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Kulturgeschichte Kulturgeschichte: Schimmeljäger

Von Katrin Löwe 03.04.2013, 18:52
Pfarrer Martin Eichner zeigt das kleine Gerät, das in der Dölauer Orgel Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufzeichnet.
Pfarrer Martin Eichner zeigt das kleine Gerät, das in der Dölauer Orgel Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufzeichnet. Thomas Meinicke Lizenz

Halle/Merseburg/MZ - Knapp drei Meter hoch, 651 Pfeifen und eine Tastatur aus altem Holz, in der man die am häufigsten gespielten Töne an den Einkerbungen erfühlen kann: Pfarrer Martin Eichner gerät da in der Dölauer Kirche problemlos ins Schwärmen. Die 1801 gebaute Johann-Gottlieb-Mauer-Orgel ist ein Schmuckstück in dem kleinen Gotteshaus am Rande Halles. Einst für die Kirche in Ermlitz gebaut, ist sie 1985 nach Dölau umgezogen - die Ermlitzer Kirche verfiel zu dieser Zeit, auch die Orgel war in Gefahr. Jetzt aber droht ihr erneutes Ungemach: Schimmelbefall.

2011 wurden erste Sporen bei der jährlichen Orgelwartung festgestellt. „Ich war erschüttert“, erinnert sich Eichner. Was wird es für bauliche Folgen geben, was für gesundheitliche? Fragen, die sich bedrohlich vor ihm auftürmten. Inzwischen sind die sichtbaren Spuren beseitigt, ob das Problem endgültig im Griff ist, ist unklar. Und Eichner wird nicht müde zu betonen, wie wichtig das Instrument für die Orgellandschaft in Mitteldeutschland ist. Sie hat mehr Original-Teile als ihr Pendant im Händel-Museum, sagt er. „Und ich vermute, dass sogar schon Richard Wagner darauf gespielt hat.“

Es gibt durchaus Erklärungsversuche, wie es zur Schimmelbildung kam. Die Kälte aus dem Turm, aus dem die Luft für die Orgel angesaugt wird - dagegen die Wärme von unten, wenn Menschen zum Gottesdienst kommen und die Bankheizungen an sind. Dass sich Kondenswasser bildet und Schimmel befördert, ist nicht von der Hand zu weisen. „Aber warum jetzt“, fragt sich der 57-Jährige. An den Umständen habe sich seit Jahren nichts geändert.

Keine statistische Erfassung

Eichners Hoffnung: Ein Forschungsprojekt, mit dem die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands (EKM) dem Phänomen auf die Spur kommen will. Denn das ist längst nicht nur eines in der Dölauer Kirche Sankt Nicolai et Antonii. Von rund 4000 Orgeln im Gebiet der EKM sind rund 100 betroffen, schätzt Orgelreferent Christoph Zimmermann. „Wie viele es wirklich sind, ist unbekannt“, sagt er - statistisch erfasst wird das nicht. Sicher ist Zimmermann indes, dass es sich bei dem zunehmenden Schimmelbefall um ein Nachwende-Phänomen handelt - wenn auch keines, das nur den Osten Deutschlands treffe.

Über die Ursachen des in den letzten zehn, 15 Jahren plötzlich auftretenden Problems wisse man bis heute wenig, sagt der Referent. Möglich seien bauphysikalische Bedingungen: dichtere Fenster oder gedämmte Holzdecken, die die Feuchtigkeit nicht mehr aus dem Raum lassen. Auch veränderte Kirchennutzung könnte eine Rolle spielen. Gerade in ländlichen Gebieten finden nicht mehr jeden Sonntag in jeder Kirche Gottesdienste statt, so dass die Häuser länger ungeheizt sind. Staub in Orgeln gilt als beste Nahrung für den Schimmelpilz. Alle 30 Jahre ist eine Grundreinigung der Instrumente fällig. „Es gibt aber auch Orgeln, die sind erst zehn Jahre alt und es geht schon los mit dem Schimmel“, sagt Zimmermann. Unklar ist auch, ob die Beseitigung des in der DDR beliebten, heute aber verbotenen Holzwurmbekämpfungsmittels Hylotox 59 Auswirkungen hat, die dem Pilz Futter liefern.

„Es gibt verschiedene Unternehmen, die mit Konzepten auftreten“, sagt Zimmermann. Die EKM strebe nun eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung an und Strategien, „bei denen wir nicht in 15 Jahren sagen: Jetzt haben wir das nächste Problem.“ 260000 Euro sind für die erste Projektphase bis 2016 bei Stiftungen beantragt.

Der Orgelreferent ist zuversichtlich, dass Geld fließen wird und die Arbeit noch 2013 beginnen kann. Unter anderem soll es mikrobiologische Untersuchungen, Messungen des Raumklimas und Holzgutachten geben. Rund 20 Orgeln werden voraussichtlich als Referenzobjekt ausgewählt. In einer zweiten Phase sollen konkrete Bekämpfungsstrategien entwickelt und erprobt werden. „Das Problem hat Panikpotenzial“, sagt Zimmermann. Der EKM gehe es aber nicht darum, Hysterie zu schüren, sondern tragfähige Erklärungen und Konzepte zu finden. Solange müssten betroffene Kirchen im Zweifel Mittelwege gehen.

Im Merseburger Dom tut man das. Vor zwei, drei Jahren wurde in der berühmten, weil der größten Ladegast-Orgel Schimmelbefall festgestellt. Das nach den Vorstellungen von Franz Liszt gebaute Instrument war erst von 2001 bis 2004 grundlegend saniert worden. Über die Wartung soll nun zunächst vor allem der Staub als Nahrungsgrundlage entzogen werden, sagt Dombaumeisterin Regine Hartkopf. Da in den nächsten Jahren weitere Bauarbeiten im Dom anstehen, die zu Staubbelastung führen, soll es 2019 eine Grundreinigung geben. Auch Merseburg hofft bis dahin auf Lösungen aus dem Projekt - zumal Schimmelbeseitigung auch eine finanzielle Herausforderung ist. „Es ist nicht damit getan, mal mit dem Läppchen abzuwischen“, so Hartkopf.

Klimadaten aufgezeichnet

Die Orgel im Übrigen funktioniere trotz Schimmel problemlos. Laut einer Untersuchung dringe von dem gesundheitsgefährdenden Pilz auch nichts nach außen, so Hartkopf. In Merseburg herrscht aber ebenso Rätselraten über die Gründe für den Befall: „Klimatisch ist im Dom nichts verändert worden“, sagt Hartkopf. Inzwischen würden gezielt Klimadaten in der Orgel und im Dom erhoben. Auch in der Kirche in Dölau hängen sogenannte Datenlogger. Kleine Geräte, die in der Orgel, am Altar, im Kirchenschiff, der Sakristei und im Turm Temperatur und Luftfeuchtigkeit messen. Vielleicht helfen die Daten, eines Tages das Geheimnis um den Schimmel zu lüften.