Halle Halle: Das Orakel vom Delphi
Halle (Saale)/MZ. - Delphi soll, so die Überlieferung, einst der Mittelpunkt der Welt gewesen sein. Das ist aber schon lange her. Immerhin, heute gibt es in der halleschen City ein Lokal, das wie die antike Stadt heißt. Sein Besitzer: der Grieche Dimitrios Zourlantonis. "Ja, das ist mein Mittelpunkt der Welt."
Bei ihm dreht sich alles um das Restaurant - schon seit 1997. Nur komme inzwischen noch etwas hinzu, erzählt der Wirt. Es sind die täglich neuen, schlechten Nachrichten aus der Heimat, die die Welt in Atem halten und auch seine Aufmerksamkeit fesseln. Die Stirn in Falten legend, sagt der Gastronom: "Die Schulden-Krise macht mich noch fix und alle."
An hämischen Bemerkungen über das angeblich ausschweifende Leben der Griechen liegt es nicht. Nur selten würden ihn die Hallenser mit solchen seiner Meinung nach unhaltbaren Klischees konfrontieren. Auch geschäftlich könne man im Moment im Delphi nicht klagen. Beliebt seien die griechischen Abende wie eh und je.
Doch jetzt zögert Zourlantonis. "Was soll ich tun?" Geschäftlich sei ein solches Fest zwar ein sichere Einnahmequelle. "Andererseits kann ich doch nicht gut feiern, wenn es vielen meiner Landsleute schlecht geht."
Sein jüngster Besuch in Griechenland liegt erst zwei Wochen zurück. Schon der erste Eindruck auf dem Flugplatz in Athen habe ihn bedrückt. "Den sprichwörtlichen Griechen, der fröhlich ist, gibt es nicht mehr." Kaum jemand, so sein Eindruck, lache noch laut auf den Straßen. Alle liefen scheinbar ziellos umher, aber mit ungewohnt ernsten Mienen. Seine Verwandten in Thessaloniki, das 1 500 Kilometer von Halle entfernt liegt, machten da keine Ausnahme. "Viele Leute auf den Straßen und in den Geschäften, mit denen ich gesprochen habe, sind ratlos." Nach seiner Beobachtung schwankten die Gefühle ständig zwischen Entsetzen, Depression und Aggression - je nach aktueller Nachrichtenlage und persönlicher Zukunftsangst. Auch an Zourlantonis geht das Gefeilsche auf den internationalen Finanzmärkten nicht spurlos vorüber. "An manchen Tagen schalte ich den Fernseher nicht mehr ein."
Blick auf die Uhr
Kein Orakel, sondern Tatsache. Das Delphi bestimmt den Tagesablauf des Chefs. Es bleibt nur wenig Zeit, um sich in Ruhe auf die vielen Krisen-Meldungen einen Reim zu machen. Eine Erkenntnis, die Finanzminister nur ungern hören wollen, spricht der flinke Rechner mittlerweile gelassen aus: "Griechenland ist pleite."
Das große Rätselraten beginnt für Zourlantonis, wenn es um die Ursachen der Krise geht und setzt sich fort bei den Lösungsansätzen. Es falle ihm schwer, Politikern in Griechenland zu trauen. "Diese Leute sind oft Teil des Problems, genau wie die Banken." Eigentlich seien Neuwahlen erforderlich. Wer dann eine Chance erhalten sollte, wisse er freilich auch nicht. Er wisse aber, nicht die einfachen Leute hätten das wirtschaftliche Desaster zu verantworten. Wie soll, fragt sich der Delphi-Wirt, auch ein kleiner Angestellter über seine Verhältnisse leben?
Heiße Diskussionen
Schließlich liege das Lohnniveau weit unter dem europäischen Durchschnitt. Und das Gleiche treffe auf die Rentner zu. Zwei von drei Pensionären hätten weniger als 600 Euro im Monat. Also bleibe ihm nur eine Schlussfolgerung: Das Dilemma muss an den großen Weichenstellern im Lande liegen... Darüber werde nun heiß diskutiert, in Griechenland ohnehin und nun manchmal auch in seinem Lokal - meist erst spät am Abend, wenn einige der Griechen in Halle unter sich sind. Als informierten und streitbaren Gesprächspartner schätzt Zourlantonis einen seiner dienstältesten Gäste: Thomas Muntzos, der in Halle ein geologisches Ingenieurbüro betreibt.
Der Mann vom Bau glaubt sogar, einen Ausweg aus der Krise gefunden zu haben. "Die Zinsen für die Kredite, die Griechenland eingeräumt werden, sind viel zu hoch." Für Hilfe, die wirklich helfen soll, dürfte diese Marke zwei Prozent nicht überschreiten. Angesichts solcher schwierigen Erwägungen kommt der Wirt noch zu einer anderen Erkenntnis: "Eine starke Familie ist immer das Wichtigste." Quelle seiner Kraft seien seine Frau, die aus Rumänien stammt, und die Töchter - beide übrigens mit deutschen Pässen. Das ältere Mädchen ist gerade konfirmiert worden. Und die jüngere Schwester freue sich auf die Schule - natürlich in Halle.