Große Geschichte in Sachsen-Anhalt Große Geschichte in Sachsen-Anhalt: Reppichau - Ein Dorf wie ein Museum

Places of interest - so wird man gleich am Ortseingang von Reppichau mit einem Schild empfangen, auch auf Russisch. Es fehlt eigentlich noch der Hinweis auf interessante Plätze auf Französisch, denn immerhin führt der Europaradweg R1 von Boulogne-sur-Mer bei Calais durch Reppichau bis Sankt Petersburg. In Reppichau, zwischen Dessau und Köthen gelegen, sollte man sich Zeit nehmen, mit Bildung im Vorübergehen ist es nicht getan.
In dem 1156 erstmals urkundlich erwähnten Ort soll Eike von Repgow geboren sein: der Verfasser des Sachsenspiegels, des ersten mittelalterlichen Rechtsbuches. Auch wenn seine Herkunft möglicherweise nur auf die Namensgleichheit mit Reppichau zurückzuführen ist - Wappen des Dorfes und des ca. 1180 geborenen Rechtskundigen zeigen das Rebhuhn -, der Ort stellt sich seiner Geschichte mit großem Enthusiasmus.
Eike von Repgow erhielt zu Beginn des 13. Jahrhunderts von seinem Landesfürsten den Auftrag, das Rechtsbuch vom Lateinischen ins Deutsche zu übertragen. In seiner Vorrede gibt von Repgow einen Hinweis auf die Entstehung: „Nun dankt alle zusammen dem Herrn Falkenstein, der Graf Hoyer genannt wird, dass dies Buch auf seine Bitte in deutscher Sprache abgefasst worden ist.
Eike von Repgow hat es getan.“ Warum er aber „nur widerwillig“ diese Arbeit übernommen hat, begründet er damit, dass er das Buch ja schon auf Latein geschrieben hätte. Doch „Zuneigung“ zum Landesherren wie auch „Unterstützung“ überzeugten ihn schließlich. Loyalität und materielle Zuwendung wandeln den Widerwillen in Arbeitslust.
Sachsenspiegel - erstes Prosawerk mittelniederdeutscher Sprache
Der Sachsenspiegel gilt als erstes Prosawerk mittelniederdeutscher Sprache, und er ist immerhin 700 Jahre lang verbindliches Recht gewesen. Abgelöst erst 1900 vom Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Ur-Schriften des Sachsenspiegels sind verschollen. Aber knapp ein halbes Hundert Handschriften sind erhalten. Am wertvollsten sind die Bilderhandschriften. Davon gibt es noch vier, die nach ihren Aufbewahrungsorten Oldenburg, Heidelberg, Dresden und Wolfenbüttel benannt sind.
Wandgemälde nach diesen Bilderhandschriften nebst Gesetzestexten sind im ganzen Ort Reppichau an Häuserfronten zu betrachten und zu lesen - das Dorf als Freiluftmuseum. So kann man an einem Haus sehen, wie man für Diebstahl bestraft wird. Diebstahl am Tag wird mit Strafen „an Haut und Haar“ vollzogen: Schlägen und an den Haaren ziehen. Diebstahl in der Nacht scheint als besonders hinterhältig angesehen zu werden, es führt zum „Hängen am Galgen“. Haus für Haus ein Stück Sachsenspiegel. An einem ehemaligen Trafohäuschen kann man sich zu den verzwickten sieben Verwandtschafts- und Erbschaftsgraden informieren. Auf zwei Kühen daneben, wer was erben kann.
Festliche Höhepunkten: Sachsenspiegeltag, Waldfest und Adventsmarkt
„Wir versuchen eine Art Bildungstourismus“ erklärt Erich Reichert, ehrenamtlicher Bürgermeister und Vorsitzender des Vereins „Eike von Repgow“. Der im Jahr 2000 gegründete Verein weihte nach fünf Jahren das Informationszentrum ein, ein ehemaliges Feuerwehrhaus, das einen historisierenden Vorbau bekam. Im Innern ein Rittersaal, wieder mit Gemälden historischer Persönlichkeiten, die mit dem Sachsenspiegel verbunden sind.
„Hier beginnen wir unsere Führungen, vermitteln die Basics.“ Bis 6000 Besucher sind pro Jahr registriert. Dazu kommen die „Durchfahrer“, die sich das Freiluftmuseum ohne Führung ansehen. Sogar kleine - natürlich ebenfalls mit farbiger Bildung versehene - „Fahrradparkhäuser“ gibt es. Im Gasthaus „Zur Morgengabe“ können sich die Bildungshungrigen stärken, zum Übernachten müssen sie jedoch weiterradeln, nach Kochstedt/Dessau.
Auch sparen die Reppichauer nicht an festlichen Höhepunkten: Sachsenspiegeltag und Waldfest im Sommer, Adventsmarkt im Winter, ausgerichtet von den Vereinen des Ortes: dem Sportverein, der Feuerwehr, dem Schützenverein, der Volkssolidarität, dem Verein „Eike von Repgow“ und der Theatergruppe, die 14 Mitspieler hat.
Das neueste Stück: Dornröschen. Silvia Lehmann, die wie viele Reppichauer gleich in mehreren Vereinen tätig ist, spielt von Anfang an mit, in Dornröschen nun eine der Feen. „Wir gehen sogar auf Gastspiel in den Nachbarort Kleinzerbst.“ Ihre erste Rolle war ein Bauer - „mit Sense“. Mit der „Sensenschlacht“ hatte die Reppichauer Theaterarbeit begonnen. „Die Spieler wollten gar nicht mehr aufhören zu spielen“, erzählt Theaterleiter Ulf Schröter. Er schreibt und inszeniert die Stücke, die sich oft an historischen Stoffen orientieren. Er recherchiert zur Familie derer von Repgow und hat ein „Zeitenbuch“ zum Ort veröffentlicht, das als E-Book erschienen ist.
Kunstprojekt wächst Jahr für Jahr.
Der älteste Verein ist der Heimatverein, dem Dagmar Amelang vorsitzt: „Den Vorgängerverein gab es schon zu DDR-Zeiten.“ Nur fehle es nun leider an Jugendlichen, „die gehen wie überall aus den kleinen Orten weg“. Dabei hat Reppichau einen Kindergarten mit immerhin 20 Kindern. Sie werden wie in einem Museum groß. Und sie lernen, wie viele andere Kinder, das Teilen frei nach Eike von Repgow: Der eine teilt, der andere wählt. Diese Regel findet sich bereits im Sachsenspiegel im Landrecht III 29 §2: „Bei der Erbteilung soll der Ältere teilen und der Jüngere wählen.“
Das Kunstprojekt wächst Jahr für Jahr. Neue Gemälde und Plastiken kommen hinzu, die Wandmalereien nach den Bilderhandschriften führt der Köthener Maler Steffen Rogge aus. Im Luther-Jahr entsteht eine Kreuzskulptur mit zwei Büchern: dem Sachsenspiegel und der Bibel. „Luther und das Recht“ erläutert Erich Reichert: „Der Sachsenspiegel als ältestes in deutscher Sprache erschienenes Buch, 300 Jahre vor Luther!“
Reichert wurde im Herbst vorigen Jahres für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Bei allen Projekten wird der Verein seit seiner Gründung von dem Historiker Heiner Lück von der Martin-Luther-Universität Halle wissenschaftlich begleitet. Er ist einer der Preisträger des von der Landeshauptstadt Magdeburg verliehenen Eike von Repgow-Preises. 2016 besuchte Lück mit Reichert den Professorenkollegen Emanuele Appari in Sizilien an der Universität Palermo.
Appari hatte den Sachsenspiegel ins Italienische übersetzt. In dem im vergangenen Sommer eingeweihten „Kaisersaal“ - Kaiser und Papst im Sachsenspiegel - finden sich neben Gaben der Köthener Kirche „St. Marien“ auch Bilder und Dokumente aus dem Museum Terrasini in Sizilien, die Appari vermittelt hat. Der Kontakt führte inzwischen zu einer deutsch-sizilianischen Ortspartnerschaft. (mz)
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