Der Landsitz des Schriftstellers Peter HacksSchön hausen
Leben wie ein Klassiker: Wie der Schriftsteller Peter Hacks auf seinem Landsitz wohnte, zeigen Matthias Dell und Günter Karl Bose.

Halle/MZ - Raus, Hauptsache raus. Fort von Ost-Berlin und seinen notorischen Debatten und Gestalten. Doch wohin? Im Frühjahr 1966 reist der bereits berühmte Schriftsteller Peter Hacks (1928-2003) mit seiner Ehefrau Anna Elisabeth Wiede zur Landsitz-Akquise durch die DDR. Wobei die Rede vom Herrenhaus genauer wäre. Besser: von einem Schloss. Hacks, der Dichter, der 1976 mit dem Minidrama „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ einen Welterfolg veröffentlichen wird, liebt die Goethe-Zeit nicht nur literarisch, sondern auch ästhetisch.
Der bis Mitte der 1970er Jahre meistgespielte deutsche Dramatiker seiner Generation sichtet den Bezirk Suhl, hinter jedem Baum ein herrschaftlicher Bau. Aroldshausen? Schön, aber zu einsam. Schloss Schwarza? Barock, aber zu groß. Burg Kühndorf? Renaissance, aber zu kühl. Wolkramshausen? Original-Rokokotapeten.
Die Denkmalpflege würde vermieten, schreibt Hacks an seine in München lebende Mutter. Aber: „Wenn wir allein reingehen, langweilen wir uns tot. Wenn wir andere Leute reinnehmen, sind wir mit denen lebenslänglich verheiratet (und wer ist schon beständig in dieser Welt?). Das Thüringer Wetter ist schon nicht dumm, aber es ist kein Vergleich mit dem Mittelmeerwetter; und wer weiß, in drei Jahren kann man vielleicht ganz mühelos nach Frankreich und Italien reisen. Andererseits ist das die nie wiederkehrende Chance, heute so zu leben wie ein Graf im 18. Jahrhundert.“
Es wurde dann doch kein Schloss, sondern ein schlossartig eingerichteter Landsitz – südlich von Berlin, zwischen Groß Machnow und Mittenwalde, aus den Resten einer 1.700 Quadratmeter großen Ziegelei hochgezogen. Die sogenannte Fenne, ein altgermanisches Wort für tiefliegendes Grasland, Sumpf oder Moor.
Ein kastellartig ummauertes Anwesen: von außen nicht schön, aber innen sehr komfortabel. Rokoko-Gärtchen, Teich mit teuren Kois, Wehrtürmchen, eine Suite für ihn, eine für sie, ein Salon dazwischen. Alles vollgestellt mit Antiquitäten, wie sie bis in die 1970er Jahre landauf, landab von prominenten Künstlern oft zusammengetragen worden waren. Kulissen gegen die Wirklichkeit. Über Hacks, der 1955 gegen den Rat von Bertolt Brecht („Gute Leute sind überall gut“) von München nach Ost-Berlin übergesiedelt war, sozusagen der erste „Wessi in Weimar“, sagte dessen Gegenspieler Heiner Müller: „Die DDR war für ihn immer ein Märchen – er hat sie als eine Märchenwelt erlebt und beschrieben.“

„Neid auf rote Sommer“
Und als eine solche bewohnt. Wie es dazu auf der Fenne gekommen war und wie es dort heute aussieht, erzählt jetzt der Berliner Kulturjournalist Matthias Dell in der Hacks und der Fenne gewidmeten aktuellen Ausgabe der literaturhistorischen Frankfurter Buntbücher – ausgesucht schön gestalteten Heften, die einen Autor in seiner Landschaft zeigen.
Dell, der bereits im Wochenblatt „Freitag“ die große Berliner Stadtwohnung von Hacks – Schönhauser Allee 129, vierter Stock – beschrieben hatte, steht im Stoff. Zu sehen ist: Die kulturelle DDR-Elite lebte immer gern schön, Hacks aber am schönsten. So sehr, dass der Westdichter Robert Gernhardt das Gedicht „Blanker Neid auf rote Sommer“ verfasste. Darin die Zeile: „Weh, daß ich Westler bin, ein Opfer der Geschichte, / Dazu verdammt, mit der Toskana anzubandeln“. Statt dessen: „Erstehn vor meinem Auge Preußens Kommunisten / Auf raschem Weg in ihre Sommerresidenzen, / In Linnen leichtgewandet, duftenden Batisten...“
Alles daran ist wahr. Wie sehr, zeigt Matthias Dell in seinem Essay, der erst den Schriftsteller, dann den Landhausbesitzer in den Blick nimmt. Hacks, der gern ein neuer Goethe gewesen wäre, war weder ein Liberaler noch ein Demokrat, das Aristokratische lag ihm sehr: als Herrschaft der Besten unter Walter Ulbricht. Autoritäre Ordnung, das ist die Formel, auch kulturpolitisch: polemisch gegen Biermann, gegen die Romantik, Heiner Müller. Hacks schrieb, bis auf einige Gedichte, immer politisch. Harmlos nie.
Gärtner, Koch und Chauffeur
Ob Hacks heute ein „unerledigter Fall“ sei, wie Dell behauptet, ist die Frage; interessant ist er freilich und über seine getrimmte Gewitztheit immer auch attraktiv. Sogar im Interieur der „Fenne“: Schön hausen in der DDR. Die Fotografien von Günter Karl Bose zeigen den von Hacks seit 1974 mit Gärtner, Koch und Chauffeur bewohnten Landsitz. Kulturell: Distanz zur Menge, auch wirtschaftlich. Denn nebenbei: Die Einkommensverteilung im Osten glich der im Westen. Etwa zehn Prozent der Konteninhaber in der DDR besaßen 60 Prozent der Geldvermögen, meldete 2012 der DDR-Historiker Klaus Schroeder.
Allein, wie es heute um die Fenne steht, ist hier nicht zu erfahren. Regionalzeitungen berichten, dass Hacks die Fenne seinem Hausverlag Eulenspiegel hinterlassen habe, und dass dieser nun hin und wieder eine Antiquität verschebeln müsse, um das Haus zu halten, für das es auch Tage der Offenen Tür gibt. Die Reise ist zu empfehlen. Andererseits nicht notwendig für den, der das Buntheft von Dell und Bose in die Hand nimmt, das für jedermann die ummauerte Fenne öffnet und den geistigen Weg dorthin.
Matthias Dell: Peter Hacks auf der Fenne in Groß Machnow. Frankfurter Buntbücher 72, Verlag für Berlin-Brandenburg, 32 Seiten, 10 Euro.
