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Geschichte Geschichte: Letzter erhaltener DDR-Grenzbahnhof steht vor Abriss

Von Andreas Hummel 02.10.2008, 10:07
Der Bahnhof in Probstzella an der innerdeutschen Grenze (Foto vom 13.05.81). Die Grenzübergangsstelle wurde 1976 erbaut und diente der Kontrolle des Zugreiseverkehrs zwischen Berlin und München. (Foto: ddp)
Der Bahnhof in Probstzella an der innerdeutschen Grenze (Foto vom 13.05.81). Die Grenzübergangsstelle wurde 1976 erbaut und diente der Kontrolle des Zugreiseverkehrs zwischen Berlin und München. (Foto: ddp) ddp

Probstzella/dpa. - Inder vergangenen Woche nun wurde er zum Abriss freigegeben. DieEntkernung hat am Donnerstag begonnen. Nach Ansicht von Experten gehtdamit ein «Geschichtsdenkmal von nationaler Bedeutung» verloren. Zwargibt es Pläne zum Erhalt eines Gebäudeteils und der Einrichtung einesMuseums, doch sieht sich die Gemeinde außerstande, die Kosten vonmehr als 300 000 Euro aufzubringen. Das Thüringer Kultusministeriumwill in der kommenden Woche entscheiden, ob es das Vorhabenunterstützt und damit quasi in letzter Minute einen Komplettabrissverhindert.

Probstzella war einer von sieben DDR-Grenzbahnhöfen genWestdeutschland, den vor allem Transitreisende auf dem Weg von West-Berlin nach Süddeutschland passierten. Nach Recherchen desPublizisten Roman Grafe wurden dort etwa eine halbe Million Menschenpro Jahr kontrolliert. Viele von ihnen waren dabei Schikanen undDemütigungen seitens der Zöllner und der Stasi ausgesetzt.«Probstzella war berüchtigt bei den Reisenden für seine scharfenZöllnerinnen», erzählt Grafe. Die Passkontrolleure der Stasi tratenin Uniform der Grenztruppen auf.

Der DDR-Zweckbau wurde 1978 errichtet. Im Erdgeschoss gab es zweiWartesäle - im Jargon der Grenzer «Stauräume» genannt. Sie waren überschmale Gänge verbunden. Dort wurden Hunderttausende Reisendedurchgeschleust, kontrolliert und ihre Pässe heimlich zuSpionagezwecken abfotografiert, erzählt Grafe. Nach der Wende gingdas Gebäude in Bundesbesitz über. Im Mai 2007 ersteigerte es dieGemeinde für 3500 Euro, die seither den Abriss vorantreibt. Heutetropft in dem heruntergekommenen Gebäude der Regen von der Decke undam Boden im Erdgeschoss haben sich Pfützen gebildet. Es riecht muffigund der Putz bröckelt von den Wänden.

Das Gebäude in Probstzella ist nach Recherchen von Grafe derletzte DDR-Grenzbahnhof, der in dieser Form noch komplett erhaltenist. Sein Konzept sieht vor, den Kontrollbereich in Parterre zuerhalten und als Museum zu nutzen, damit die Erinnerung an die SED-Diktatur und das willkürliche Grenzregime wach gehalten wird. Derübrige Teil des Gebäudes samt den drei Stockwerken, die als Bürosgenutzt wurden, sollen abgerissen werden.

«Für unseren kleinen Ort allein ist das Projekt eine Nummer zugroß», erklärt Bürgermeister Marko Wolfram (SPD). Daher hat sich derGemeinderat in seiner jüngsten Sitzung erneut für einen Abriss desverfallenen Gebäudes an der ICE-Strecke Berlin-München entschieden.Doch haben die Gemeinderätet des 3500 Einwohner zählenden Ortes eineHintertür offen gelassen. Sollten Land oder Bund kurzfristigUnterstützung zusagen und sich an einem Teilerhalt beteiligen, dannwird eine Sondersitzung einberufen und neu entschieden. Zudem wurdeder Förderverein «Grenzbahnhof Probstzella» initiiert. Er versuchtkurzfristig 40 000 Euro an Spenden zu sammeln, um den für das Museumvorgesehenen Kontrollbereich des Bahnhofs zu erhalten.

Befürworter des Projektes erhoffen sich vor allem positive Effektefür den Tourismus. Laut Grafe sind etwa 30 000 Besucher pro Jahrrealistisch, in Zukunft könnten es durchaus noch mehr werden. Er istder Überzeugung, dass rund 80 Prozent der laufenden Kosten überEintrittsgelder gedeckt werden könnten. Auch die ThüringerBeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, hat sichnach einem Besuch für den Erhalt ausgesprochen. «Sie haben - auchwenn es äußerlich ganz anders scheint - mit diesem Haus einen Schatzin ihrem Ort», schrieb sie im August an den Gemeinderat. Es seiwichtig, die für die damaligen Kontrollen wesentlichen Teile desGebäudes zu erhalten und die Erinnerung zu ermöglichen.

Doch die Zeit drängt. Nach den Entkernungsarbeiten könnte schon imNovember der Abrissbagger anrücken. Ob das Kultusministerium inletzter Minute einspringt, ist derzeit noch offen. «Der Erhaltsolcher Erinnerungsstätten ist ehrenwert, aber solche Beträge, wiesie hier erforderlich sind, nehmen wir nicht aus der Portokasse»,sagte Ministeriumssprecher Detlef Baer.