1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Anhalt-Bitterfeld
  6. >
  7. Mega-Zuchtanlage: Mega-Zuchtanlage: Das Schweine-System im "Schweine-Hochhaus" Maasdorf

Mega-Zuchtanlage Mega-Zuchtanlage: Das Schweine-System im "Schweine-Hochhaus" Maasdorf

Von Alexander Schierholz 21.09.2016, 07:47
Schwein an Schwein, Box an Box im Maasdorfer Hochhaus, aufgenommen von Tierschützern.
Schwein an Schwein, Box an Box im Maasdorfer Hochhaus, aufgenommen von Tierschützern. Deutsches Tierschutzbüro

Halle (Saale)/Maasdorf - Aktivist zu sein, ist auch nicht immer einfach. Halle, Innenstadt, Dienstagvormittag. Gegen 11 Uhr rollt ein weißer Kleinlaster auf den Platz vor der Konzerthalle Ulrichskirche, mitten in einer Einkaufsmeile. Drei junge Leute steigen aus, sie befestigen Transparente am Auto, die fordern: „Schweinehochhaus schließen. Sofort!“.

Der Mann und die beiden Frauen versuchen Flyer an Passanten zu verteilen. Nur wenige bleiben stehen, die meisten gehen achtlos vorüber. Wer einen Flyer nimmt, schaut im Weitergehen immerhin drauf, oder lässt sich sogar in ein Gespräch verwickeln. „Wenigstens regnet es nicht“, sagt Lucas Christoffer tapfer, „dann wäre hier noch weniger los.“

Kampf gegen unzumutbare Bedingungen im Schweine-Hochhaus

Christoffer und seine Kolleginnen stehen hier für das „Tierschutzbüro Deutschland“. Schon lange kämpft der Verein mit Sitz in Bonn und Geschäftsstelle in Berlin gegen die aus seiner Sicht unzumutbaren Bedingungen im sogenannten Schweine-Hochhaus. In dem sechsstöckigen Gebäude in Maasdorf nahe Köthen werden laut Verein rund 500 Sauen und zehntausende Ferkel unter nicht artgerechten Bedingungen gehalten. Die Tiere seien zum Teil in Käfigen, so genannten Kastenständen, untergebracht, in denen sie sich noch nicht einmal um sich selbst drehen könnten. Damit werde gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, so der Verein. Der Betreiber, die JSR Hybrid Deutschland GmbH aus Nordrhein-Westfalen, weist die Vorwürfe zurück.

Tierschützer protestieren gegen Mega-Schweineställe und Massentierhaltung. So weit, so normal. Die Geschichte könnte an dieser Stelle schon zu Ende sein, würde nicht Jan Peifer in Berlin auf seinen Prozess warten, während sich seine Kollegen in Halle - und später am Tag auch in Köthen - mit Flyern in den Händen die Beine in den Bauch stehen.

Jan Peifer vor Gericht

Am Mittwoch muss sich Peifer, 36, Gründer des „Tierschutzbüros“ vor dem Amtsgericht in Köthen verantworten. Der Vorwurf lautet Hausfriedensbruch. Peifer soll illegal in das Schweine-Hochhaus eingedrungen sein, um dort zu filmen und zu fotografieren. Schon im vergangenen Jahr veröffentlichte der Verein Bilder aus dem Gebäude, nun wieder. Was man sieht, kann Betrachter durchaus zweifeln lassen an dieser Art der Tierhaltung: Schweine mit Wunden an den Gliedmaßen. Schweine, die in Gitterstäbe beißen. Schweine in engen Boxen. Zu eng?

„Meine Tiere haben so viel Platz, dass sie sich drehen können“, behauptet Michiel Taken, Geschäftsführer der Betreiberfirma JSR. Kritiker wie die Leute vom „Tierschutzbüro“ zweifeln das an. Dabei gibt es klare Vorgaben. Nach der bundesweit gültigen Nutztierverordnung müssen sich Schweine in Kastenständen ungehindert hinlegen und ausstrecken können. Doch nach Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ orientieren sich die meisten Bundesländer an einem Handbuch, das 70 Zentimeter Breite des Kastenstandes für zulässig erklärt. Für viele Schweine ist dieses Maß allerdings zu schmal, sie stoßen an.

Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerin: „So stellen wir uns Schweinehaltung nicht vor“

Claudia Dalbert mag den Streit um das Schweine-Hochhaus und die dortigen Haltungsbedingungen nicht bewerten. Doch für Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerin ist klar: „So stellen wir uns eine am Tierwohl orientierte Schweinehaltung nicht vor.“ Die Grünen-Politikerin, seit einem halben Jahr im Amt, will Schluss machen mit den Kastenständen. „Wir wollen davon weg, hin zu einer Gruppenhaltung.“ Ihr Vorbild ist Dänemark. „Dort ist das gesetzlich vorgeschrieben, das zeigt, dass es möglich ist.“

Keine Kleinigkeit: Sachsen-Anhalt ist Schweineland. Auf 2,2 Millionen Einwohner kommen 1,2 Millionen Schweine, darunter 152.000 Zuchtsauen und 547.000 Mastschweine. 235 Betriebe landauf, landab halten Schweine, und meist sind es keine kleinen Klitschen: In 165 Anlagen stehen tausend und mehr Tiere, in 68 sogar 5.000 und mehr.

Das Geschäft mit dem Fleisch

Welche Dimensionen das Geschäft mit dem Fleisch annehmen kann, zeigte sich im Dezember 2014. Damals erließ der Landkreis Jerichower Land ein Tierhaltungsverbot gegen den Niederländer Adrianus Straathof. Der Mann, auch „Schweine-Baron“ genannt, gilt als einer der größten Züchter Europas. Der Vorwurf: gravierende Verstöße gegen Haltungsbedingungen. In dem Streit ging es auch um eine Anlage einer Straathof-Firma in Gladau bei Genthin, in der allein 70.000 Tiere gehalten wurden. Es folgte ein Rechtsstreit; erst vor wenigen Wochen, im Juli, bestätigte das Verwaltungsgericht Magdeburg das Verbot.

Tierschützer fordern Schließung des Schweine-Hochhauses

In Maasdorf, rund hundert Kilometer südlich von Gladau, liegen das „Tierschutzbüro“ und die Betreiberfirma des Schweine-Hochhauses auch schon seit fast zwei Jahren im Clinch. Erst wollen die Tierschützer Verstöße beim Transport von Schweinen ausgemacht haben. Seit März vorigen Jahres fordert Vereinsgründer Peifer, das Schweine-Hochhaus müsse geschlossen werden. Bewegt hat sich bisher nichts.

Der Streit wirkt bizarr, mittlerweile beschäftigt er die Justiz. Der Verein und die Betreiber haben sich gegenseitig angezeigt. Doch während Tierschützer Peifer nun vor Gericht erscheinen muss, ist noch nicht klar, ob gegen die Firma überhaupt ermittelt wird. Die Anzeige des Vereins wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ist bereits der zweite Versuch, juristisch gegen die JSR GmbH vorzugehen. Nach einer ersten Anzeige im vorigen Jahr hatte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau die Ermittlungen ergebnislos eingestellt.

Schweine-Hochhaus doch bloß „so ein PR-Ding“

Die Kontrahenten geben sich derweil gänzlich unbeeindruckt voneinander und von den juristischen Gefechten. „Dass ich im Schweine-Hochhaus war, ist unstrittig“, sagt Tierschützer Peifer, konfrontiert mit dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs. Und legt nach: „Man muss mir aber erst einmal nachweisen, dass ich illegal da drin war.“ Auch der Zeitraum, in der er laut Anklage Hausfriedensbruch begangen haben soll, sei „nicht nachvollziehbar“. Es gehe, sagt Peifer, um einen Zeitabschnitt von November/Dezember vorigen bis März diesen Jahres. „Das muss schon konkreter sein.“

Die können mir nichts, lautet seine Botschaft, die er gerne mit einer Zahl untermauert. Seit 1998, sagt er, sei er regelmäßig in deutschen Ställen unterwegs und dokumentiere die Zustände. Rund 400 Mal habe man ihn deswegen angezeigt, nie aber sei er verurteilt worden. Peifer gibt sich selbstbewusst: „Meine Bilder zeigen Gesetzesverstöße, das ist im öffentlichen Interesse und überwiegt den Vorwurf des Hausfriedensbruchs.“

Streit geht weiter

Auch sein Gegenspieler legt demonstrative Gelassenheit an den Tag: „Von mir aus kann mich Herr Peifer fünf Mal oder zehn Mal oder noch öfter anzeigen“, ruft Michiel Taken hörbar genervt mit niederländischem Akzent ins Telefon. Für das „Tierschutzbüro“ sei das Schweine-Hochhaus doch bloß „so ein PR-Ding“, sagt der Geschäftsführer der Betreiberfirma JSR. Gegen die Vorwürfe wehrt er sich. Die Anlage werde regelmäßig uneingeschränkt kontrolliert, dabei seien keine Mängel oder Missstände festgestellt worden.

Wirklich? Zwischen November 2012 und Mai 2015 sind sechs Kontrollen aktenkundig, alle angemeldet. Mal stellen die Prüfer starke Verschmutzung in Buchten fest. Mal sind Liegeflächen nicht rechtskonform. Mal reicht die Beleuchtung nicht aus. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Landtag vom Mai 2015 hervor. Dort ist allerdings auch festgehalten: Mit einer Ausnahme wurden die Mängel behoben.

Vor wenigen Tagen erst, am 23. August, tauchen erneut Kontrolleure in Maasdorf auf, diesmal unangemeldet. Das Ergebnis, laut Agrarministerium: 66 von 148 Kastenständen belegt, überall genügend Platz. Die Prüfer haben nachgemessen. Der Streit wird trotzdem weitergehen. (mz)

Aktivist Jan Peifer vor der Anlage in Maasdorf . Nun muss er sich vor Gericht verantworten.
Aktivist Jan Peifer vor der Anlage in Maasdorf . Nun muss er sich vor Gericht verantworten.
Deutsches Tierschutzbüro