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Einsatz in der Riesenwanne Einsatz in der Riesenwanne: Einblicke in das Megabauwerk der Schleuse Rothensee

Von Julius Lukas 01.04.2019, 10:00
Ulf Möbius überprüft eine Wand in den Katakomben der Schleuse.
Ulf Möbius überprüft eine Wand in den Katakomben der Schleuse. Andreas Stedtler

Magdeburg - Der Lichtkegel von Ulf Möbius’ Lampe wandert die Betonwand entlang. Mit Gummistiefeln an den Füßen steht er knöcheltief im Wasser. Sein Kopf stößt an die etwa 1,50 Meter hohe Decke. „Hier fühlt man sich wie eine Ratte im Kanal“, sagt der Ingenieur. Dann bleibt sein Lampenlicht stehen. Möbius hat eine orangene Markierung entdeckt:

„Da haben die Kollegen schon was angezeichnet“, sagt er und geht näher heran. Mit der Hand streicht er über die Stelle, an der gehärteter Stahl auf Beton trifft. Das Metall lässt sich einfach abreiben, als wäre es poröses Holz. Rostbraune Späne segeln zu Boden. „Das muss natürlich ausgebessert werden.“ Abstrahlen, Korrosionsschutz drauf. „Dann hält das erst einmal wieder.“

Durch das Grundlaufsystem laufen normalerweise Millionen Liter Wasser

Und halten muss es auch, eine ganze Weile sogar. Denn die Stelle, die Möbius gerade inspiziert hat, liegt an einem Ort, der nur selten betreten werden kann. Genauer gesagt: nur alle sechs Jahre. Der Außenbezirksleiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Magdeburg befindet sich im Grundlaufsystem der Schleuse Rothensee.

Das Grundlaufsystem ist ein Gewirr aus Gängen und Tunneln. Es liegt eine Etage unter der riesigen Kammer, in der normalerweise die Schiffe nach oben oder unten gehoben werden. „Wenn die Schleuse in Betrieb ist, fließen hier Millionen Liter Wasser durch“, sagt Möbius. Taucheranzugbedingungen also! Gerade jedoch reichen Gummistiefel aus.

Denn die Schleuse Rothensee wird derzeit einer Schönheitskur unterzogen. Fast drei Monate wurde das Megabauwerk am Rande von Magdeburg dafür trockengelegt. „Alle sechs Jahre müssen Schleusen gewartet werden“, sagt Ulf Möbius. Das sei auch enorm wichtig: „Denn würde man solche Anlagen auf Verschleiß fahren, wären die Folgeschäden immens“, meint der Leiter der Instandsetzungsarbeiten.

300.000 Badewannen passen in die Schleuse

Die Schleuse Rothensee gehört zum Wasserstraßenkreuz Magdeburg, einem der wichtigsten Knotenpunkte im deutschen Schifffahrtsnetz. Sie verbindet die Elbe mit dem Mittellandkanal, der etwa 16 Meter höher als der Fluss liegt. Diese Klippe müssen Schiffe überwinden, die von der Ost-West-Trasse zum Hafen Magdeburg oder noch weiter Richtung Süden abbiegen wollen. Bis zu 50 Frachter pro Tag nutzen diesen Pfad. Derzeit müssen sie einen Umweg fahren.

Anfang März wurde die Riesenwanne aus Beton und Stahl leergepumpt. Bis zu 44 Millionen Liter Wasser - das sind fast 300.000 Badewannen - passen in das übergroße Becken. Die erste Aufgabe von Möbius’ Mannschaft: Fische fangen. „Was wir hier rausgeholt haben, gibt es jetzt für 15 Mark das Kilo im Interhotel zu kaufen“, sagt er trocken. Natürlich ein Scherz. „Wir arbeiten mit einem Fischereiverein zusammen“, erklärt Möbius. Insgesamt 200 Kilogramm Fisch - hauptsächlich Barsche, Plötzen und Rotfedern - wurden in andere Seen umgesetzt.

Der Schwager von Angela Merkel arbeitet in Schleuse

Ulf Möbius klettert aus den Katakomben der Schleuse nach oben. Auf dem Weg trifft er auch Manfred Sauer, den Schwager von Kanzlerin Angela Merkel. „Der arbeitet hier, ist ein ausgezeichneter Physiker und Messtechniker“, sagt der Baustellenchef. Derzeit wird hauptsächlich saubergemacht. Das schneidende Surren der Hochdruckreiniger ist allgegenwärtig. Mit ihnen werden Algen, Muscheln und andere Überbleibsel von Wänden und Stahlteilen gekratzt. Danach beginnen die Reparaturen. „Am Morgen haben wir schon ein Stahltor entfernt“, sagt Möbius. Das werde jetzt bei einer Spezialfirma überarbeitet.

Dann steht der Ingenieur mitten in der großen Kammer. Das Kanalrattengefühl ist gewichen. Aus der Enge ist Weite geworden. Viel Weite. Man befindet sich inmitten einer grauen Wüste. Es riecht nach Ostsee. Fisch- und Algengeruch mischen sich. Links und rechts ragen fast 25 Meter hohe und 190 Meter lange Betonwände in den Himmel. Geht man durch das 21 Meter hohe Untertor, fühlt man sich wie ein Zwerg im Land der Riesen. „Hier in der Kammer erkennt man erst einmal die Dimension dieses Bauwerks“, meint Möbius. Einfach phänomenal sei das.

Krönender Abschluss

Der Ingenieur ist noch immer beeindruckt von den Ausmaßen der Schleuse. Dabei kennt er sie so gut wie kaum jemand anders. „Ich habe sie sozusagen mit gebaut“, sagt der 60-Jährige. Seit 1990 ist Möbius Außenbezirksleiter, und damit verantwortlich für alle Elbe-Bauwerke von der Saalemündung bis zur Schleusenanlage Niegripp bei Burg (Jerichower Land). Mitte der 1990er Jahre wurde das Schiffshebewerk, das bis dahin Elbe und Mittellandkanal verband, zu klein. Eine neue Anlage musste her. Die Schleuse Rothensee entstand.

Sie ist als Sparwasserschleuse konzipiert. Neben der Hauptkammer gibt es Becken, die 60 Prozent des Wassers aufnehmen, wenn nach unten geschleust wird. Geht es dann wieder nach oben, fließt das Wasser aus den Becken zurück in die Hauptkammer. „Dazu nutzen wir nur das natürliche Gefälle“, sagt Möbius. Dieses Konzept ist wichtig, weil der Mittellandkanal künstlich angelegt ist. Damit ihn Schiffe befahren können, muss er dauerhaft eine bestimmte Tiefe haben. Entnimmt man Wasser - etwa durch eine Schleuse - muss man es anschließend über Pumpen wieder zurückführen. Das kostet Energie. Doch durch das in den Sparbecken gespeicherte Wasser wird der Aufwand verringert.

Bis Ende Mai sollen die Arbeiten an der Schleuse dauern. Für Ulf Möbius ist es bereits die dritte Generalüberholung des Bauwerks. Und der 60-Jährige denkt schon weiter. „Die vierte Prüfung wäre 2025 dran“, sagt er. Das Jahr, in dem er in Rente gehen wird. „Vielleicht muss ich hier ja noch einmal ran“, sagt der Ingenieur. Er klingt dabei, als wäre das weniger eine Belastung als viel mehr ein krönender Abschluss seines Arbeitslebens. (mz)

Die Schleuse Rothensee hat drei Sparbecken, die rechts zu sehen sind. Sie speichern das Wasser, wenn die Hauptkammer geleert wird und geben es bei einer Flutung wieder ab.
Die Schleuse Rothensee hat drei Sparbecken, die rechts zu sehen sind. Sie speichern das Wasser, wenn die Hauptkammer geleert wird und geben es bei einer Flutung wieder ab.
Andreas Stedtler
Muscheln lieben Schleusen, da diese mehrmals täglich mit frischem Wasser durchgespült werden.
Muscheln lieben Schleusen, da diese mehrmals täglich mit frischem Wasser durchgespült werden.
Andreas Stedtler