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Der Geigendoktor Der Geigendoktor: Patienten aus Fichtenholz und Bergahorn

Von Susanne Thon 29.08.2020, 11:56
Susan Vorbrodt ist für die Vermietung zuständig.
Susan Vorbrodt ist für die Vermietung zuständig. Thon

Wernigerode - Einmal nicht richtig aufgepasst, und schon ist es passiert. Zack, ein Sturz. Der Konzertmeister brauchte Hilfe. Er fand sie in Wernigerode. Es war ein komplizierter Eingriff, an einer empfindlichen Stelle, dem seine Geige unterzogen wurde. Über Wochen hatte er den „Patienten“ in der Werkstatt, erinnert sich Matthias Vorbrodt. Der 52-Jährige ist Geigenbauer. Dem Konzertmeister war sein Instrument heruntergefallen, zwar mitsamt dem Kasten, aber der kam so unglücklich auf, dass die Schäden nur allzu offensichtlich waren. „Das gab zwei deutliche Risse“, erzählt Vorbrodt. Er musste sie leimen, öffnete dazu die Decke und nahm auch etwas von der Stärke raus.

„Holz für einen Geigenbauer kann man hier nicht finden“

Die Stärke - von Decke und Boden - und die Wölbung formen den Klang. Auch das verwendete Holz ist entscheidend: Boden, Zargen - so nennt man die Seitenteile - und Hals sind aus Bergahorn, die Decke aus Fichtenholz. Fichtenholz, Harz ... Vorbrodt nimmt die Antwort vorweg: „Holz für einen Geigenbauer kann man hier nicht finden.“

Die Bäume sind zu schnell gewachsen. Zu schnell für den Instrumentenbau. Man sieht es an den Jahresringen. Sie müssen eng und gleichmäßig beieinander liegen; erst in Höhenlagen ab 1.000 Metern ist das der Fall.

Vorbrodt, der seine Werkstatt vor nunmehr 25 Jahren eröffnet hat, hat sich spezialisiert auf die Reparatur von Streichinstrumenten und Bögen. Wenn sich eine Leimnaht gelöst hat, wenn plötzlich Nebengeräusche auftreten, die vorher nicht da waren, irgendetwas anders klingt - dann kommen die Leute zu ihm.

Hobbymusiker wie die Profis

Es sind Hobbymusiker wie Profis. Manche von weit her. „Es ist wie Arzt und Patient. Jeder sucht sich den Geigenbauer seines Vertrauens“, sagt er. Wohl auch, weil die meisten eine innige Beziehung zu ihrem Instrument haben. „Sie fühlen sich ihm verbunden; kaufen nicht gleich neu“, da wiege der ideellen Wert oft schwerer als die wirtschaftlichen Beweggründe, so Vorbrodt. Nur manchmal, da ist wirklich nichts mehr zu machen, wie für die Kundin, die ihren Geigenkasten offen neben dem Bett hat stehen lassen. Es kam, wie es kommen musste: Sie trat (versehentlich) auf das Instrument. „Für die Geige war das das Todesurteil.“

Unter normalen Umständen ist die „Lebenserwartung“ ungleich höher: „Wenn eine Geige gut gepflegt wird, kann sie über Jahrhunderte halten“, so der Geigenbaumeister. Zur guten Pflege gehören regelmäßige Check-ups. „Es empfiehlt sich, sein Instrument von Zeit zu Zeit dem Geigenbauer vorzustellen“, sagt Vorbrodt.

Denn es gebe auch Verschleißteile, die immer mal wieder erneuert werden müssten, wie die Wirbel, also jene Stifte, mit denen die Saiten gestimmt werden, und der Steg, das kleine hölzerne Bauteil, das die Schwingungen der Saiten zum Korpus transportiert.

Mit acht Jahren angefangen Geige zu spielen

Den Impuls, Geigenbauer zu werden, gab ihm einst seine Musiklehrerin. Sie erklärte ihm damals, dass es in Wernigerode niemanden gebe, der die Geräte warte. „Da kam mir der Gedanke“, erklärt Vorbrodt, der angefangen hat, Geige zu spielen, als er acht Jahre alt war. Und es blieb nicht beim Gedanken: Er ging in die Lehre, zwei Jahre dauerte sie damals. Heute sind es drei. Aber „fertig ist man auch nach zehn Jahren nicht“, sagt Vorbrodt.

Dennoch habe er - nach Ausbildung und Fachschulstudium und Meisterprüfung - den Schritt gewagt, sich selbstständig gemacht - „und es ist gut gegangen“. So gut, dass er seit 2013 auch in Braunschweig eine Werkstatt und sich mit der Instrumentenvermietung ein zweites Standbein aufgebaut hat. Seine Frau Susan kümmert sich darum.

Das Bewusstsein schärfen

Leihinstrumente seien ideal für den Einstieg. Vernünftig spielen lernen könne ein Kind nur, wenn man ihm etwas Gutes in die Hand gebe, meint Vorbrodt. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, sei aber nicht einfach. „Es soll kein Profi werden“ - das Argument habe er schon von vielen Eltern gehört.

Der Fachmann kann das nicht nachvollziehen. Beim Autokauf gebe man sich ja auch nicht zufrieden, wenn der rechte Blinker nicht funktioniere und das Fahrzeug keinen dritten Gang habe, erklärt er. Warum also mit „Geigenähnlichem“, das „containerweise auf den Markt geworfen wird“, dem man ansehe, dass es unter minimalem Zeitaufwand produziert worden sei - und auch so klinge? Für eine ordentliche Geige, ordnet Vorbrodt ein, müsse man zwischen 800 bis 1.000 Euro hinlegen. Nach oben sind freilich keine Grenzen gesetzt.

Die letzte Geige, die Vorbrodt selbst gebaut hat, spielt seine Tochter. Zur Konfirmation habe er ihr versprochen, eine zu bauen, kurz vor dem Abitur sei sie fertig geworden. Auch wenn die Tochter der Musik verbunden ist, in die Fußstapfen ihres Vaters tritt sie nicht. Das aber macht der jüngere ihrer beiden Brüder. Der beginnt jetzt seine Geigenbauerlehre. Von sich aus. „Wir haben das nicht forciert“, sagt Vorbrodt, „die Kinder sollten sich einen Beruf suchen, in dem sie glücklich werden.“ So wie er auch. (mz)

Geigenbaumeister Matthias Vorbrodt passt den neuen Steg an.
Geigenbaumeister Matthias Vorbrodt passt den neuen Steg an.
Susanne Thon
Die Saite wird eingezogen.
Die Saite wird eingezogen.
 Thon