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Explosion in Blankenburg Explosion in Blankenburg: Nach dem tödlichen Unglück bleiben viele Fragen

Von Ingo Kugenbuch 13.12.2019, 19:26
Nach der Explosion brannte es.
Nach der Explosion brannte es. dpa

Blankenburg - Oliver Meyer ist im Bäcker bei Edeka gestrandet. Der 26-Jährige sitzt dort, trinkt seinen Kaffee und ist ratlos. „Ich komme gerade von Montage im VW-Werk in Wolfsburg“, sagt er. „Und jetzt kann ich nicht mehr in meine Wohnung.“ Er wohnt in dem Plattenbaublock in der Bertolt-Brecht-Straße in Blankenburg (Landkreis Harz), wo ein paar Stunden zuvor vermutlich mehrere Gasflaschen explodiert sind.

Meyer guckt hilflos an sich herunter auf seine Arbeitsklamotten. „Ich habe nicht mal andere Sachen dabei.“ Etwas besser erging es wohl dem Mann der Bäckereiverkäuferin. Er habe zumindest noch seine Medikamente aus der Wohnung holen dürfen, ehe er den Block verlassen musste, berichtet die Frau an der Theke. Sie selbst stand um kurz vor 9 Uhr in der Bäckerei, als es 100 Meter weiter knallte. „Die Tassen im Regal“, sagt sie, „haben geklirrt.“

Explosion in Blankenburg: Polizei findet Toten in Unglückswohnung

Als sie das berichtet, liegt der Tote noch in seiner Wohnung. Es ist zunächst nicht möglich, ihn zu bergen. Die Explosion hat die Betonplatten des Fünfgeschossers im Wohngebiet „Regenstein“ beschädigt. Blankenburgs Bürgermeister Heiko Breithaupt, der mit 19 Mitarbeitern der Stadtverwaltung in der Bertolt-Brecht-Straße unterwegs ist, spricht von „einem Bild der Verwüstung“.

Und tatsächlich ist von der betroffenen Wohnung nur noch ein schwarzes, klaffendes Loch übrig. Das Fenster neben dem Balkon hat es regelrecht hinausgeblasen. Auch die Wohnung darüber sieht nicht viel besser aus. Auch sie ist schwarz verrußt und augenscheinlich schwer beschädigt von der Explosion und dem anschließenden Feuer.

Explosion in Blankenburg richtet riesige Schäden an

Auf der anderen Hausseite sehen die Fenster der kaputten Wohnung aus, als seien sie nach außen gekrempelt worden. Die Wucht der Detonation führt zu bizarren Bildern: Auf der Balkonseite sind bei einem weißen Renault Twingo die beiden hinteren Scheiben zerstört, und auf der Rückbank liegt eine Zimmerpflanze. Ist sie aus dem Haus dort hineingeflogen?

Auf der anderen Seite des Blocks hat die Explosion Gardinen und Teile der Fenster in die Birken geschleudert. Hier hängen sie nun wie makabres Lametta. Und auf dem Rasen sind Küchenutensilien - etwa eine orangefarbene Schüssel - verteilt. Als die Feuerwehr am Morgen am Explosionsort eintraf, lagen drei Bewusstlose vor dem Haus. Waren es Passanten, die von der Druckwelle überrascht wurden, oder hinausgeschleuderte Bewohner des Hauses? „Wir können es nicht sagen“, so Blankenburgs Feuerwehrchef Alexander Beck.

Nach Explosion: Plattenbau in Blankenburg vorerst unbewohnbar

Niemand weiß am Mittag, ob man unbeschadet das Haus betreten kann. Das Technische Hilfswerk wollte im Laufe des Tages prüfen, ob der Wohnblock noch standfest ist oder ob es statische Probleme gibt. Dazu sei ein Messsystem installiert worden, das anzeigt, ob sich die Betonplatten verschieben, berichtet Lars Deuter vom THW Ortsverband Quedlinburg. Das Haus werde für Wochen unbewohnbar sein, heißt es am Abend.

Um kurz vor 11 Uhr, also zwei Stunden nach der Explosion, stehen noch immer zwei Feuerwehrleute auf ihrer Drehleiter und spritzen Wasser in die Wohnung. Es sind die letzten Züge der Löscharbeiten. Auf dem Rasen vor dem Haus liegen Atemschutzgeräte im Gras. Davor stehen erschöpfte Feuerwehrleute, rauchen, trinken Vita-Cola. 78 von ihnen von verschiedenen Feuerwehren aus dem Harz sind an diesem Tag im Einsatz. Überall in der Regensteinsiedlung zuckt Blaulicht.

Explosion löst Großeinsatz in Blankenburg aus

Nach Angaben von Bürgermeister Breithaupt sind außer den Feuerwehren und der Stadtverwaltung 32 Mitarbeiter des Rettungsdienstes, 23 THW-Leute und 85 Polizeibeamte im Einsatz. Die Zusammenarbeit, sagt Breithaupt, sei mustergültig gewesen. Landrat Martin Skiebe bestätigt das. „Wir haben einen Stab für außergewöhnliche Ereignisse gebildet“, sagt er. „Es hat sich gezeigt, dass unsere Einsatzkräfte sehr gut aufgestellt sind.“

Die Betroffenen seien gut versorgt, sagt Skiebe. Sie wurden in einer Kita und der Grundschule „Am Regenstein“, einem freundlichen Neubau, untergebracht. Während die Kinder dort von ihren aufgeregten Eltern abgeholt werden, werden die in Sicherheit gebrachten Bewohner des Blocks in der Brecht-Straße von der Polizei abgeschirmt. „Sie sitzen dort und trinken Kaffee, überwiegend ältere Leute“, sagt Polizeisprecher Marco Kopitz. „Der Schock sitzt bei ihnen tief.“

Nach Explosion mit einem Toten bleiben viele Fragen

Später, um kurz nach 13 Uhr, findet in der Schule, im dritten Stock, eine Pressekonferenz statt. In einem Zimmer mit bunten Kinderzeichnungen an der Wand und winzigen Stühlchen drängeln sich zwei Dutzend Pressevertreter aus ganz Deutschland. Mindestens zwei der Sender berichten live von der Pressekonferenz, die letztlich auch nicht die entscheidende Frage klären kann: Warum hat der 78-jährige Mann seine Wohnung mit Propangas geheizt?

Wie der Harzer Kripochef Frank Götze sagt, habe man eine ganze Reihe von Gasflaschen sowie eine entsprechende Heizungsanlage gefunden - obwohl das komplette Haus mit Fernwärme versorgt wird. Jeder Mieter habe die Heizung nach den eigenen Wünschen regulieren können, beteuert der Vertreter des zuständigen Wohnungsunternehmens. Ist es dem Mann, dessen Frau bei der Explosion offenbar schwere Brandverletzungen erlitten hat, trotz der eingebauten Heizung zu kalt gewesen? Fakt ist: Diese Art des Heizens ist verboten.

Explosion im Plattenbau: Heizte Anwohner mit Propangas?

Die Spezialisten der Polizei werden jetzt untersuchen müssen, warum in der Wohnung eine Gasheizung installiert war und was sie zur Explosion brachte. Bei einem ähnlichen Fall, der sich im Februar 2018 nicht einmal 20 Kilometer entfernt in Halberstadt ereignet hat, war ein 84-Jähriger bei der Explosion der Gasheizung in seinem Haus ums Leben gekommen. Wie später herauskam, hatte jemand die Gasuhr so manipuliert, dass durch einen Funken eine Detonation ausgelöst worden ist. Da der Tote im Keller in der Nähe der Heizung gefunden wurde, deutete alles auf einen Suizid hin.

Wie viele Katastrophen brachte auch die Hausexplosion in Blankenburg ihre Helden hervor: Zwei unbekannte Männer und eine Frau, teilte am Abend die Polizei mit, fingen eine Hausbewohnerin auf, die in ihrer Not auf der Flucht vor den Flammen aus dem ersten Stock sprang. (dpa)

Landrat Martin Skiebe
Landrat Martin Skiebe
Junghans
Die Rettungsdienste sind mit 32 Mitarbeitern im Einsatz.
Die Rettungsdienste sind mit 32 Mitarbeitern im Einsatz.
dpa
Die Wucht der Explosion hat Gardinen und Fensterteile in die Birken geschleudert.
Die Wucht der Explosion hat Gardinen und Fensterteile in die Birken geschleudert.
dpa
Wo der Balkon war, gähnt nun ein schwarzes Loch.
Wo der Balkon war, gähnt nun ein schwarzes Loch.
dpa