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Haftanstalt Burg Haftanstalt Burg: Illusion von Normalität in der Sicherungsverwahrung

Von Hendrik Kranert-Rydzy 12.04.2013, 13:49
Die Türen zu den Wohnräumen der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Sachsen-Anhalt) stehen am 12. April offen.
Die Türen zu den Wohnräumen der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Sachsen-Anhalt) stehen am 12. April offen. DPA Lizenz

Burg/MZ. - Die Häschen haben ihre neue Ställe schon bezogen. Die Meerschweinchen sollen in ein paar Tagen kommen. Der Grill mit Fliegenpilz-Haube wartet auf die erste Kohle, die Bänke duften noch nach Farbe. Die Wege sind geharkt, die ersten Krokusse blühen. Ein toller Ort zum Entspannen. Wären nicht meterhohe Mauern ringsum, Stacheldraht, Kameras und ein Gespinst aus Seilen über dem Basketballfeld gegen ungebetene Besucher mit Hubschraubern.

Daher heißt der Garten auch nicht Garten. „Das ist unser Freistundenhof“, sagt Manuela Golz. Eine Illusion von Normalität in Sachsen-Anhalts Hochsicherheitsgefängnis Burg (Jerichower Land). „Das wird noch anheimelnder“, schiebt die Chefin der Sicherungsverwahrung nach. Freilich nicht für die mehr als 500 gewöhnlichen Strafgefangenen, die den Freistundenhof nicht einmal zu Gesicht bekommen dürften. Sondern für jene Insassen, die ihre reguläre Haftstrafe abgesessen haben und dennoch nicht nach draußen, zurück in die Freiheit dürfen. Die Sicherungsverwahrten. Schwerverbrecher, Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder. Die noch immer eine Gefahr für die Allgemeinheit sind.

Dennoch rückt der Staat nicht davon ab, auch jene irgendwann zurück in die Freiheit schicken zu wollen. Daher hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Sicherungsverwahrung nicht mit gewöhnlicher Strafhaft gleichgesetzt werden kann. Und es war ausgerechnet ein Gericht in Sachsen-Anhalt, das Oberlandesgericht Naumburg, das 2011 urteilte, wie viel besser genau Sicherungsverwahrte untergebracht werden sollen: In Räumen, die mit 20 Quadratmeter nicht nur doppelt so groß sind wie normale Zellen. Sondern die auch den Eindruck einer gepflegten Einzimmer-Wohnung machen.

Der Boden vor dem großen Kleiderschrank aus unbehandeltem Kiefernholz - inklusive großem Ankleidespiegel - ist noch feucht vom Durchwischen. Das Bett ist noch nicht bezogen, aber bereits mit drei braunen Zierkissen belegt. Es gibt eine geräumige Dusche - die sonst in Zellen fehlt - und im Nachbarzimmer einen bequemen Fernsehsessel vor einem Couchtisch. Nur die Flimmerkiste fehlt noch, die müssen die Insassen selber mitbringen. Dahinter kommt eine kleine Küchenzeile. Selbst ein Telefon gibt es, wenngleich nur zu bestimmten Anschlüssen durchgestellt wird. Hier ließe es sich aushalten, wenn nicht die Fenster vergittert wären. Ein irritierender Anblick. Und ein befremdlicher Gedanke, weil es ausgerechnet die Ausgestoßenen der Gesellschaft sind, die hier - im Vergleich zu Strafgefangenen - geradezu paradiesische Verhältnisse vorfinden.

Es ginge um möglichst viel Normalität, „die Insassen sollen sich wohlfühlen und das normale Leben trainieren, um irgendwann in Freiheit entlassen werden zu können“, sagt Anstaltsleiter Thomas Wurzel. Daher kann sich der Sicherungsverwahrte seinen Tag auch frei einteilen. Die Zellentür steht offen, außer wenn der Insasse das nicht wünscht. Es gibt eine Gemeinschaftsküche und einen Sportraum, im dem schon der Billardtisch aufgebaut ist. Nur das „Mensch-Ärger-Dich-Nicht“-Spiel im Gemeinschaftsraum erinnert mit feiner Ironie an die Gefangenschaft.

Justizministerin Angela Kolb (SPD) hat denn auch allen Grund zum Strahlen, als sie gestern die Räume, die nach dem Prinzip „aus zwei mach’ eins“ entstanden sind, inspiziert. Kolb dürfte wohl die erste Justizministerin in Deutschland sein, in deren Zuständigkeitsbereich die Sicherungsverwahrten nicht nur pünktlich, sondern auch vorfristig nach neun Monaten Bauzeit in ihre neuen Domizile umziehen können. Ende April kommen die zwölf Männer; drei Thüringern ziehen aber auch bald wieder aus. Sachsen-Anhalt hatte wegen des Umbaus der Sicherungsverwahrung die Verträge mit Thüringen und Sachsen gekündigt.

Kolb strahlt aber auch, weil mit dem Umbau etwas gelungen ist, was in anderen Bereichen des als PPP-Modell privat gebauten und teilweise auch privat betriebenen Gefängnisses im Gegensatz zur ursprünglichen Planung nur bedingt gelingen will - zugunsten des Landeshaushaltes zu sparen. Statt der taxierten 780 000 Euro wird die Sicherungsverwahrung 40 000 Euro billiger. „Das zeigt, dass PPP auch funktioniert, insgesamt sind wir zufrieden.“ Bei Küche, Wäscherei und EDV-Betreuung trifft das nicht zu - da will Justizministerin Kolb, politisch unter Druck, die Verträge kündigen.

Komfort allein freilich macht aus einem Mörder keinen netten Nachbarn - es geht auch um Erziehung und Betreuung. „Für alle Sicherungsverwahrten und von Sicherungsverwahrung Bedrohten wurden zwei Psychologen, drei Sozialarbeiter und eine Ergotherapeutin zusätzlich eingestellt“, sagt die für deren Leitung zuständige Manuela Golz. Behandlungsangebote gibt es täglich von 8 bis 17 Uhr - der Sicherungsverwahrte entscheidet selbst, wann er sie annimmt. Gleiches gilt für die Arbeitsangebote in Schlosserei, Schneiderei und Verpackungsmittel-Firma.

Freilich hat jeder Insasse ein Interesse daran, die Angebote anzunehmen: Alle halbe Jahre wird überprüft, ob sich das Sozialverhalten verbessert hat. Davon hängt ab, ob und wann es zu einer Lockerung der Gefangenschaft kommt: Zur Arbeit außerhalb der Anstalt, zu Langzeiturlaub oder Probeaufenthalt in einer Außenwohngruppe. Scheitert dies, bleibt auch die Abteilung der Sicherungsverwahrten in Burg nur ein goldener Käfig.

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Sachsen-Anhalt). Dort sind 18 neue Unterbringungsräume für die Sicherungsverwahrten Sachsen-Anhalts und Thüringens vorgestellt worden.
Die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Sachsen-Anhalt). Dort sind 18 neue Unterbringungsräume für die Sicherungsverwahrten Sachsen-Anhalts und Thüringens vorgestellt worden.
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