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Franziskaner Franziskaner: Das Kloster als Kraftquelle

Von Steffen Reichert 23.12.2005, 18:23

Halle/MZ. - Noch ist es dunkel an diesem Dezembermorgen, noch ist es still auf den Straßen. Es ist 6.45 Uhr, und als die Franziskaner-Mönche in dem schlichten Klosterraum wie jeden Morgen zusammenkommen, da fehlt nur einer. Varghese, indischer Priester und für drei Jahre in Halle als Doktorand an der Uni, hat verschlafen. "Damit haben wir kein Problem", sagt Bruder Martin lachend. "Wir in Sachsen-Anhalt stehen ja bekanntlich etwas früher auf."

Das morgendliche Gebet ist Ritual. Seit mehr als achtzig Jahren schon - seit es mitten in Halle das im Stil der klassischen Moderne errichtete Franziskanerkloster gibt - treffen sich die Mönche hier. Das Beten in der Gruppe gibt Kraft für den Tag. Vor dem gemeinsamen Frühstück und der anschließenden Morgenmesse steht die Besinnung.

Drei Mönche leben noch im Kloster: Bruder Martin, Bruder Edmund und Bruder Reinhold. Der 65-jährige Alois Domogalla - er hat den Namen Bruder Martin angenommen - leitet als Pfarrer das Kloster des im 13. Jahrhundert gegründeten Bettelordens. Er ist in Schlesien geboren, bei Braunschweig aufgewachsen, schon bald in ein Franziskaner-Internat gegangen. Und irgendwann stand für ihn fest, dass er selber in den Orden eintreten will. Mit allen Konsequenzen. Die drei Knoten an der Kordel seiner Kutte sind Bekenntnis: Armut, Demut, Keuschheit. Als Namen im Orden hat er sich Martin ausgewählt, so steht es auch im Personalausweis. Weil ihn der Name an den Heiligen Martin, aber auch an seinen ertrunkenen Bruder erinnert.

An die Kraft der Kirche hat der Pfarrer immer geglaubt. Einer der stärksten Momente war für ihn, als im Jahr 1968 in einer Berliner Christnachtmesse der Politrebell Rudi Dutschke das Mikrofon an sich riss und über gesellschaftliche Entwicklungen diskutieren wollte. Da ließ ein Franziskaner den Organisten so laut und lange spielen, bis Dutschke nicht mehr zu hören war und schließlich schwieg.

"Kirche hat Kraft. Kirche ist Sehnsucht", ist Bruder Martin überzeugt. Dass er nach Stationen in Berlin und Hannover 1992 nach Halle wechselte, war Zufall. "Die Mauer war gefallen, das Haus in Hannover sollte schließen", erinnert er sich. So übernahm er die katholische Kirchengemeinde im Süden Halles, die mit 2 100 Mitgliedern eine große in Ostdeutschland und eine kleine für die westlichen Bundesländer ist.

Bruder Martin hat den Wechsel nach Halle nie bereut. "Es gibt einen unglaublichen Zusammenhalt", sagt er. Das sei eine Folge der DDR-Zeiten, als sich das Kloster ohne jeden Pfennig an staatlichen Zuschüssen und trotz aller staatlicher Gängelei über Wasser halten musste. Und als Kirche noch viel stärker Ort der Diskussion war.

Aber auch heute ist es nicht ganz einfach. Die halleschen Franziskaner, deren Bettelorden sich vor allem der Seelsorge verschrieben hat, bekommen von ihrer Zentrale in Hannover zusammen nur 4 000 Euro monatlich. Davon müssen nicht nur die drei Mönche leben und alle Unterhaltskosten für das Kloster bestreiten. Auch ihr Gast aus Indien und Dirk Vulpius, der zwei Jahre zum Diakon ausgebildet wird, werden davon beköstigt. Vulpius ist 35 Jahre alt, Chemiker und Vater von zwei Kindern. Er stammt aus Völpke bei Magdeburg und hat neben seiner Arbeit im Atomforschungszentrum Rossendorf noch ein Theologiestudium absolviert. Er möchte Diakon werden und die Menschen in ihren Sorgen und Nöten begleiten. "Not ist, wo Lebensmöglichkeiten fehlen", ist Dirk Vulpius überzeugt.

Bruder Martin sieht das nicht anders. Sein Tag ist stets ausgeplant. An diesem Morgen geht er in den katholischen Kindergarten "Don Bosco" und erzählt 70 Jungen und Mädchen unter dem Adventskranz die Weihnachtsgeschichte. Anschließend macht er sich auf den Weg zu Rosina Baumgärtner, um ihr die Heilige Kommunion zu reichen. Die Freude, die die 91-Jährige über den Besuch empfindet, fasst die Donauschwäbin beim Abschied in einen Satz: "Danke für diese schöne Stunde."

Weihnachtsfeier, Üben für das Krippenspiel, Orchesterprobe und hohe Poststapel, die abgearbeitet werden wollen. Wenn es Abend wird im Kloster, hat Bruder Martin ein pralles Programm hinter sich. Er wird noch drei, vielleicht auch vier Jahre das Kloster leiten. Dann ist er fast 70. Üblich ist es, dass man das Kloster dann verlässt und Platz macht für einen neuen Pfarrer. Aber ob ein Nachfolger kommt, ob das Kloster in der Großstadt dann noch eine Zukunft hat, ist ungewiss. Die Personalprobleme sind groß. Doch Bruder Martin ist optimistisch. "Kirche ist sich treu geblieben und hat sich doch verändert." Eine Veränderung ist unüberhörbar. Damit die Kirchenglocken mittags pünktlich läuten, werden sie neuerdings mit Hilfe eines Funksignals der Atomzeituhr in Frankfurt in Gang gesetzt.