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Das Gold der Goitzsche Das Gold der Goitzsche: In Bitterfeld wird edler Bernstein mit Riesenstaubsauger gefördert

Von Steffen Höhne 27.10.2018, 10:00
Etwa 500 Meter vom Ufer entfernt liegt auf der Goitzsche die Arbeitsplattform für Bernstein. In der DDR war der damalige Tagebau  eine der größten Förderstätten Europas. 
Etwa 500 Meter vom Ufer entfernt liegt auf der Goitzsche die Arbeitsplattform für Bernstein. In der DDR war der damalige Tagebau  eine der größten Förderstätten Europas.  André Kehrer

Bitterfeld - Drei Mal muss Andreas Wendel zünden, dann heult der Außenborder seines Bootes auf. Mit schnellem, eingeübtem Handgriff löst der kräftige Mann das Tau vom Steg an der Halbinsel Pouch. Das Wasser der Goitzsche ist klar, die Sonne steht am wolkenlosen Himmel. Der Kutter nimmt Tempo auf, Gischt spritzt hoch. Der 51-Jährige nimmt Kurs auf eine stählerne Plattform, die flach im See liegt. Erst als sich das Boot nähert, werden die Ausmaße sichtbar: 72 Meter lang und zehn Meter breit. Auf dem schwimmenden Koloss fällt als erstes eine Art Rüttelmaschine auf. „Dort drinnen werden das Wasser und der Schlickboden auf Siebe gepumpt“, sagt Wendel. Er muss laut sprechen, damit man ihn versteht. Geschürft wird nach dem Gold Bitterfelds: Bernstein.

Der Schmuckstein aus fossilem Harz ist vor allem an der baltischen Ostsee verbreitet. Außerhalb der Chemie-Region Bitterfeld-Wolfen eher unbekannt ist, dass sich eine der größten Lagerstätten Europas in dem ehemaligen Braunkohletagebau befindet. Seit mehr als 30 Jahren geht Wendel auf Schatzsuche, nun hat der gelernte Kaufmann aus dem Hobby seinen Beruf gemacht. Als technischer Leiter führt er die professionelle Suche nach dem wertvollen Rohstoff. Unterstützt wird das von einer der reichsten Familien Deutschlands.

Bereits Förderung in der DDR

Die Anlage wurde von der Döpke Maschinenfabrik in Norden gebaut. Das niedersächsische Unternehmen stellt vor allem Bagger zum Kiesabbau her. Für die Bitterfelder haben die Norddeutschen nun ein Spezialgerät gefertigt. Getragen wird die Plattform von Schwimm-Pontons. Am vorderen Teil führt ein Rohr in 25 Meter Tiefe - es ist eine Art Riesenstaubsauger. Gesteuert wird die Anlage von Wendels Sohn Chris, der in einem Führerhaus sitzt. Auf einem Monitor erhält er ein sogenanntes GPS-D-Bild.

Eine 3-D-Software zeigt das Untergrundprofil des Sees. In dem ehemaligen Tagebau hat sich eine ein bis vier Meter dicke Schlickschicht gebildet. Diese wird über Pumpen abgesaugt. Chris Wendel ist an der darunter liegenden Schluffschicht interessiert. „In der befindet sich der Bernstein“, sagt der Maschinenführer. Über das 3-D-Bild kann er erkennen, wie der Untergrund beschaffen ist und wie tief das Rohr in den Boden eindringen muss. Bernsteinförderung ist High-Tech - zumindest unter Wasser. Auf der Plattform geht es mechanisch zu. Das geförderte Material wird gesiebt und dann in eine Salzlösung gegeben. „Während Steine absinken, schwimmt der Bernstein obenauf“, erklärt Wendel senior. Mit einem Kescher wird der Schmuckstein dann per Hand herausfischt. „Häufig hat er die Größe von Kiesel- oder Schottersteinen“, sagt Wendel. Er zeigt aber auch Exemplare, die seine ganze Hand ausfüllen. Solche Bernsteinfunde seien aber eher selten.

Die Erzeugerpflanze des Bernsteins ist noch immer nicht bekannt. Es handelt sich wahrscheinlich um einen ausgestorbenen Vorfahren der heute einheimischen Nadelbäume. In dem Holz kam es zu größeren Harzeinschlüssen. Erst durch einen Millionen Jahre anhaltenden Versteinerungsprozess wurde es zu Bernstein. Im Braunkohletagebau Goitzsche wurde Bernstein 1974 erstmals entdeckt. Er befand sich unter den Kohleflözen, die durch Wärme und Druck aus einem Auenwald entstanden. Bereits 1975 wurde mit dem Abbau begonnen, da die Schmucksteinimporte aus der Sowjetunion zurückgingen. Der Tagebau lieferte vor allem an den „VEB Ostseeschmuck“ in Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern. „Von 1975 bis 1993 wurden im Tagebau Goitzsche insgesamt 408 Tonnen gefördert“, sagt Wendel. Auch er suchte damals bereits im Tagebau Bernstein - als Hobby. Das Braunkohlekombinat ist damals einer der größten Bernsteinproduzenten Europas gewesen, doch mit dem Ende des Tagebaus endete 1993 auch die Bernsteinproduktion.

Die Wiederbelebung der Bernstein-Förderung wird nun von einer der reichsten Familien Deutschlands vorangetrieben. Die schwäbische Familie Merckle hat nach der Wende in Mitteldeutschland mehrere Seen gekauft, um diese touristisch zu erschließen. Dazu gehört auch die Goitzsche. Vor Ort übernimmt Ingo Jung die Vermarktung über die Goitzsche Tourismus GmbH, Jung steht aber auch der Goitzsche Bernstein GmbH vor. Ursprünglich sollte die Förderung des Bernsteins ein Geschäftsmodell sein. „Doch mit dem Verfall der Bernsteinpreise rechnet sich die Produktion aktuell eigentlich nicht“, sagt Jung. Je nach Güte reichen die Preise von zehn bis 500 Euro je Kilogramm. „Unsere Ausrichtung ist nun eine klar touristische“, sagt Jung. „Wir wollen hier die weltweit größte Inklusen-Ausstellung auf die Beine stellen.“

Pflanzenreste und Eidechsen

Bernstein enthält mitunter Insekten, Pflanzenreste und in seltenen Fällen sogar Eidechsen, die an der klebrigen Flüssigkeit hängen blieben und anschließend umflossen wurden. Wertvoll wird Bernstein vor allem durch solche Inklusen. „Bernstein könnte für die Goitzsche ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal werden, das Gäste aus ganz Deutschland anzieht“, meint Jung. Schöne Gewässer und Wassersport würden in Mitteldeutschland inzwischen viele neue Seenlandschaften bieten. Eine Million Euro - vor allem in die Abbauplattform - wurden dafür laut Jung schon investiert. Wie die Inklusen-Sammlung konkret aussehen soll - etwa der Ausstellungsort - dazu äußert sich Jung nicht.

Denn noch gibt es Unsicherheiten. Das gesamte Projekt wird nach seinen Worten juristisch torpediert. Das Landesverwaltungsamt hat gegen die Förderung des Bernsteins vor dem Verwaltungsgericht Halle geklagt. Der Grund: „Es liegt keine schifffahrtsrechtliche Genehmigung vor“, sagt eine Sprecherin der Behörde der MZ. Weitere Angaben macht sie aufgrund des laufenden Verfahrens nicht.

Jung vertritt die Ansicht, die Goitzsche sei formell kein schiffbares Gewässer. „Für die Entnahme des Bernsteins vom Seegrund ist nur die Erlaubnis nach Wasserrecht erforderlich“, so der Geschäftsführer. Dazu habe es unter anderem eine Umweltverträglichkeitsprüfung gegeben. Anfang Oktober gab das Gericht in einer Eilentscheidung grünes Licht für die Förderung. Das Hauptsacheverfahren läuft zwar noch. Doch Jung rechnet damit, dass die Richter seine Position bestätigen werden. Doch die Behörde lässt nicht locker, sie hat auch Beschwerde gegen die Eilentscheidung eingereicht.

Förderplattform als Fahrgastschiff

Würde die Förderplattform als Fahrgastschiff eingestuft, müsste nach Aussagen von Jung ein Kapitän eingestellt werden. „Das würde unseren Kostenrahmen jedoch komplett sprengen“, erklärt der Unternehmer. Ihm würde auch eine Ausnahmegenehmigung für das Projekt reichen, doch auch dem wollte das Landesverwaltungsamt nicht zustimmen. Dass die Behörde sich auf überhaupt keinen Kompromiss einlassen will, dürfte wohl daran liegen, dass das Urteil auch Auswirkungen auf andere Gewässer in Sachsen-Anhalt haben könnte.

Wendel und seine drei Kollegen sind jedenfalls froh, jetzt richtig loslegen zu können. Die Pumpen der fest verankerten Plattform holen nun pro Stunde 40 Kubikmeter Wasser und Feststoffe nach oben. In manchen Stunden finden sie nicht einen einzigen Bernstein, in anderen gleich einen Eimer voll. Im Schnitt sind es laut Wendel zehn Kilogramm am Tag. In einer blauen Kiste liegt die bisherige Ausbeute. Wendel durchkämmt sie mit der Hand, schaut sich einige Bernsteine genauer an. Wenn er einzelne Exemplare in die Sonne hält und nach Inklusen schaut, dann leuchten auch seine Augen. Der Bernstein-Fan hat seinen Traum-Beruf gefunden.  (mz)

In der Kiste liegen die Bernsteine, die innerhalb weniger Stunden aus der Goitzsche geholt wurden. 
In der Kiste liegen die Bernsteine, die innerhalb weniger Stunden aus der Goitzsche geholt wurden. 
André Kehrer
Andreas Wendel fischt mit einem Kescher die schwimmenden Schmucksteine ab.  (Archivbild)
Andreas Wendel fischt mit einem Kescher die schwimmenden Schmucksteine ab.  (Archivbild)
André Kehrer