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Geigenbauer und Kulturmanager Thilo Viehrig Der Unermüdliche

Im ständigen Einsatz für die Kultur: Der aus Magdeburg stammende Geigenbauer Thilo Viehrig bietet im Gotischen Haus in Burgheßler im Burgenlandkreis Musik und Theater eine Bühne.

27.12.2024, 18:16
Geigenbauer Thilo Viehrig: „Wir  brauchen Sponsoren, helfende Hände, eine öffentliche Akzeptanz. Wir wollen, dass die Leute zu uns kommen.“
Geigenbauer Thilo Viehrig: „Wir brauchen Sponsoren, helfende Hände, eine öffentliche Akzeptanz. Wir wollen, dass die Leute zu uns kommen.“ (Foto: Andreas Löffler)

BURGHESSLER/MZ. - „In der Nähe unseres Hauses in Magdeburg gab es ein mit Holzpalisaden abgesperrtes Villenviertel, in dem russische Offiziere stationiert waren. Wir brauchten Kohlen, haben die russischen Kinder mit Steinen beworfen. Die haben mit ihren Kohlen geantwortet. Der Trick war gut, nur dafür haben sie mir mein Fahrrad geklaut.“ Fragt man den Instrumentenbauer, Musiker, Schauspieler und Veranstaltungsorganisator Thilo Viehrig, Jahrgang 1954 und geboren in Magdeburg, nach Nachkriegs- und Kindheitserinnerungen, spricht er über materielle Not, Traumata, politische Bedrohungen und über einen gewitzten Umgang mit den Verhältnissen.

Kritisch der DDR gegenüber

„Mein Vater hatte zwei Kriege mitgemacht. Er war in Gefangenschaft und ausgebrannt, erzählt hat er nicht viel. Meine Mutter war Lehrerin, aber sie hat in einer inneren Emigration gelebt“, erzählt Viehrig, der nachschiebt: „Soziale Ideen fanden wir gut, aber uns war klar, dass die SED kein menschenfreundlichen System aufzieht. Von Anfang an standen wir der DDR kritisch gegenüber, fühlten wir uns vom Staat bedroht.“

Angeregt von den Eltern, war sein Herz schon immer bei der Musik, bei der Kunst, beim Bauen und Basteln. Viehrig in Plauderlaune, Erstaunliches schnorrig erzählt: „Ich weiß noch, wie ich als Fünfjähriger eine Gitarrensaite von Tischbein zu Tischbein gespannt, die umgedrehte Spielzeugkiste als Resonanzkörper darunter geschoben habe. Mit einem Holzhäuschen als verschiebbaren Steg konnte ich Melodien zupfen.“

Nach dem Abitur ging Viehrig zwecks Ingenieurstudium nach Jena, dort war er in der regimekritischen Evangelischen Studentengemeinde aktiv. Sein Freund, ein Vertrauter Wolf Biermanns, wurde ins Zuchthaus gesteckt. Natürlich hatte die Stasi versucht, jene Kreise zu infiltrieren, ist auch – wie Viehrig betont – „auf raffinierte Weise“ an ihn herangetreten. Doch die Kenntnis der Schriften Robert Havemanns mit seiner Warnung vor der Stasi-Strategie der kleinen Schritte half ihm, zu entkommen. „Sie stellten dann ihre Bemühungen ein“, erzählt Viehrig, der im gleichen Atemzug betont, dass er aber schon damals dachte, dass er „die kapitalistische Ellenbogengesellschaft des Westens auch nicht haben will“.

Noch während des Studiums begann er eine Lehre als Geigenbauer. Eine Umtriebigkeit, die formale Grenzen sprengte. Den offiziellen Geigenbau-Abschluss durfte er wegen der Absolventen-Ordnung der DDR als Studierter nicht machen. Dennoch landete Viehrig 1980 im Kloster Michaelstein in Blankenburg im Harz: „Das dortige Musikinstrumentenmuseum, das es noch heute gibt, habe ich aufgebaut.“ Eben durch diese Stelle, durch die „guten Kontakte meines Chefs ins Kulturministerium“, konnte Viehrig ein zweites Studium als Musikinstrumentenrestaurator beginnen.

1987 gründete er eine Orgelbau-Firma. Rückblicke: „Man sprach immer offener über Möglichkeiten, das neostalinistische Regime zu stürzen und die DDR grundlegend zu reformieren. Die wirtschaftlichen Chancen wären nach Reformen besser gewesen, als heute gern dargestellt wird. Ich hatte eine gute Position, war in keiner staatlichen Abhängigkeit, sondern in einer privaten Nische, habe hauptsächlich für Kirchen gearbeitet“, erzählt Viehrig. Der blickt auf 1989 und die Nachwendezeit: „Den Kapitalismus wollte ich nicht. Ich habe mich geschämt, dass die Hoffnung auf eine menschenwürdige Gesellschaft durch die Gier der Ossis zerstört wurde. Nach der Wende kamen die Westbetriebe mit ihren tollen Maschinen, da sind mir die Aufträge mit meiner improvisierten Firma weggebrochen.“ 2002 war Viehrig pleite, also wurde er freier Musiker, zog ins einstige Pfarrhaus von Klosterhäseler im Burgenlandkreis.

Gotisches Haus ausgebaut

Neben der Restaurierung und dem Nachbau historischer Instrumente widmet Viehrig sich vor allem der experimentellen Musikarchäologie. Er rekonstruiert längst vergessene Instrumente, erforscht deren Spieltechnik. Und das Gotische Haus in Burgheßler hat er federführend zu einem Veranstaltungsort ausgebaut. „Die unverfälschte Erhaltung historischer Substanz hat für uns höchste Priorität. Morbider Charme kann erhalten bleiben“, ergänzt Viehrig, der als Betreiber jenes Hauses Konzerte und Theateraufführungen organisiert: „Alles, was ich kann, stecke ich rein, aber das reicht natürlich nicht. Wir brauchen Sponsoren, helfende Hände, eine öffentliche Akzeptanz. Wir wollen, dass die Leute zu uns kommen.“