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Geiselnahme in Naumburg Geiselnahme in Naumburg: Kidnapping am Kühlschrank

Von Steffen Reichert 04.04.2005, 19:18

Naumburg/MZ. - Dieses Klingeln. Dieses ständige Klingen des Telefons. "Man kommt zu nichts", klagt der Naumburger Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Neufang über die vielen Anfragen der Journalisten. Dabei hat er eigentlich genug zu tun. Bis nach Mitternacht dauerte die Geiselnahme, die die Naumburger Justizvollzugsanstalt und die ganze Stadt in Atem hielt.

Doch schon am Morgen sitzt der 44-jährige Neufang wieder an seinem Schreibtisch und liest Akten, um die Ermittlungen nach der unblutig beendeten Geiselnahme voranzutreiben. Noch ist vieles unklar von dem, was sich am Sonntag ab 15.30 Uhr in dem Naumburger Zellentrakt zugetragen hat. "Wir haben", so der Jurist, "die beiden Geiseln noch nicht vernehmen können." Angesichts der traumatischen Erlebnisse soll dies frühestens heute geschehen.

Deshalb ist die Rekonstruktion der dramatischen Ereignisse noch bruchstückhaft. Klar ist bereits, dass einer der beiden in seiner Zelle eingeschlossenen Geiselnehmer am Nachmittag einen Bediensteten bat, ihn aus der Einzelzelle heraus zu seinem Gemeinschaftsfach am Kühlschrank zu bringen.

Kurz vor dem Kühlschrank kommt es zum Kidnapping. Völlig überraschend drückt der Gefangene eine Nagelschere an den Hals des Beamten und zwingt ihn, den Komplizen aus der Zelle zu lassen. Nun zu zweit machen sich die Straftäter, die wegen Mordes und Vergewaltigung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt sind, mit ihrer Geisel auf den Weg durch das Haus und gelangen schließlich in den Bereich der Untersuchungshaft. Zwei weitere Geiseln werden genommen, einer von ihnen gelingt die Flucht, man verschanzt sich in einem Dienstzimmer.

Was jetzt beginnt, ist nervenaufreibend für alle. Die Verhandlungsgruppe des Landeskriminalamtes bezieht Position, das Spezialeinsatzkommando der Polizei geht in Stellung. Es wird verhandelt, es wird um Details gerungen - und eine halbe Stunde nach Mitternacht schlägt die Polizei schließlich zu: Beide Geiseln können unverletzt befreit werden, einer der Täter hat eine Platzwunde.

"Einen Glücksfall" nennt der Chef der Strafvollzugsgewerkschaft, Wolfgang Jänicke, den Ausgang der Geiselnahme. Einen Glücksfall deshalb, weil seine Kollegen immer mit brutalen Übergriffen von Gefangenen rechnen müssen - die Arbeitsbedingungen sind denkbar kompliziert. Gerade in Naumburg sei das Risiko, Opfer einer Geiselnahme zu werden, hoch. Das 1860 eröffnete Gefängnis ist heute jene Anstalt in Sachsen-Anhalt, wo die "harten Jungs", die Verurteilten mit Strafen von mindestens vier Jahren, untergebracht werden. Mancher sieht da keine Perspektive mehr. "Lediglich wenn Tätergruppen getrennt werden müssen, sind sie über das Land verteilt", so Oberstaatsanwalt Neufang.

So erklärt sich auch, dass es in der Kleinstadt bereits mehrere Geiselnahmen gegeben hat. 1997 hatte der als "Legionär" bekannt gewordene Wolfener Hans-Hendrik Brauser bei einem Hofgang einen Vollzugsbeamten als Geisel genommen, um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erzwingen. Und vor vier Jahren brachte ein 34-jähriger Mörder eine Krankenschwester in seine Gewalt.

Dabei sind gerade in Naumburg die Haftbedingungen vergleichsweise gut. 251 reguläre Haftplätze gibt es, mit 259 Insassen ist das Gefängnis belegt. "Beide Täter hatten Einzelzellen", so die Sprecherin des Justizministeriums, Susanne Hofmeister. Sie kündigt umfassende Untersuchungen an. "Die Sicherheit in den Gefängnissen steht ganz oben."