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Hochwasser in Sachsen-Anhalt Hochwasser in Sachsen-Anhalt: "Das ist noch nie dagewesen"

08.06.2013, 18:48
Reinhard Kroll (links), Geschäftsführer der Total-Raffinerie Leuna, übergibt eine 500 000-Euro-Spende an Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Reinhard Kroll (links), Geschäftsführer der Total-Raffinerie Leuna, übergibt eine 500 000-Euro-Spende an Ministerpräsident Reiner Haseloff. Silvio Kison Lizenz

HAlle/MZ - Gerade hat er eine Spende über 500 000 Euro für Flutopfer entgegen genommen, gleich muss Reiner Haseloff (CDU) nach Calbe weiter, einem neuen Brennpunkt des Hochwassers. Dazwischen sprach der Ministerpräsident am Freitag mit den MZ-Redakteuren Hartmut Augustin und Kai Gauselmann über die Katastrophe.

Herr Ministerpräsident, Sie haben die vom Hochwasser betroffenen Regionen besucht, wie fällt Ihre Zwischenbilanz der Katastrophe aus?

Haseloff: Von dem, was wir bisher bewältigen mussten, muss man sagen: Wir hatten noch nie soviel Wasser in diesem Land. Das ist eine noch nie dagewesene Situation: Dass es schon an allen Nebenflüssen der Elbe zu solch extremem Hochwasser kommt - und nun auch noch zusätzlich in der Elbe von Tschechien her extrem viel Wasser. Ich war zum Beispiel in diesen Tagen an der Weißen Elster, wo es eine Marke für die Jahrtausendflut von 1924 gibt. Ich wurde Augenzeuge, wie diese übergelaufen ist - und schon am nächsten Tag um einen Meter übertroffen wurde.

Wie ordnen Sie die Katastrophe im Vergleich zu 2002 ein?

Haseloff: Die Belastung durch das Wasser ist viel größer als 2002 - wir waren diesmal aber besser vorbereitet. Die Deiche im Land sind zu einem großen Teil in einem besseren Zustand. 2002 haben fünf Prozent der Deiche die DIN-Norm erfüllt, jetzt sind es mehr als die Hälfte. Ursprünglich, vor der Flut von 2002, wollten wir 135 Millionen Euro in die Deichsanierung investieren. Tatsächlich haben wir seitdem bis jetzt 500 Millionen Euro verbaut. Schon vor der Katastrophe hatten wir für 2014 weitere 40 Millionen eingeplant. Im Ergebnis blieben bisher Deichbrüche in Größenordnungen wie 2002 aus. Außerdem haben wir seitdem die Strukturen der Krisenstäbe so verbessert, dass sie wirklich hervorragend funktionieren. Zusammen mit den vielen tollen freiwilligen Helfern, der Aktivierung durch die Medien, hat das alles dazu geführt, dass wir bisher Schritt für Schritt durch diese Katastrophe gekommen sind.

Können Sie grob einschätzen, wie groß der Gesamtschaden sein wird?

Haseloff: Eine Schadensbilanz kann man derzeit nicht ziehen. Da, wo das Wasser bereits weg ist - wie in Zeitz - muss man aber sagen, dass die Schäden größer sind als gedacht. Es gibt große Schäden nicht nur an Privathäusern, auch an der Infrastruktur: Kitas, Schulen, Turnhallen - in Zeitz hat es sogar eine ganze Brücke komplett verschoben. Oder in Halle: Durch das Grundwasser heben sich da teilweise die Straßendecken, so dass eine grundhafte Erneuerung nötig wird. Wir wissen zwar noch nicht, wie sich die Situation etwa in Calbe und Magdeburg noch entwickeln wird. Wir müssen aber davon ausgehen, dass der Gesamtschaden mindestens mehrere hundert Millionen Euro betragen wird.

Kann Sachsen-Anhalt das alleine stemmen?

Haseloff: Insgesamt, die anderen Länder dazu genommen, werden die Schäden der Katastrophe in die Milliarden gehen. Das überfordert die betroffenen Bundesländer, das überfordert auch den Bund, wenn er das alleine leisten soll. Das ist eine nationale Aufgabe, da müssen die 16 Bundesländer und der Bund zusammenhalten. Es kann jedes Land mal treffen. Deshalb muss es einen Gesamt-Fonds geben, in den jedes Bundesland einzahlt. Wir brauchen einen nationalen Wiederaufbau-Pakt. Bei der Ministerpräsidenten-Konferenz am Donnerstag werden wir das besprechen. Und bei der Soforthilfe müssen wir uns mit den anderen Ländern auf einheitliche Beträge pro Betroffenem einigen - wir wollen da keinen Überbietungswettbewerb.

Als Soforthilfen soll es insgesamt 40 Millionen Euro geben - je zur Hälfte von Land und Bund. Wie wird das Geld verteilt?

Haseloff: Zunächst wird es eine Nothilfe geben: Wer sich in einer akuten, existenziellen Notlage befindet, kann sich für eine Grundsicherung, also Geld für Essen und Kleidung, schon an diesem Wochenende an seinen Landkreis oder seine kreisfreie Stadt wenden. Dazu werden Hotlines geschaltet, die auf den Internetauftritten der Kreise oder in den Lokalzeitungen bekannt gegeben werden. Die Hotlines sind auch jetzt am Wochenende erreichbar. Am Dienstag werden wir dann die Soforthilfe beschließen, die ab übernächster Woche fließen soll. Die Summen dazu müssen im Finanzministerium noch berechnet werden. Aber es wird unter anderem Soforthilfe für den Hausrat, zur Beseitigung von Ölschäden, für gewerbliche Unternehmen und einen Härtefonds geben. Über weitere Details können wir kommenden Dienstag informieren.

Die Total-Raffinerie hat eine halbe Million Euro gespendet, fließt das Geld in die Soforthilfen?

Haseloff: Nein. Als Staat können wir viele Notlagen abdecken. Man kann das aber nicht so rastern, dass wir alles erfassen. Und da bin ich ganz beim MZ-Herausgeber Alfred Neven DuMont und seinem Spendenaufruf für den Verein „Wir helfen“: Es gibt Härtefälle, für die der staatliche Sockelbetrag nicht genügt. Deswegen brauchen wir Spenden. Das Engagement von Neven DuMont begrüße ich ausdrücklich, das kann man nicht hoch genug werten. Es hat die gleiche Zielrichtung wie die Spende von Total - übrigens eine der größten einzelnen Spenden, die es in Sachsen-Anhalt jemals gegeben hat. Das ist auch ein europäisches Signal: Total ist ein französischer Konzern, der seinen Standort hier im Süden des Landes hat und etwas zurückgeben will von dem Gewinn, der hier erarbeitet wurde. Das ist ein positives Beispiel, das hoffentlich viele Nachahmer in der Wirtschaft findet. Hier im Süden werden wir das Geld auch vorwiegend einsetzen. Ich kann mir vorstellen, dass wir nach der Katastrophe mit allen Hilfsfonds, karitativen Einrichtungen wie „Wir helfen“, eine Spendenkonferenz machen. Dann überlegen wir, was wir mit dem Geld machen. Wenn „Wir helfen“ etwa ein Projekt nicht voll finanzieren kann, könnten wir einen Teil der Total-Spende dazu geben. Das müssen wir im Sinne der Betroffenen flexibel handhaben. Wir stehen gemeinsam in der gesellschaftlichen Verantwortung.