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Familiengeschichte Familiengeschichte: Erkannt an Frohnatur des Vaters

Von Burkhard Zemlin 15.02.2004, 15:12

Eisleben/MZ. - Maria Rauchfuß ist glücklich. Sie hat zum ersten Mal ihren Neffen Jean-Marc Coppens (42) und dessen Frau Patricia (42) aus dem französischen Haubourdin in der Lutherstadt in die Arme schließen können.

"Es ist für mich ein große Freude", ist Coppens um Fassung bemüht. Ja, er hatte schon lange von der Existenz einer Tante in Deutschland gewusst, mehr aber auch nicht. Großvater Gaston Watterlous (1913-1982) hat davon erzählt. Er war 1943 Kriegsgefangener in Eisleben und dort mit einem ein Mädchen zusammen, das schwanger wurde. Bald darauf floh die junge Frau aus Eisleben in ihren Heimatort irgendwo an den Rand des Riesengebirges. Die katholische Gemeinde dort aber reagierte hartherzig: Die werdende Mutter bekam in der Kirche beim Gottesdienst stets einen Platz in der letzten Reihe zugewiesen, sie wurde wie ein Aussätzige behandelt und durfte noch nicht einmal zur Beichte gehen.

Viel mehr hat Tochter Maria Rauchfuß, die nach kriegsende mit ihrer Mutter nach Eisleben zurückkehrte, über diese Zeit nie erfahren. Das Thema sei zu Hause tabu gewesen, erzählt die heute 59-Jährige. Sie habe lediglich gehört, dass ihr Vater Franzose ist. Später bekam sie auch ein Foto in die Hand, das ihn zeigt - ein junger Mann, der fröhlich lächelt: Gaston Watterlous.

Den wollte sie suchen, ihn einfach nur kennen lernen. Als Mariua Rauchfuß 18 wurde, schrieb sie nach Frankreich, doch der Brief kam ungeöffnet zurück. Und die Suche endete, ehe sie begonnen hatte. Erst Anfang des Jahres 2000 wurde das Thema wieder aktuell, als die Mitteldeutsche Zeitung über einen Franzosen berichtete, der in Eisleben Spuren seiner Landsleute suchte, die dort in Kriegsgefangenschaft waren. Dabei wurde ein Gruppenbild veröffentlicht, auf dem Maria Rauchfuß ihren Vater zu erkennen glaubte. Wie sich herausstellte, hatte sie sich nicht getäuscht. Ein ehemaliger Gefangener konnte bestätigen, dass Gaston

Watterlous tatsächlich zur Gruppe gehörte. Aber was aus ihm geworden ist, wusste auch er nicht.

An diesem Punkt wäre die Geschichte zu Ende gewesen, wenn nicht zwei Jahre später Gerard Flatres in Eisleben aufgetaucht wäre, um für einen Freund jene Stätten zu erkunden, die dessen Vater in Eisleben als Kriegsgefangener kennen gelernt hatte. Die Französischlehrerin Christiane Kath half ihm bei seinen Recherchen und bat im Namen von Maria Rauchfuß, doch in Frankreich nach Gaston Watterlous zu forschen.

Flatres tat wie versprochen und erfuhr, dass Gaston nicht mehr am Leben ist. Seine Familie aber wollte sofort Kontakt mit der unbekannten Tante in Deutschland aufnehmen. "Besucht uns!", schrieben sie.

Also fuhren die Eheleute Maria und Hartmut Rauchfuß nach Frankreich. Mit etwas bangen Gefühlen, wie sie bekennen. Auch bei den Franzosen herrschte neben gespannter Erwartung Unsicherheit. "Wir hatten alle dieselben Bauchschmerzen", sagte Maria Rauchfuß. "Wir wussten doch nicht wie und was." Dann aber standen die Verwandten sich zum ersten Mal gegenüber - und alle Angst war vergessen. Maria Rauchfuß kommen die Tränen, wenn sie an die Herzlichkeit denkt, mit der sie und ihr Mann aufgenommen wurden. "Das ist Gaston!" hatten alle gerufen, als sie Maria Rauchfuß erblickten.

Die Eisleberin sieht ihrem Vater nicht nur sehr ähnlich, sie muss auch einiges von dessen Wesen abbekommen haben. Auf die Frage, was das wohl sei, lacht sie: "Das will ich lieber nicht sagen."

Doch es ist leicht vorzustellen, dass ihre Frohnatur mit dem Vater in Zusammenhang steht. Maria Rauchfuß hat zwar nie Französisch gelernt, kann sich aber auch so verständigen, mit Händen und Füßen. "Null Problem", sagt sie. Am besten klappt die Verständigung in der Küche. Die Frauen haben gemeinsam gekocht, Kuchen gebacken und sich wunderbar verstanden. Schon jetzt, gerade zurück in Eisleben, freut sich Maria Rauchfuß auf das nächste Treffen mit ihren so lange so fremden Verwandten, die ihr längst schon gute Freunde sind.