1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Elbe-Saale-Winkel: Elbe-Saale-Winkel: Kühren nach Hochwasser schwer gezeichnet

Elbe-Saale-Winkel Elbe-Saale-Winkel: Kühren nach Hochwasser schwer gezeichnet

Von Ralf Böhme 23.06.2013, 18:31
Seit vielen Tagen steht das Wasser im Dorf. Die Frage der Heimkehrer: Wohin mit der fauligen Brühe?
Seit vielen Tagen steht das Wasser im Dorf. Die Frage der Heimkehrer: Wohin mit der fauligen Brühe? Ute Niklisch Lizenz

Kühren/MZ - Ohne Energie aus der Steckdose läuft fast gar nichts. In Kühren bei Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) wartet das ganze Dorf auf Strom. Die Zuschaltung erfolgt Haus für Haus, nach gründlicher technischer Kontrolle. Es ist der letzte Ort im südlichen Sachsen-Anhalt, in den die Einwohner nun nach dem Ende der Evakuierung heimkehren dürfen. Hinter etlichen von ihnen liegen Tage in Köthener Turnhallen. Von einer Heimkehr, die Freude aufkommen lässt, kann indes keine Rede sein. Zu groß sind die Schäden durch das Hochwasser der Saale, das Kühren fast eine Woche lang geflutet hatte. Jetzt steht das große Aufräumen und Reparieren bevor. Der Umfang der Arbeiten erscheint den meisten Kührenern im Moment unüberschaubar.

Mehl trocken, Heizung kaputt

Bernd Wehling zum Beispiel steht vor einem Neuanfang, der ihm sichtlich schwer fällt. Bevor der Bäckermeister irgendetwas anpackt, will er abwarten, bis der elektrische Hausanschluss abgenommen ist. Sein Glück: Das Mehl und die anderen Vorräte sind trocken, ebenso der Backofen. Sein Unglück: Im ganzen Kellergeschoss steht das Wasser - auch im Heizraum, bei den Öltanks und auf dem Hof. „Wer wäre da nicht niedergeschlagen?“, fragt der Mann, der den kleinen Familienbetrieb seit 1981 führt. Die Bäckerei gibt es an dieser Stelle schon viel länger, seit 1806. Keiner seiner Vorgänger habe eine solche Katastrophe überstehen müssen, sagt Wehling.

Normalerweise kann man hier ab fünf Uhr in der Früh frische Brötchen kaufen. Wann das wieder möglich ist? Schulterzucken. Seine Frau sieht ein weiteres Problem. Auch auf längere Sicht sind viele Straßen ringsum wegen des Hochwassers und der angerichteten Schäden gesperrt. Wie sollen da die Kunden von außerhalb herfinden? „Nur nicht dran denken, sonst kriege ich Panik“, sagt Wehling.

Die örtliche Feuerwehr tut, was sie kann - seit Wochen, oft rund um die Uhr. Mit Schläuchen und Pumpe rückt sie am Wochenende vor, von Grundstück zu Grundstück. Nur ganz wenige, etwas höher gelegene Parzellen sind von den Wassermassen verschont. Viele Gärten sind verwüstet, mit Schlamm und Unrat bedeckt. Das Problem: Rings um Kühren steht das Wasser auf den Äckern und Wiesen, in den Gräben. Aus einem Getreidefeld quaken sogar die Frösche. Ein Storch stelzt über die geknickten Halme. Ihn stört vermutlich nicht, dass es überall stinkt. Wer von außerhalb kommt, dem steigt es aber höchst unangenehm in die Nase - der Geruch nach Wasser, das fault, nach Moder, Gülle. Aber das ist kein Wunder. Die Kanalisation ist blockiert, das Klärwerk in Aken abgestellt. Wie lange es dauert, die defekte Steuerelektronik auszutauschen, ist unklar.

Auch die Feuerwehr konnte das Dorf nicht retten

Bleibt das Problem der Kührener: Wohin mit all dem Wasser im Dorf? Eine kaum lösbare Aufgabe. Oder? Auch Hartmut Borgwardt, seit 41 Jahren bei der Feuerwehr, weiß keine Antwort. Dabei kennt er sich nun aus mit dem Hochwasser. Denn er ist einer von denen, die in den zurückliegenden Tagen kaum aus ihren Wathosen gekommen sind. Wie sein Sohn Sven haben viele Feuerwehrleute freie Tage genommen, um das Dorf zu retten. Gelungen ist es nicht, trotz tausender Sandsäcke, mit Brettern und Bauschaum abgedichteter Kellerfenster und vielem anderen mehr. „Aber glücklicherweise sind alle mit heiler Haut davon gekommen.“ Das ist für Borgwardt das Wichtigste.

Eine Straßenecke weiter: „Sehen Sie doch selbst!“, sagt eine junge Frau, die erschöpft an ihrer Hoftür lehnt. „Ich kann jetzt einfach nicht darüber reden, alles ist im Eimer.“ Fast einen Meter habe das Wasser gestanden. „Da half nichts mehr, es drückte in die Küche und die ist hinüber.“ Wenn keine Hilfe von außen oder wenigstens ein finanzieller Zuschuss komme, werde sie versuchen, bald aus dieser Gegend wegzuziehen. Dabei wischt sich die Mittdreißigerin immer wieder über das Gesicht oder schlägt ziemlich kraftlos nach den Mücken, die in Schwärmen über Mensch und Tier herfallen.

Dass sich die meisten Kührener dennoch nicht unterkriegen lassen wollen, zeigen die von Stunde zu Stunde wachsenden Sperrmüllberge am Rande der Dorfstraße: Ganze Lkw-Ladungen sind das schon. Verdreckte, durchnässte Couch-Landschaften aus Plüsch stehen dort, daneben ramponierte Tiefkühltruhen und Waschmaschinen, die fast eine Woche im Wasser gestanden haben. Auch viele Teppiche liegen dort, die soviel Wasser aufgesogen haben, dass man sie nur mit sechs Mann aus dem Haus tragen kann. Auch Omas große Schrankwand ist nicht mehr zu retten, verzogen und zerdrückt. Dutzende blaue Müllsäcke voll Kleinkram vom Kissen bis zur Kindereisenbahn müssen in den nächsten Tagen abtransportiert werden.

Hilfe durch Notstromaggregat

Dieter Laaß kann schon wieder ein wenig lächeln. Die Wohnung des 70-Jährigen liegt im ersten Obergeschoss - und auf seinem Hof rattert ein Notstromaggregat! Beim Kauf vor einigen Jahren habe er überhaupt nicht an ein Hochwasser gedacht, höchstens mal an irgendeine stundenweise Stromabschaltung wegen einer technischen Störung.

„Wer konnte denn ahnen, dass die Flut über so große Entfernungen bis nach Kühren schwappt?“ Der Deich an der Elbe, der gehalten hat, liege über zwei Kilometer entfernt. Bis zur Saalemündung seien es sogar ungefähr zwölf Kilometer, so der ehemalige Bauer. Sorgen bereiten ihm jetzt die Betriebskosten. Der Rentner rechnet vor, dass die Anlage sicher einen Monat arbeiten werde. „Eher sind die Keller bestimmt nicht leer gepumpt und halbwegs abgetrocknet.“

Während dieser Zeit, so schätzt Laaß, dürfte der Motor rund 600 Liter Benzin verbrauchen. Das sei ein teures Unterfangen, das er sich nicht noch einmal leisten wolle.

Das Aufräumen beginnt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Sperrmüllberge wachsen von Stunde zu Stunde.
Das Aufräumen beginnt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Sperrmüllberge wachsen von Stunde zu Stunde.
Nicklisch Lizenz