, zeigte sich auch Anfang der 1990er Jahre zwischen Schierke und dem Brockenbahnhof. Für beinahe 30 Jahre war der Personenverkehr auf den höchsten Harzgipfel zu dem Zeitpunkt eingestellt. Die Gleise lagen zwar noch, aber ihr Zustand war denkbar schlecht, „die Geschwindigkeit auf null“.
Wenngleich es bei den Schmalspurbahnen nicht um Hochgeschwindigkeiten geht. Zwischen Quedlinburg und Gernrode erreichen die Züge ihre Spitze – 50 Kilometer pro Stunde. Auch zwischen Nordhausen und Ilfeld kann als Höchstgeschwindigkeit 50 gefahren werden.
#villbild
Auf allen anderen Strecken sind sie langsamer unterwegs, mit 25 bis 30 Kilometer pro Stunde fahren die Züge auf den Brocken, ein ähnliches Tempo haben sie im Selketal. „Die Streckentopographie lässt gar nichts anderes zu“, sagt Baumgärtner.
Die Gleisstopfarbeiten sind dieser Tage nicht die einzigen entlang der Strecke, wenngleich das Gros erledigt ist: Den November nutzt das Unternehmen traditionell für Instandhaltungsarbeiten, nicht nur an den Dampfloks. So wurde Bewuchs entfernt, bei Sorge mussten Fichten gefällt und an Bahnübergängen Beläge erneuert werden; auch einiger Durchlässe nahmen sich die HSB-Mitarbeiter an. „Eigentlich hatten wir noch vor, zwei Kilometer Gleise komplett zu erneuern“, sagt HSB-Sprecher Dirk Bahnsen. Doch das Vorhaben musste erst mal auf Eis gelegt werden – auch aus finanziellen Gründen.
Nur drei Maschinen deutschlandweit
Aber zurück nach Straßberg, wo die Gleisstopfmaschine inzwischen den Bahnübergang am Haltepunkt Glasebach erreicht hat. In ganz Deutschland gebe es nur drei Maschinen dieser Art, die auf Schmalspurstrecken unterwegs seien, so Bahnsen, „sie stehen deshalb nicht immer zur Verfügung“ - weshalb die Arbeiten oft gar nicht im November stattfinden könnten, erst recht nicht am helllichten Tag. Um den Zugverkehr nicht zu beeinträchtigen, werden sie meist auf die Abend- und Nachtstunden verschoben. Nur diesmal gab es nichts zu berücksichtigen. Mit der Verlängerung des Teil-Lockdowns dampft auch im Dezember nichts.
Mit einem Tieflader werden die Gleisstopfmaschinen an ihren Einsatzort gebracht. Und weil ihre Spurweite verstellbar ist, können sie sowohl auf einem 750-Millimeter-Gleis zum Einsatz kommen, auf dem beispielsweise die Kleinbahn auf Rügen, der „Rasende Roland“, fährt, auf 900 Millimetern, wie bei der Bäderbahn „Molli“ in Mecklenburg-Vorpommern – und eben auch auf der Meterspur im Harz. (mz)


