1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Harz
  6. >
  7. Bohlekegeln: Bohlekegeln: Vom Vorruhestand zum Sport

Bohlekegeln Bohlekegeln: Vom Vorruhestand zum Sport

Von detlef anders 23.12.2011, 15:09

Quedlinburg/MZ. - Gerhard Strangfeld schiebt auf der Kegelbahn des SV Stahl Quedlinburg eine Kugel nach der anderen. 100 mal macht der rüstige Rentner das in Folge, ohne dass er irgendwie müde aussieht. Vor 15 Jahren hatte ihn ein ehemaliger Arbeitskollege angesprochen, ob er nicht Lust hätte, zum Bohlekegeln der ehemaligen Mertik-Leute zu kommen. Strangfeld kam gern und hat es keinen Tag bereut. Ohne das gemeinsame Kegeln und das anschließend gemütliche Beisammensein würde ihm etwas fehlen, gesteht der 74-Jährige. In dieser Woche feierte er mit der Kegelgruppe das 20-jährige Bestehen der Gemeinschaft.

"Wir sind kein Verein, wir haben kein Statut, jeder kann kommen und gehen wann er will", beschreibt Harry Stredicke die Gruppe. Er hatte das gemeinsame Kegeln der ehemaligen Mertik-Kollegen initiiert. "Am 5. Dezember 1991 haben wir uns das erste Mal zusammengesetzt. Es war die Wendezeit, die meisten wurden entlassen", erinnert sich Stredicke. Viele mussten wie er mit 58 in den Vorruhestand gehen. Er wusste, wie gern die Mertik-Rentner zu den Weihnachtsfeiern kamen und sich für die Entwicklung ihres alten Betriebes interessiert hatten. "Die Beziehungen, die wir über Jahre unter den Kollegen aufgebaut haben, wollten wir irgendwie weiter pflegen." Ergebnis der Überlegungen war, dass sich mehrere Kollegen, die auf Einladung von Stredicke zur ersten Beratung kamen, alle zwei Wochen am Dienstagnachmittag treffen wollten. Bald waren sie 38 Mitglieder.

Am Anfang stand der Sport im Mittelpunkt, kaum jemand blieb anschließend noch an den Tischen der Kegelbahn sitzen. Doch das Änderte sich. Und die Herren blieben nicht unter sich. Frauen, nicht nur die Ehefrauen, auch ehemalige Kolleginnen, schlossen sich der Kegelgruppe an. "Wir haben nicht ein einziges Mal ausgesetzt", bekennt Stredicke.

Das Durchschnittsalter der Männer beträgt heute 74,9 Jahre, hat er errechnet. Das der Frauen sogar 76,5. Die älteste Dame ist sogar schon 85. Ältester Kegler ist Gerhard Rasehorn (83). "Uns gefällt es hier." Am Anfang hatten sie noch die Ergebnisse mit Taschenrechnern ihre Ergebnisse aufaddieren müssen, heute sehen sie ihr Ergebnis sofort auf der Tafel über den Kegeln. Rasehorn selbst kegelte am Dienstag nicht. Doch er wünscht sich, dass angesichts des hohen Durchschnittsalters "junge" Leute dazustoßen. "Es gibt von Mertik so viele Leute, die 50 oder 60 sind." Oft treffe man sie auf der Straße, doch "man müsste sie an die Hand nehmen und mitbringen", wünscht er sich.

"Wir hätten uns vor 20 Jahren nicht zu träumen gewagt, dass wir uns heute hier wieder treffen und auf die gemeinsame Zeit zurückblicken", sagte Stredicke. Erst nach zehn Jahren sei man auf die Idee gekommen, einen gemeinsamen Ausflug an die Mosel zu übernehmen. Seitdem gibt es jedes Jahr eine gemeinsame Busreise an die Ostsee, ins Allgäu, den Bayrischen Wald, den Schwarzwald oder das Zittauer Gebirge. Außerdem stehen regelmäßig Tagestouren und Betriebsbesichtigungen auf dem Plan.

Von den Gründungsmitgliedern sind immerhin noch sechs dabei. "Hier erfährt man Dinge, die man zu Hause nicht erfährt", nennt Stredicke einen Anreiz, keinen Kegelnachmittag auszulassen, auch wenn er selbst mit zwei künstlichen Knien auf den Sport verzichtet. "Wir wollten die sportliche Betätigung, um die Kollegialität weiter zu pflegen, aber mittlerweile mussten wir feststellen, dass das sportliche heute nicht mehr so akkurat läuft."

Als Besonderheit nennt Stredicke zudem die Tatsache, dass neben ihm in der Gruppe noch drei ehemalige Kollegen mitkegeln, die am 4. August 1947 mit gerade 14 Jahren bei Mertik ihre Lehre begannen - Hajo Wenzel, Reinhard Glaubitz und Egon Grünewald. Wettkämpfe seien nie durchgeführt worden, doch bejubelt wird jeder volle Erfolg. Harry Stredicke dankt vor allem dem SV Stahl als ständigen Gastgeber. "So treue Gäste wie Sie, haben wir sonst nicht", gibt Vorstandsmitglied Gerhard Wünsch die Blumen zurück. Nur die Sportsenioren des früheren Kreissportbundes Quedlinburg kommen jede Woche. Kapazitäten gebe es also noch.