1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. ICE auf Testfahrt: ICE auf Testfahrt: Mit Tempo 332 nach Sachsen

ICE auf Testfahrt ICE auf Testfahrt: Mit Tempo 332 nach Sachsen

Von Jan Wätzold 15.10.2003, 17:33

Halle/MZ. - Hätte sich Carsten Bärhold nach der Schule für das Fliegen entschieden, wäre er heute sicher Testpilot. Weil es den Norddeutschen aber zur Bahn zog, kann er sich nun mit einem etwas vornehmer klingenden Titel schmücken: Versuchslokführer. Und als solcher durfte der 34-Jährige gestern Vormittag einige Autofahrer auf der A 14 zur Verzweiflung treiben. Deren Ehrgeiz, schneller als die am Flughafen Halle-Leipzig parallel zur Autobahn verkehrenden Züge zu sein, bekam punkt 11.43Uhr einen herben Dämpfer.

Sechs Kilometer zuvor, am Bahnknoten Gröbers, hätten die Rennfahrer noch eine Chance gehabt. Da hatte der Tacho im Zug zwischen Bärhold und dessen Kollegen Uwe Claasen noch bescheidene 120 Stundenkilometer angezeigt. Die Anlaufgeschwindigkeit für einen Temporekord auf der in Zukunft als ICE-Trasse vorgesehenen Strecke.

"Dies ist notwendig, um die Oberleitung vom Eisenbahnbundesamt für den Schnellverkehr freigeben zu lassen", wie Matthias Turbanisch erzählte, während ihn die Beschleunigung des fast 13000 PS starken Kraftpaketes zu Standübungen zwang. Der für den Bahnstrom zuständige Projektmanager hatte zuweilen ebensolche Schwierigkeiten, die Balance zu halten, wie die fünfköpfige Technikcrew an Bord des mit Kameras, Sensoren, Monitoren und Computern vollgestopften Testzuges. Wobei die Wackelei keinen der Ingenieure um Versuchsleiter Gerd-Rainer Koss davon abhalten konnte, gebannt auf die rote Digitalanzeige über dem im einzigen Waggon aufgebauten Messtisch zu starren. Und zu sehen, wie die Streckenkilometer rasch purzelten und das Tempo mehr und mehr in Flugzeugdimensionen kletterte.

Der vom Laien in Anbetracht einer schließlich unglaublichen "332" in leuchtendem Rot erwartete Jubel blieb indes aus. "Ist eben Alltag", beeilte sich Koss zu versichern, ehe erst jemand auf die Idee kommen konnte, die Crew leide womöglich an Größenwahn. Für Lokführer Bärhold war es aber tatsächlich keine Rekordfahrt. Die hat er im Sommer 2002 auf der Strecke von Berlin nach Hannover absolviert. Auf dem Geschwindigkeitsmesser stand damals eine 369.

Doch während zwischen der Bundes- und der niedersächsischen Landeshauptstadt heute Hochgeschwindigkeitszüge im regulären Personenverkehr unterwegs sind, wird die ganz große Raserei nach Fahrplan zwischen Halle und Leipzig noch ein paar Jahre auf sich warten lassen. "Erst mit der Fertigstellung der Trasse von Sachsen nach Erfurt kann der ICE-Verkehr zwischen Berlin und Nürnberg durchgängig rollen", so Bahnsprecher Volker Knauer. Termin dafür sei 2012 bis 2015 - "kommt ganz auf die Olympia-Entscheidung an".

Der ICE-S - S wie Schnellfahrt - von Carsten Bärhold und Uwe Claasen wird noch einige Tage für lange Gesichter bei Autofahrern auf der A 14 sorgen. So lange bis feststeht, dass das neuartige, von Siemens entwickelte Oberleitungssystem funktioniert. Kostengünstiger soll es sein, weil die höhere Materialqualität die Einsparung eines Mastes pro Schienenkilometer ermögliche. "Das läppert sich", weiß Matthias Turbanisch. Doch sparen allein helfe nicht. "Als Dauerkonkurrenz zum Flugzeug kann die Bahn nur mit Tempo mithalten", so der Projektmanager. Eine Satz, den Versuchslokführer Bärhold jederzeit unterschreiben würde.