"Escape Room" in Wernigerode "Escape Room" in Wernigerode: Nervenkitzel in der Zelle

Wernigerode - Man, ist das dunkel hier drin. Die ursympathische Julia Ivancenco von eben tut auf einmal recht gleichgültig. „Vielleicht findet ihr ja etwas, um Licht zu machen“, sagt sie, dreht sich um und lässt die dunkle Holztür hinter sich hörbar ins Schloss fallen. Das war’s. Wir sind eingeschlossen. Und als ob das nicht schon genug wäre, ist auch noch die Mafia hinter uns her. Das Spiel beginnt.
Zehn Minuten vorher: Ankunft in der Klintgasse 3 in Wernigerode. Hier, mitten in der Altstadt, betreibt die aus Rumänien stammende 34-Jährige seit Mai ihr Escape Room Game: „Harz Escape“. Escape Rooms sind Fluchträume - und der Name ist Programm: Das Ziel besteht darin, sich aus dem Raum zu befreien, dazu müssen die Spieler Rätsel lösen, Zahlencodes knacken, Schlösser öffnen - kurzum: Detektiv spielen.
Bei Julia Ivancenco haben Ratefüchse die Wahl zwischen zwei Räumen: einem mittelschweren Raum für zwei bis fünf Spieler - „Die Elemente“ - und dem, in dem wir uns gerade befinden, und von dem die Betreiberin sagt: „Da kommt nur die Hälfte wieder raus.“ Was für Aussichten! Denn für uns gibt es kein Zurück mehr, wir sind mittendrin - im New York der 30er Jahre. Der Fall von Vito Genovese ist unserer.
Und der Raum - unser Ermittlerbüro - inzwischen hell erleuchtet. An einem Haken an der Wand hängen Hut und Mantel, gegenüber ein paar Bilder, die rot-goldfarbene Ornamenttapete durchbrechend. Ein uralter Rundfunkempfänger dudelt vor sich hin; während unsere Blicke auf den antik-rustikalen Schreibtisch fallen, der den Raum dominiert und von dem Julia Ivancenco erzählt hat. Lange habe sie nach genau so einem gesucht.
Bei einem Antiquitätenhändler in Quedlinburg sei sie irgendwann fündig geworden. Als absolute Escape-Room-Neulinge halten wir uns erst mal an das, was uns die Spielleiterin vorab geraten hat: „Durchsucht alles und öffnet, was sich öffnen lässt!“ Und so kramen wir uns voran, packen alles, was uns irgendwie wichtig erscheint und später noch von Nutzen sein könnte, auf einen Fleck, entwirren die ersten Fallstricke und verheddern uns im nächsten. Ein Kartenspiel bereitet uns Kopfzerbrechen. Das merkt auch Julia Ivancenco und schreitet ein. Unaufgefordert - wir hätten klingeln können, neigen aber beide zum Eigensinn - lässt sie uns nach 20 Minuten einen ersten Hinweis zukommen. Und siehe da: Der hilft tatsächlich!
Der Raum ist videoüberwacht. Sie verfolgt also jeden unserer Schritte, hört, was wir sagen, und weiß daher genau, an welcher Stelle im Spiel wir uns gerade befinden. „Wie viel Hilfe ich gebe, ist abhängig davon, wie viele Personen gerade spielen und wie oft sie das schon gemacht haben“, erklärt sie, „erfahrenen Spielern sage ich gar nichts“ - so auch nicht dem Pärchen, das den Fall von Vito Genovese unlängst in sage und schreibe 31 Minuten und 49 Sekunden gelöst hat. Rekord! Vorher lag er bei 41 Minuten und 48 Sekunden. Die beiden, sagt Julia, hätten schon an die 100 Räume gespielt, mehr als sie selbst.
Das Zeitgefühl geht flöten im Raum
Die ersten Live Escape Games - Vorbild waren Computerspiele - sind 2007 in Japan entstanden. Daraus entwickelte sich der Freizeittrend, der sich seit nunmehr drei Jahren auch in Deutschland Bahn bricht. Inzwischen soll es hierzulande mehr als 130 Anbieter geben. Allein zwei sind es in Wernigerode. Neben „Harz Escape“ gibt es mit den „Harz Games“ im Gießerweg noch eine weitere Anlaufstelle für Escape-Room-Gamer.
Julia Ivancenco stört das aber nicht. Im Gegenteil. „Ein Escape Room ist kein Restaurant, wo man immer wieder hingeht, sondern eine einmalige Sache.“ Wer einmal da war, kennt die Lösung und spielt dann woanders weiter.
Nun, mit dem Rekord wird es nichts mehr. Deutlich mehr als die Hälfte der Zeit ist schon verstrichen - und das Ziel noch ein ganzes Stück entfernt. Dabei wissen wir mittlerweile ganz genau, wo der Schlüssel ist, den wir brauchen, um die Tür zu öffnen, sind sogar dahintergestiegen, wie wir an ihn rankommen, nachdem wir zuvor den Raum auf Links gekrempelt und schon diverse Zahlen- und Kombinationsschlösser geknackt haben. Nur reicht das noch nicht. Die entscheidenden Puzzleteile, sie sind einfach nicht auffindbar - und die Uhr tickt weiter. Das kann doch nicht so schwer sein!
Mindestens zehn Minuten - vielleicht mehr, vielleicht weniger, das Zeitgefühl geht in dem Raum flöten - knobeln wir ergebnislos. Beim Topfschlagen hätte längst einer „kalt“ gerufen, hier zieht Julia Ivancenco irgendwann die Notbremse, signalisiert, dass wir uns in einer Sackgasse befinden, ja in der aufwendigen Deko verloren haben, die so rein gar nichts mit des Rätsels Lösung zu tun hat und von der Spielleiterin bewusst so arrangiert wurde, um die Spieler abzulenken. In unserer Zeitnot versuchen wir uns der Lösung übers Ausschlussverfahren zu nähern. Aber da kommt er schon, der mahnende Zeigefinger in Form einer weiteren Regieanweisung: „Nicht raten! Ihr müsst noch Codes finden!“ Ach nee...
Ein paar Gruppen, sagt Julia Ivancenco, gebe es, die es bisher ganz ohne Hinweise geschafft haben. Und: „Es ist auch noch niemand hier raus, der nichts gefunden hat. Meistens fehlt am Ende nur ein bisschen.“ Woran das liegt? „Viele Gruppen scheitern daran, dass sie die Gebrauchsanweisungen nicht richtig lesen“, erklärt sie. Aber auch mit der Kommunikation hapere es mitunter.
„Wichtig ist, dass man als Team zusammenarbeitet“ und jeder im Team eine Stimme hat, sagt sie. Gerade bei größeren Gruppen lasse sich beobachten, dass es jemand, der schüchtern sei, nicht selten schwer habe, sich gegen die anderen zu behaupten, während sich Pärchen auch ganz gern mal gegenseitig Vorwürfe machten. „Ich könnte hier psychologische Studien betreiben“, sagt Julia und lacht. „Die besten Gruppen“, weiß sie, „sind übrigens die, die ausschwärmen. Bewegen sich alle in eine Richtung, macht das unnötig langsam.“
Langsam neigt sich auch unsere Zeit dem Ende entgegen, fünf Minuten haben wir noch - und dank eines weiteren Hinweises sind wir auch wieder im Spiel. Mehr noch: Haben die Codes endlich gefunden - und noch dreieinhalb Minuten. Die Anspannung steigt, der Puls geht nach oben - wie auf der Arbeit, wenn man, kurz, bevor die Druckmaschinen angeschmissen werden, noch beim Schreiben ist. Jetzt nur nichts verkehrt machen, nicht vertippen, nicht stolpern. Nichts wäre ärgerlicher, als sehenden Auges zu scheitern, wo wir doch so nah dran sind...
Escape Rooms machen süchtig. Das merken wir nach nicht mal einer Stunde. Und das Escape-Room-Fieber hat auch Julia gepackt, nachdem sie ihren ersten Raum gespielt hat. Auf die Idee, einen eigenen Escape Room im Harz zu eröffnen, kam sie im vergangenen Jahr. Ihren Job - sie arbeitet im Kloster Michaelstein - hängte sie dafür aber nicht an den Nagel, ließ sich nur von 40 auf 30 Stunden herabstufen, um nach Feierabend und an den Wochenenden Ratefreunden zur Seite stehen zu können.
Das Geschäft, so Julia, läuft gut. So gut, dass sie inzwischen sogar darüber nachdenkt, einen weiteren Raum einzurichten - familienfreundlich, für Kinder ab acht Jahren. Im Gegensatz zu den bestehenden würde sie den dann auch selbst konzipieren. Aber auch wenn es mit der Erweiterung nicht klappen sollte, muss nach einem halben Jahr umgeräumt werden. Dann können auch die, die schon einmal gespielt haben, wiederkommen. Wir zum Beispiel. 57 Minuten und 18 Sekunden können nur der Anfang sein. Aber immerhin: Wir sind draußen! (mz)