Auf dem Weg zur deutschen Einheit Der geheime D-Mark-Trick: Vereinigung durch die Hintertür
Im Mai vor 35 Jahren sind die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen gerade angelaufen. Doch die beiden deutschen Regierungen machen die Wiedervereinigung trickreich alternativlos.

Halle/MZ. - Die Zeit rast, die Tage sind zu kurz, die Nächte zu lang. In Bonn, Berlin, Moskau, Washington, Paris und London wird im Mai vor 35 Jahren Geschichte wie im Sturzflug geschrieben. Drei Wochen nur hat es gedauert, bis die neue DDR-Regierung unter dem Christdemokraten Lothar de Maizière sich mit der Regierung der Bundesrepublik auf die Grundzüge einer Wirtschafts- und Währungsunion geeinigt hat.
Anpassung der DDR
Zugleich beginnen die Arbeiten an der Anpassung der Noch-DDR an die Strukturen im Westen. Zum 1. Januar 1991 soll die Länderstruktur wieder hergestellt werden, die bis 1952 in der DDR bestand, um den Osten kompatibel zum Westen zu machen. 24 Stunden nach dieser Ankündigung finden sich in Bonn zum ersten Mal die Verhandlungsführer des Zwei-plus-Vier-Formats zusammen, in dem die beiden deutschen Staaten mit der Sowjetunion, den USA, Frankreich und Großbritannien über den Weg zur Wiedervereinigung verhandeln wollen.
Und Kommunalwahlen sind auch noch − genau ein Jahr nach den von der Staatspartei SED im großen Maßstab gefälschten Wahlen vom Mai 1989 treten nun konkurrierende Parteien gegeneinander an, um die seit 40 Jahren regierende SED mit ihrer Nationalen Front aus den kommunalen Parlamenten zu verdrängen.
Die Geschwindigkeit der Veränderungen ist atemberaubend. Doch es zeigen sich bereits neue Kräfteverhältnisse: Wie bei der ersten demokratischen Volkskammerwahl wird die CDU mit 30,4 Prozent stärkste Partei, weit vor der SPD, die auf 21 Prozent kommt. Die in PDS umbenannte SED erreicht mit 14 Prozent beinahe ihr Ergebnis von der Parlamentswahl. Fast ein Viertel der Stimmen entfällt dieses Mal auf „Sonstige“: Bürgerbewegungen, neue lokale Wählerbündnisse, aber auch Feuerwehren, Sportvereine und Umwelt- und kirchliche Gruppen.
Einheit wird unumkehrbar
Alles ist in Bewegung, aber die Richtung ist klar. Mit dem Kurs auf eine schnelle Wirtschafts- und Währungsunion haben die beiden deutschen Regierungen eine Möglichkeit gefunden, die Rückkehr zu einem einzigen deutschen Staat ganz unabhängig vom offenen Ausgang der gerade erst gestarteten Zwei-plus-Vier-Gespräche unumkehrbar zu machen.
Selbst wenn die Sowjetunion an ihrer bis dahin vertretenen Position festhielte, dass es eine Wiedervereinigung nur geben könne, wenn das größere Deutschland neutral werde und auf eine Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis Nato verzichte, würde die gemeinsame Währung Ost und West zwangsläufig zu einem Staat machen.
Helmut Kohl weiß das genau. Als nach nur zweiwöchigen Verhandlungen am 18. Mai der „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ unterschrieben wird, nennt der 60-jährige Kanzler das Dokument mit 38 Kapiteln und 22.000 Zeichen nicht von ungefähr die „Geburtsstunde des freien und einigen Deutschlands“. Die Einheit ist durch die Hintertür Realität geworden.
Marktwirtschaft für den Osten
Der Vertrag stellt nicht nur sicher, dass in der DDR vom 1. Juli 1990 an die Deutsche Mark als Zahlungsmittel gilt, er bestimmt zudem die in der Bundesrepublik bewährte „soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung“.
Eine Panne bei der Vertragsunterzeichnung fällt angesichts der Dimension der historischen Zeitenwende niemandem auf. Im offiziellen Bulletin der Bundesregierung steht neben der Unterschrift von Bundesfinanzminister Theo Waigel der Name eines „Walter Rombach“, der das Dokument für die DDR unterzeichnet habe.
Deren zuständiger Minister heißt allerdings Walter Romberg.