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Gesundheitswesen Gesundheitswesen: Einen Korb von Nostradamus

Von Bärbel Böttcher 13.07.2006, 18:01

Halle/MZ. - Und so lassen sie Nostradamus bei ihrem landesweiten Aktionstag in Halle auferstehen. In einer Kutsche fährt er vor dem Sitz des Kommunalen Arbeitgeberverbandes in der Merseburger Straße vor und übergibt an Detlev Lehmann, dem Verbandsgeschäftsführer, die Forderungen der Mediziner - natürlich stilecht auf einer riesigen Pergamentrolle. In seinem Gefolge hat der Medicus mehr als 400 Ärzte, die zeitweise den Verkehr auf der Merseburger Straße lahmlegen.

"Wir möchten weiter in Sachsen-Anhalt leben und unsere Arbeitskraft nicht im Ausland oder im Westen zu Markte tragen", betont Nostradamus alias Andreas Porsche vom Landesvorstand des Marburger Bundes. Damit spielt er darauf an, dass immer mehr Ärzte ihr Glück im Westen oder im Ausland suchen. Und er unterstreicht die Forderungen nach einem arztspezifischen Tarifvertrag, in dem vernünftige Arbeitszeitregelungen und eine gerechte Entlohnung festgehalten werden.

Mit einem Lächeln nimmt Lehmann das "Gastgeschenk" entgegen - einen Korb mit Zwiebeln (weil den Ärzten öfter die Tränen in den Augen stehen), Äpfeln (weil sie sich wie Fallobst fühlen) und Kohl (weil bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen viel Kohl geredet wird). Er fordert die Mediziner dann auf, das Arbeitgeberangebot genau anzuschauen. "Eine Menge Tränen können dann schon getrocknet werden."

Seine Worte gehen im Pfeifen der Ärzte fast unter. Für die Mediziner ist eine Schmerzgrenze erreicht. Sabine Baumert vom Städtischen Klinikum in Dessau beklagt Gehaltseinbußen, weil Bereitschaftsdienste nicht mehr voll vergütet werden. Zudem bleibe die Lohnangleichung an das Westniveau aus. "So kann man eine Familie nicht mehr durchbringen", sagt sie und erwägt, in den Westen oder nach Großbritannien zu gehen. Aus den gleichen Gründen trägt sich auch Jens-Frieder Mükke vom Klinikum Burgenlandkreis in Naumburg mit dem Gedanken, Sachsen-Anhalt zu verlassen. Er möchte eigentlich bleiben. Um die Leute zu halten, müsse sich aber unter anderem die Ost-West-Schere bei den Gehältern schließen, betont auch er. "Deshalb streiken wir ja hier", sagt er.

Gestreikt wurde am Freitag auch an den Universitätskliniken in Halle und Magdeburg. Angeführt von der Gewerkschaft Verdi gingen in Halle etwa 90 Schwestern, Pfleger und Techniker auf die Straße. Sie verlangen jedoch nicht mehr Geld. "Wir wollen das, was wir jetzt haben, und unsere Arbeitsplätze behalten", sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Der Bezirksgeschäftsführer des Verdi-Bezirkes Sachsen-Anhalt-Süd, Lothar Philipp, wird deutlicher. Die Gewerkschaft fordert von der Klinikleitung die Übernahme des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder, der für die 3 000 Angestellten der Medizinischen Fakultät gilt, auch für jene 3 000 Beschäftigten, die direkt bei der Klinik angestellt sind. Das Arbeitgeberangebot für Letztere sehe jedoch Lohneinbußen von im Schnitt 15 Prozent vor, weil es unter anderem Abstriche beim Urlaubsgeld gibt, weil Urlaubstage gestrichen werden, weil Steigerungsstufen wegfallen.

Elke Wolfsteller, Medizinisch-technische Assistentin im HNO-Labor, hält das für eine Ungeheuerlichkeit. Kerstin Voigtländer aus der Pathologie sieht in den Streiks das letzte Mittel, die stockenden Tarifverhandlungen voranzubringen. Und sie setzt dabei auf die Solidarität der Kollegen, die nicht streiken.