Jugend Jugend: Halle ist Hochburg von Straßenkindern
Halle/dpa. - Experten haben vor der wachsenden Verarmung von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt gewarnt. Die Zahl der im Land an der Armutsgrenze lebenden Kinder sei seit 1995 um 50 Prozent gestiegen, sagte die Leiterin des Kinderschutzbundes Sachsen-Anhalt, Birgit Herkula. Besorgnis erregend sei zudem die wachsende Zahl der unter 18-Jährigen ohne feste Bleibe. Das Problem konzentriere sich vor allem auf Großstädte. Eine Spitzenposition nimmt dabei Halle ein. Das ergab eine dpa-Umfrage bei Trägern sozialer Einrichtungen, dem Kinderschutzbund und den Kommunen des Landes.
Neben sozialen Problemen seien «Werteverfall und Wohlstandsverwahrlosung» genauso Gründe für Straßenkarrieren, wie Drogenkonsum und soziale Probleme. Als erstes ostdeutsches Land hat Sachsen-Anhalt mit einem Armuts- und Reichtumsbericht Mitte dieses Jahres auf die steigende Zahl in Armut lebender Kinder reagiert. Genaue Zahlen über Straßenkinder gebe es nicht. Besonders so genannte «niederschwellige Projekte» werden seit Jahren gefördert. Dabei gehe es zunächst um die Absicherung der Grundversorgung Hilfe suchender Jugendlicher.
«Das S.C.H.I.R.M.-Projekt in Halle wird vom Land mit rund 100 000 Euro unterstützt. Halle ist die Hochburg bei Straßenkindern im Land», sagte der Sprecher des Sozialministeriums, Jens-Uwe Rosse. Das S.C.H.I.R.M-Projekt hilft derzeit rund 330 Kindern und Jugendlichen in Halle ohne feste Bleibe - Tendenz steigend. Während im benachbarten Sachsen - etwa in Leipzig - das Problem von Jugendlichen auf der Straße keine größere Rolle spielt, zieht vor allem Berlin Straßenkinder aus Ostdeutschland an: Ihre Zahl schätzt der Hilfsverein «Karuna» auf 3000 bis 3500.
Rund eine Million Euro aus Zuwendungen von Stadt und Land, sowie Spenden von Firmen und Privatleuten stehen dem S.C.H.I.R.M.-Projekt im Jahr für sein breites Hilfsangebot zur Verfügung. «Die Jugendlichen kommen zum Essen und Trinken zu uns, können duschen, Wäsche waschen und Kleidung bekommen, aber auch Spritzen tauschen und übernachten», sagte Projektleiter Hans-Martin Ilse. «Die beste Therapie für die Jugendlichen wären Arbeitsplätze, wo sie sehen können, dass sich ihre Leistung bezahlt macht.» Daran mangele es in Halle am meisten.
Ebenfalls mit Sozialzentren will die Stadt Magdeburg Jugendlichen von der Straße helfen. Mit fünf Einrichtungen werde an sozialen Brennpunkten der Stadt gemeinsam mit Streetworkern Hilfe angeboten. «Städtische Einrichtungen müssen jedoch die Eltern einschalten. Das schreckt Jugendliche manchmal ab», sagte die Kinderbeauftragte der Stadt, Kathrin Thäger. Das vom Bistum Magdeburg geführte Orientierungshaus biete bis zu drei Nächten anonyme Übernachtung an. Meist 16 bis 21 Jahre alte Jugendliche kommen zum essen und schlafen. «Wer sich nicht zu erkennen geben will, den lassen wir auch in Ruhe», sagte Andrea Tegtmeier, Mitarbeiterin in der katholischen Einrichtung.
Dessau, die drittgrößte Stadt des Landes, hat kein Problem mit Straßenkindern und Jugendlichen ohne Bleibe. Die ziehe es in die großen Städte, in Dessau handele es sich um wenige Einzelfälle, sagte eine Sprecherin der Stadt. Ähnlich äußerten sich mehrere Kommunen verschiedener Landkreise. Wirtschaftliche Probleme als Ursache für Kinder- und Jugendarmut potenzierten sich in großen Städten.
Straßenkarrieren möchte die Leiterin des Kinderschutzbundes, Birgit Herkula, nicht auf soziale Probleme reduzieren. «Fehlende soziale Kompetenz bei Eltern und ein Werteverfall lassen auch Kinder von Ärzten auf die Straße flüchten.» Die Kinder vereinsamten zu Hause. Dieser zunehmenden Überforderung von Eltern bei der Bewältigung von Familie und Beruf soll das Projekt «Starke Eltern - Starke Kinder» entgegenwirken. «Starke Kinder halten Stress viel eher aus, als schwache. Mit dem Projekt soll Straßenschicksalen vorgebeugt werden», erklärte Herkula.