Ein Jahr nach dem Hochwasser Ein Jahr nach dem Hochwasser: Land zieht Lehren aus der Flutkatastrophe

Magdeburg/MZ - Sollte es Petrus wirklich geben, dann hat er ein sehr spezielles Verständnis für den richtigen Zeitpunkt: Just in dem Moment, als Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ein Jahr nach der Flutkatastrophe gestern Bilanz ziehen wollte, öffnete sich der Himmel über Magdeburg zum Wolkenbruch. In weiten Teilen des Landes gab es Unwetterwarnungen. Es lag etwas von der Stimmung Ende Mai 2013 in der Luft.
Damals hatte es tagelang gegossen. Am 3. Juni riefen der Burgenlandkreis, Anhalt-Bitterfeld und die Stadt Dessau-Roßlau den Katastrophenfall aus. Was folgte, war eine Flut mit Pegelständen, wie sie zum Teil seit Menschengedenken nicht gemessen wurden.
„Wir ahnten, dass Schlimmes auf uns zu kommt. Dass es aber die schlimmste Katastrophe in den Chroniken wird, war nicht erkennbar“, sagte Haseloff. Die Flutschäden werden auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro geschätzt, so genau absehen kann das noch keiner, „weil immer noch neue Schäden hinzukommen“, so Haseloff. Darunter vor allem „die großen Brocken“, etwa die Sanierung des Multimediazentrums Halle. Und: Die Regulierung der Schäden sei viel komplizierter als vermutet. Bislang sind 364,5 Millionen Euro Fluthilfe aus dem Fonds des Bundes und der Länder geflossen, 322 Millionen Euro zahlten die Versicherungen.
Mehr Mitarbeiter, mehr Geld
Seither habe sich aber auch im Hochwasserschutz einiges getan, sagte Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU). Die Verwaltungen im Landesbetrieb für Hochwasserschutz und im Landesverwaltungsamt wurden um knapp 60 Mitarbeiter aufgestockt, es stehe auch mehr Geld zu Verfügung. 44 Millionen Euro seien bereits in die Sanierung zerstörter Deiche und Pumpwerke geflossen - doch die Summe ist nur ein Bruchteil dessen, was das Land mit Hilfe der EU bis 2020 noch in den Hochwasserschutz investieren will - 600 bis 700 Millionen. „Unser Ziel ist, dass dann alle Deiche DIN-gerecht sind“, sagte Aeikens. Derzeit ist es etwas mehr als die Hälfte, aber deutlich mehr als zur Flut 2002, wo es gerade fünf Prozent waren.
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Doch selbst 100 Prozent sichere Deiche sind dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) zu wenig - oder zu viel, je nach Blickwinkel. Denn nach wie vor fokussierten sich die Länder zu sehr auf die Erhöhung der Deiche, während die Ausweisung von Überflutungsflächen und Poldern stiefmütterlich behandelt werde, kritisiert der Leiter Gewässerpolitik des BUND, Winfried Lücking: „Seit 20 Jahren wird erklärt, es soll etwas bewegt werden, aber es bewegt sich nichts.“
Schlimmer noch: Die Erhöhung der Deiche in Sachsen und im Landkreis Wittenberg hätten erst zu den extremen Flutfolgen im Verlauf der Elbe in Sachsen-Anhalt geführt, obwohl der Fluss weniger Wasser führte als 2002, sagte der Leiter des BUND-Elbeprojekts, Ernst Paul Dörfler: „Wir haben die Hochwasser-Welle selber aufgebaut, wir haben die Katastrophe selbst produziert“.
Die hätte sich zumindest minieren lassen, wenn der Fluss mehr Raum hätte. Beide BUND-Sprecher verwiesen auf eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz aus den 1990er Jahren, wonach an der Elbe 35 000 Hektar Fläche für solche Retentionsflächen zur Verfügung stünden. Sachsen-Anhalt plant bislang, 3 200 Hektar für den Hochwasserschutz zurückzugewinnen. Unter den Elbe-Anrainern sei Sachsen-Anhalt „wenigstens der Einäugige unter den Blinden“, so Dörfler, weil das Land immerhin bereits zwei Projekte initiiert habe.
Endlose Genehmigungen
Aeikens kündigte an, im Sommer einen Plan mit weiteren „Suchgebieten“ für Überflutungsflächen vorzulegen. Wie groß diese sein könnten, ließ er offen. Im Ungefähren blieb er auch in der Frage, wie dem Hochwasserschutz mehr Priorität eingeräumt werden kann. Dass dies das Ziel der Landesregierung ist, haben Haseloff und Aeikens wiederholt betont - etwa mit dem Blick auf „endlose Genehmigungsverfahren“, in denen Projekte wie der Bau von Rückhaltebecken im Harz seit 1994 „hängen blieben“, so Aeikens. Wie genau die Verfahren „beschleunigt und entbürokratisiert“ werden sollen, will Aeikens ebenfalls bis Sommer klären. Offen ist auch, wie sich ein rigideres Baurecht durchsetzen lässt, damit nicht weiter in Überschwemmungsgebieten gebaut werden kann.
Seit 1990 wurden im Land 103 Bebauungsgebiete ausgewiesen, die teilweise oder vollständig von Hochwasser bedroht sind. Um die Kommunikation bei künftigen Katastrophen zu verbessern, will die Landesregierung jetzt immer dann ihren Krisenstab einberufen, wenn mehrere Länder oder Landkreise betroffen sind. „Diskussionen über Führungsfragen, die nur Zeit kosten, sollen so vermieden werden“, sagte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Zudem soll in den kommenden Wochen die seit längerem angekündigte Task Force mit Experten von Bundeswehr, THW und Hilfsorganisationen gegründet werden, um im Krisenfall den Kreisen helfen zu können.
