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Erfolgreicher Protest Erfolgreicher Protest: Die Raben-Revolte von Merseburg

Von Gert Glowinski 28.10.2004, 19:23

Merseburg/MZ. - "Die Tierschützer haben nicht Recht", empörte sich Renate Schulz. Große Aufregung herrschte am Donnerstag im Merseburger Schlosshof: Mehr als hundert Bürger, darunter einige Schulkinder, kamen auf Einladung der Mitteldeutschen Zeitung zur Schlosshof-Voliere. Deren Bewohner - ein großer schwarzer Vogel - erhitzt seit Tagen die Gemüter. Dem Merseburger Raben, das lebende Wahrzeichen der Stadt, drohte die Umsiedlung.

Der Kolkrabe, der in einem Käfig vor dem Schloss lebt, sollte in einen Tierpark umgesetzt werden. So jedenfalls hatten es der Landrat von Merseburg-Querfurt, Tilo Heuer (SPD), und Merseburgs Oberbürgermeister Reinhard Rumprecht (parteilos) vor wenigen Tagen verkündet (die MZ berichtete). Sie reagierten damit auf Forderungen von Tierschützern nach einem größeren Käfig für den Vogel.

Heuer und Rumprecht hatten nicht mit dem Widerstand vieler Merseburger gerechnet. Und die protestierten in Hunderten von Briefen, E-Mails und Telefonanrufen bei Behörden und auch bei der MZ. Die Raben-Revolte nahm ihren Lauf. "Dem Vogel geht es gut, eine Umsiedlung ist Unfug", hieß es. Die Entscheidung zeuge von einem falschen Demokratieverständnis. Die Verwaltungen hätten offenbar keine anderen Probleme.

Oberbürgermeister Rumprecht verstand als erster die Botschaft des Volkes und vollzog eine Kehrtwende. "Der Rabe bleibt doch", verkündete er gestern im Schlosshof. Landrat Heuer blieb danach nichts anderes übrig, als ebenfalls zum Freund des Vogels zu werden: "Wir haben Verständnis für die Entscheidung der Stadt."

Auf einmal zählen offenbar die Bedenken etwa der Tierschützer nicht mehr. Stattdessen hieß es, die Bedingungen für den Raben seien in der Voliere eigentlich schon immer in Ordnung gewesen. "Das haben uns Fachleute bestätigt", sagte Vize-Landrat Frank Bannert. Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf den halleschen Ornithologen Timm Spretke, der von einer Umsetzung des Tieres sogar in einem Gutachten abgeraten hatte.

Dass viele Merseburger eine Verbannung des Raben strikt ablehnen, kann nicht überraschen. Ein lebender Rabe ist schon seit Jahrhunderten ein Art Maskottchen der Stadt. Im 15. Jahrhundert lebte in Merseburg der berühmte Bischof Tilo von Trotha. Dieser besaß, wie in einer Sage überliefert ist, einen goldenen Siegelring. Eines Morgens ließ er das wertvolle Schmuckstück am offenen Fenster liegen und bemerkte später dessen Verlust. In seinem Zorn bezichtigte er seinen Diener des Diebstahls. Obwohl der seine Unschuld beteuerte, ließ er ihn hinrichten. Später wurde jedoch in einem Rabennest der Ring des Bischofs entdeckt.

Ein Kolkrabe "büßt" seither für den Diebstahl in einem Käfig im Schlosshof - als eindringliche Mahnung, kein Urteil im Jähzorn zu fällen. Der Rabe von Merseburg dürfte sich nun noch größerer Fürsorge erfreuen. Schon jetzt wird täglich mit dem Vogel gespielt, er bekommt pünktlich seine Mahlzeiten, die Voliere wird regelmäßig auf Vordermann gebracht. "Woanders bekommt der Rabe nicht so eine Pflege", sagte Hausmeister Rainer Niederhausen, der das Tier betreut. Dem Vorgänger des Merseburger Wahrzeichens ging es nicht so gut. Der Rabe verschluckte eine Münze, die Touristen in den Käfig geworfen hatten - und starb.