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Frei.Wild Herz mit Narben - Die Geständnisse von Frei.Wild-Sänger Philipp Burger

Als Gründer und Sänger der Band Frei.Wild hat Philipp Burger die Charts gestürmt, sich viel Kritik eingehandelt und den „Echo“ gewonnen. Jetzt wirft der 42-jährige Südtiroler einen Blick zurück auf ein wildes Leben.

Von Steffen Könau 22.10.2023, 07:30
Frei.Wild-Sänger Philipp Burger bei einem Konzert in Bitterfeld: Der 42-Jährige aus Südtirol ist häufig bei Freunden in Sachsen-Anhalt zu Gast.
Frei.Wild-Sänger Philipp Burger bei einem Konzert in Bitterfeld: Der 42-Jährige aus Südtirol ist häufig bei Freunden in Sachsen-Anhalt zu Gast. Foto: Steffen Könau

Halle/MZ - Der Rutsch nach rechts, der Philipp Burger viele Jahre später beinahe seine Karriere kosten wird, er beginnt im Renault 5 seines Truppführers bei den Pfadfindern. Burger ist 15, ein wilder Junge, der Autoritäten hasst. Der Kerl am Steuer schon 18 und allein deshalb ein Vorbild. Und dann dröhnt aus dem Autoradio dieser Sound. Brachial. Emotional. Grandios. Philipp Burger, als Sohn einer Lehrerin und eines Ingenieurs im kleinen Städtchen Brixen in der italienischen Provinz Südtirol aufgewachsen, ist „schockverliebt“, wie er sich erinnert. Er fühlt sich sofort angesprochen, erreicht und verstanden wie nie zuvor.

Fasziniert vom Verbotenen

„Das ist Störkraft“, verrät ihm der Pfadfinderkumpel. Die Band sei echt verboten, „wenn sie uns damit erwischen, sperren sie uns ein“. Mehr muss Philipp Burger gar nicht wissen. In den folgenden Monaten wächst seine Sammlung an verrauschten Kassetten voller Rechtsrock. Burger umgibt sich mit Freunden, die ähnliche Vorlieben haben wie er. Ein Jahr später hat sich der großgewachsene Teenager die langen Haare abgesäbelt und sich eine Glatze zugelegt. Mit 19 spielt er in einer Rechtsrockband, die sich „Kaiserjäger“ nennt.

Es ist das dunkelste Kapitel in der Lebensgeschichte des heute 42-jährigen Sängers, Gitarristen und Komponisten, das Philipp Burger in seiner Autobiografie „Freiheit mit Narben: Mein Weg von rechts nach überall“ ohne ausgestellte Scham erzählt. So kurzlebig die Kapelle der drei musikalischen Laien war, umso länger sind ihre Schatten über dem Leben des Musikers, der nach ihrem Ende den Nachfolger Frei.Wild gründet. Und mit dieser Gruppe inzwischen sieben Alben auf Platz 1 der deutschen Charts platzieren konnte.

Eine Karriere, die selbst im Rückblick vollkommen unmöglich erscheint. Burger kann nicht Gitarrespielen, seine Kollegen haben so wenig Bühnenerfahrung wie er. Die gemeinsame Heimat Südtirol liegt weitab von den Metropolen der Musikindustrie und Frei.Wild produzieren keine aufsehenerregend innovative, sondern trotzige, traditionelle Rockmusik: Es geht um Liebe und Treue, um Freundschaft und Zusammenhalt in den Stürmen des Lebens.

Philipp Burger mit Maximilian Beuster und Pascal Bock von der Bitterfelder Band Goitzsche Front und dem dessauer Frei.Wild-Produzenten Alexander Lysjakow.
Philipp Burger mit Maximilian Beuster und Pascal Bock von der Bitterfelder Band Goitzsche Front und dem dessauer Frei.Wild-Produzenten Alexander Lysjakow.
Foto: Goitzsche Front

Eine Plattenfirma aus Magdeburg ebnet den Exoten im Deutschrock-Zirkus den Weg. Ein Produzent aus Torgau in Sachsen schraubt die ersten Alben zusammen. Philipp Burger, von Beruf Zimmermann, betreibt die Band zu dieser Zeit noch als Hobby. Keiner im Quartett hegt ernsthafte Karrierepläne. Aber so unwahrscheinlich es scheint: Die Mischung aus Pop-Melodik, schweren Gitarren, hymnischen Refrains und hemdaufreißenden Texten findet schnell ihr Publikum. Trotz und auch gerade wegen des düsteren Kaiserjäger-Kapitels in Burgers Biografie.

Zwischen Triumph und Krise

Im Rückblick beschreibt der heute glücklich verheiratete Vater zweier Töchter seine Geschichte als Abfolge von Triumphen und schweren Krisen. In jede Wunde wird ausgiebig gepuhlt, jeder Fehler beschrieben, gewendet und unter die Lupe gelegt. So unerwartet flott die musikalische Laufbahn auch Fahrt aufnimmt, so oft stolpert das im Geist von Onkelz, Hosen und Ärzten musizierende Quartett über die Fehltritte seines Frontmannes. Die Skinhead-Jahre, die Kaiserjäger, später ein Auftritt bei einer Südtiroler Rechtspartei: Wenn sich Burger nicht selbst die Beine stellt, dann sorgen andere dafür, die in seinen Texten einen „völkischen“ Grundton hören und seine Band unter „Rechtsrock“ einsortieren.

So wenig solche Vorwürfe heute noch eine Rolle spielen, wo Frei.Wild zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Rockbands gehört, ist doch „Mein Weg von rechts nach überall“ Philipp Burgers Versuch, den jahrelangen Bezichtigungen seine Sicht auf die Tatsachen entgegenzustellen. Ohne sich herauszureden oder die Schuld auf andere zu schieben.

Was von vor der Bühne aussieht wie ein Rockmärchen, bedeutete für Burger, seine Bandkollegen, aber auch für den in Dessau lebenden Frei.Wild-Stammproduzenten Alexander Lysjakow zeitweise eine schwere Last. Große Magazine stöberten im kleinen Brixen nach Belastungsmaterial.

Bei der Verleihung des „Echo“ riefen Musikerkollegen zum Boykott auf. Mit großer Offenheit beschreibt Philipp Burger seine schlaflosen Nächte, seine Selbstzweifel und Schuldgefühle. Und doch verweigert er sich der Versuchung, die Kritiker dafür verantwortlich zu machen, dass ihn die Fehler seiner Jugend immer wieder eingeholt haben. Konservativ zu sein und seine Heimat zu lieben, dazu stehe er. Zugleich aber lehne er jede Art von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit ab.

Nicht einfach nur schwarz oder weiß

„Meine Welt ist eben nicht einfach nur schwarz oder weiß, nicht links oder rechts, nicht gut oder böse. Ich stehe irgendwo in der Mitte und genau darin liegt auch die Schwierigkeit, mich einzuordnen“, formuliert Philipp Burger, der sich selbst in einem Song „unschubladisierbar“ genannt hat. Ein leidenschaftlicher Handwerker und Landwirt mit Gitarre, ein reuiger Sünder, der aufrecht geht. „Ich habe mich für die Variante mit offenem Visier entschieden“, schreibt der Musiker, der heute in Schulen daheim in Italien auftritt, um junge Menschen mit dem eigenen Beispiel vor den „verlockenden Fallen der extremen Szenen“ zu warnen.

Philipp Burger, „Freiheit mit Narben“, Kampenwand, 432 S., 24,90 Euro