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Interview Interview: Gisela May über Brecht Weil und ihr Leben in der DDR

16.08.2014, 14:23
Die Künstlerin Gisela May
Die Künstlerin Gisela May dpa Lizenz

Das Berliner Ensemble, ihre alte Wirkungsstätte, ist nur einen Steinwurf entfernt. Deutsches Theater und Admiralspalast, weitere Stationen des künstlerischen Lebens „der May“, liegen ebenfalls in Reichweite. Wir sind zum Tee verabredet in ihrer Wohnung, mittenmang in „Mitte“. Der Hinweis, sowohl sie als auch ihre legendäre Vorgängerin Helene Weigel als Mutter Courage auf der Brecht-Bühne erlebt zu haben, löst Freude aus.

Das Gespräch mit der Künstlerin führte Harald Biskup.

Sich mit Ihnen über Ihr bewegtes Leben zu unterhalten, ist wie die Besichtigung eines Jahrhunderts

May: Nun machen Sie mich bitte nicht noch älter, als ich bin. Ich hab gerade meinen 90. Geburtstag hinter mir.

Wie darf man sich Ihre Familie vorstellen?

May: Ich habe ein wunderbares Elternhaus gehabt, es waren fantastische Eltern. Mein Vater war überzeugter Sozialdemokrat, meine Mutter Kommunistin. Frauen sind ja eher etwas radikaler. Bei uns verkehrten viele Künstler, alles Leute aus dem linken Spektrum. Dieses Umfeld hat mich gegen den Nazismus früh immun gemacht.

Hat das in Ihrem politisch linken Elternhaus gelegte Fundament dazu beigetragen, dass Sie Ihren Überzeugungen treu geblieben sind?

May: Ja, unbedingt, da gab es eigentlich keine Brüche. Aber ich war nie ideologisch verbohrt. Es war mehr so eine Grundhaltung, die ich von zu Hause mitbekommen habe und die mich durch mein Leben begleitet hat.

Politisches Bewusstsein hat Ihre gesamte künstlerische Tätigkeit geprägt. Vor allem viele Lieder von Hanns Eisler, der Sie als Sängerin entdeckt hat, enthalten politische Botschaften. Gibt es einen Lieblingssong bis heute?

May: Den Bilbao-Song mochte ich immer sehr gern, aber ganz besonders den „Surabaya Johnny“, beide von Kurt Weill. Seine Lieder haben durchaus etwas Kulinarisches, weil er große Melodien geschaffen hat. Eislers Musik ist kämpferischer und spröder.

Gisela May wurde 1924 in Wetzlar geboren. Ihre Eltern waren politisch hochmotiviert, aktiv und engagiert. Die Mutter war kurze Zeit Schauspielerin, der Vater Dramaturg und Schriftsteller. Die May besuchte die Schauspielschule in Leipzig und war danach an verschiedenen Theatern engagiert, darunter auch am Landestheater Halle.

1962 wechselte sie zum Berliner Ensemble, dem sie 30 Jahre lang angehörte. Seit 1992 ist sie freischaffend. Parallel zu ihrem schauspielerischen Weg verfolgte sie eine zweite Karriere als Diseuse. Gastspiele gab sie u.a. in der New Yorker Carnegie-Hall, im Opernhaus Sydney und an der Mailänder Scala.  (mz)

Mit der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ waren Weill als Komponist und vor allem Sie als Interpretin Ihrer Zeit voraus.

May: Das ist mir damals gar nicht so bewusst gewesen. Der Text ist mir noch sehr präsent: „So mancher Mann sah manchen Mann verrecken, ein großer Geist blieb in 'ner Hure stecken.“

Fühlen Sie sich als eine frühe Feministin?

May: Eigentlich nicht. Ich mag die Männer sehr. Und ich habe es auch zweimal mit Partnerschaften probiert. Es ist ja auch zweimal gut gegangen.

Wie haben Sie Ihren Förderer Hanns Eisler erlebt, den Schöpfer der DDR-Nationalhymne?

May: Ich bin auf ihn zugegangen, und er ist sofort auf den Zug aufgesprungen. Er hatte mich gehört und sagte immer „Gnä’ Frau“ zu mir, obwohl ich damals ja Genossin war. Das war halt die alte Schule.

Wie sind Sie mit Brecht in Berührung gekommen?

May: Zunächst natürlich durch seine Literatur. Mein Vater hat mich an Brecht herangeführt, und ich habe mit zwölf die „Dreigroschenoper“ gehört wie Schlager. Ich nenne das 20. Jahrhundert gern - vielleicht etwas schwärmerisch - das Brecht-Jahrhundert, weil er dem Theater so nachhaltige Impulse gegeben hat. Die Bühne als moralische Anstalt. Als er noch selbst Regie führte, kamen seine Kommandos mit krächzender Stimme. Es waren traumhafte Inszenierungen, er bestand darauf, dass seine Vorstellungen umgesetzt werden.

Wie war Ihr Verhältnis zu B.B.?

May: Ich erinnere mich eigentlich nur an eine persönliche Begegnung auf dem Weg ins Berliner Ensemble. Da tauschten wir freundliche Blicke aus, aber das war es dann. Ich habe später erfahren, dass er für elegante Frauen nicht viel übrig hatte. Er mochte eher bäuerliche Typen, flache Schuhe, bloß keine Stöckelschuhe.

All dies verkörperte ja Helene Weigel, seine Frau und Ihre Vorgängerin als Mutter Courage.

May: Das stimmt, aber ich weiß noch, dass sie Wert legte auf edles Material. Ich erinnere mich an eine Handtasche aus sehr feinem Leder. Sie stammte wahrscheinlich aus Wien. Die Weigel war ja Wienerin. Sie mochte extravagante Schals. Sie hatte Stil, absolut.

Brecht war ja den Frauen zugetan.

May: Zumindest hat er ihnen schöne Gedichte gewidmet. Wie er im Bett war, ist nicht überliefert.

Helene Weigel hatte Sie 1962 ans Berliner Ensemble geholt. Und Sie wollten neben diesem Engagement die Titelrolle im Musical „Hello Dolly“ am Metropol-Theater spielen. Wie hat die Weigel reagiert?

May: Die Dolly war eine Traumrolle, die ich unbedingt auch spielen wollte. Als sie das hörte, sprang sie auf, impulsiv wie sie sein konnte: Das kommt überhaupt nicht in Frage. Aber dann fing sie an zu grinsen. Machen Sie es! Ich habe Helene Weigel als Künstlerin verehrt.

Sie waren 13 Jahre lang Mutter Courage. Wie haben Sie die Rolle im Unterschied zur Weigel verkörpert?

May: Sie war in erster Linie die Mutter, ich habe vielleicht stärker auch die Geschäftsfrau betont, die Marketenderin, die schwer kämpfen musste, um ihre Söhne durchzubringen. Im Stück heißt es: „Der Krieg ist nichts als die Geschäfte, und statt mit Käse ist's mit Blei.“

Sie waren privilegiert, dadurch dass Sie im Westen auftreten konnten. Wie sind Sie damit umgegangen?

May: Das war mir schon sehr bewusst, und mir ist öfters ins Gesicht gesagt worden, dass ich es als Reisekader besser hatte als die normalen DDR-Bürger. Ich habe das den Leuten nicht übelgenommen, denn es stimmte ja. Die Verhältnisse waren halt mal so.

„Lasterhaft, kokett und prophetisch“, schrieb unser Rezensent über Ihren Auftritt in Köln 1974. Das Schauspielhaus tobte vor Begeisterung. Schöne Erinnerungen?

May: Unbedingt! Später war ich auch einige Male im „Senftöpfchen“. Diese Reisen habe ich immer gern gemacht. Etwas Luxus und Eleganz mochte ich immer, und es gab ja Zeiten, in denen die DDR da mächtig hinterherhinkte.

Wie Gisela May die Teilung des Landes empfand, lesen sie auf Seite 2.

Wie blicken Sie heute auf Ihren untergegangenen Staat zurück?

May: Ohne Sentimentalität. Immerhin hatten wir ja keine Korruption. Das ging ja schon deshalb nicht, weil nichts zum Korrumpieren da war. Ich habe nie herablassend auf die DDR geschaut, sondern anerkannt, was wir aus dem Nichts geschaffen haben.

Wie haben Sie die 40 Jahre Teilung persönlich empfunden?

May: Ich hätte nie drüben leben wollen, mir waren die Westdeutschen oft zu oberflächlich. Unser Publikum war irgendwie interessanter.

Die DDR hat sich gern mit Ihnen geschmückt, weil Sie in Ihrem Genre Weltruhm genossen.Wie nah an den Mächtigen waren Sie?

May: Überhaupt nicht nah, obwohl man mich mit Preisen bedacht hat. Das Ganze hatte auch etwas Kleinbürgerliches, Spießiges. Aber ich hatte nie Angst, das Maul aufzumachen. Ich habe mich beim Kulturminister auch für Wolf Biermann eingesetzt, weil ich seine Ausbürgerung für kleinlich hielt.

Konnten Sie verstehen, dass viele DDR-Bürger sich von ihrem Staat abgewandt haben?

May: Natürlich. Ich verdiente Westgeld und genoss gewisse Narrenfreiheit. Sie brauchten mich, ich war ja ein Aushängeschild.

Sie waren 30 Jahre lang am Berliner Ensemble, von 1962 bis 1992. Dann kam das Aus. Wie haben Sie das Ende Ihres Engagements verkraftet?

May: Ich kann wunderbar vergessen, das ist manchmal praktisch. Ich bin nicht in ein so tiefes Loch gefallen wie andere Kollegen, weil ich meine internationalen Kontakte hatte. Aber natürlich war es eine Kränkung.

Sie waren zum Kostenfaktor geworden - ganz so, wie es der Philosoph Wolfgang Harich, Ihr langjähriger Lebenspartner, für die DDR-Bürger überhaupt prophezeit hatte. Die Diva und der Dissident, den Ulbricht acht Jahre ins Zuchthaus geschickt hat - wie passte das zusammen?

May: Unglaublich gut, weil unsere Grundeinstellung ähnlich war. Wolfgang war nicht nur geistvoll und gebildet, sondern auch ausgesprochen witzig. In der Öffentlichkeit sorgte unser Zusammenleben natürlich für Aufsehen.

Hat es Sie gestört, dass viele Westdeutsche Sie vor allem mit Ihrer Rolle als TV-Mutter von Evelyn Hamann („Adelheid und ihre Mörder“) in Verbindung bringen?

May: Nein, überhaupt nicht. Es hat mich eher amüsiert, dass so eine Randfigur in dieser eigentlich ja recht intelligent gemachten Serie einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht hat.

Hat sie Ihnen Spaß gemacht?

May: Auf alle Fälle. Vor allem denke ich gern an die äußerst angenehme Zusammenarbeit mit Evelyn Hamann, die leider viel zu früh gestorben ist.

Legen Sie manchmal noch eine Ihrer alten Platten auf?

May: Ja, durchaus. Und ich staune: Bin ich das wirklich? Schauen Sie mal, „Hello Dolly“, der Preis steht noch drauf, 12,10 Ost-Mark.

Was empfinden Sie, wenn Sie heute diesen Welthit hören, Wehmut?

May: Ach wo. Dass ich sowas am liebsten noch mal machen würde.

Die Künstlerin Gisela May
Die Künstlerin Gisela May
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