1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Weinberge : Weinberge : Fitness-Tour für Vino to go

Weinberge  Weinberge : Fitness-Tour für Vino to go

Von Klaus-Dieter Kramer 25.08.2016, 12:49

Zu Pfingsten verwandelt sich der Weg entlang der Weinberge zwischen Bad Kösen und Roßbach zu einer Wanderstrecke mit ungeahnten Service-Ausmaßen. Allein auf dem knapp drei Kilometer langen Naumburger Teilstück vom Abzweig Fischhaus-Brücke bis zum Steinmeister warteten diesmal elf Besenwirtschaften auf die riesige Fangemeinde köstlicher Tropfen. Doch gibt es später auch wieder ein „normales“ Leben nach der Saale-Weinmeile.

Vier Kilometer vom Rathaus

Diese Siedlung mit den Häusern Nummer 1 bis 37, vier Kilometer vom Rathaus entfernt, zählt zum Kernstadtgebiet von Naumburg. Kein Bus fährt hierher. Es fehlt jegliche Einkaufsmöglichkeit, zum nächsten Gasthaus ist eine Tour über die Saale zum „Fischhaus“ oder zur „Hupe“ nach Roßbach vonnöten. Dennoch wollen wir den aktuellen „Stadtspaziergang“ diesmal hier ansiedeln. Noch bis in die späten 1950er-Jahre hinein waren sonntags ausgedehnte Wanderungen mit Kind und Kegel üblich.

Der Sonnabend war noch ein regulärer Werktag. Als beliebtes Ziel wurde Almrich gewählt, von wo es weiter über die Saale-Brücke zu den Weinbergen zum Pilzesuchen in die „Laasen“ ging. Oder es wurde die Richtung zu den „Saalhäusern“ eingeschlagen. Noch eine Variante: ein Stück die Serpentinenstraße hinauf, nach links in Richtung Napoleonstein und Göttersitz.

Die Einkehr im Gasthaus „Krug zum grünen Kranze“ gehörte dazu. Für Kinder war schon die rote Fassbrause Motivation genug, sich auf diesen Familienausflug zu freuen. Der Krug existiert längst nicht mehr, das Haus war zuletzt nur noch eine hässliche Ruine. Die positive Nachricht: Es tut sich jetzt etwas, junge Leute aus der Region haben das Grundstück gekauft, räumen auf. Gleich zu Beginn unseres Streifzugs treffen wir Gero Zimmer. Der Diplom-Geologe ist mit seinen Hunden unterwegs. Seit Anfang der 1980er-Jahre bewirtschaftet der 71-Jährige einen Weinberg, wohnt seit 1992 mit Ehefrau und den drei Kindern hier.

Schöne Seiten, aber auch Probleme

Er kennt die schönen Seiten mit der Ruhe, der Natur und dem Hobby Weinbau, aber eben auch die Probleme. „Was wir an Kilometern zurückgelegt haben, um unsere Kinder mit dem Auto zur Schule und zu anderen Termine zu fahren, kann ich nicht mehr nachrechnen“, erklärt Zimmer. Der Naumburger Gemeindevertreter spricht als Vorsitzender des Technik-Ausschusses mit und sagt deutlich seine Meinung: „Seitdem wir zum Kerngebiet von Naumburg erklärt worden sind, haben wir eine schlechtere Anbindung ans öffentliche Nahverkehrsnetz als jeder andere Ortsteil. Früher gab es wenigstens noch den Schulbus. Oft genug habe ich das dem Oberbürgermeister vorgehalten.“ Jetzt sind die Kinder der Zimmers aus dem Haus, und das Ehepaar überlegt ernsthaft, „sich etwas Kleineres“ in der Stadt zu suchen, wo alles beisammen wäre.

Das Grundstück und der gewaltige Weinberg hinterm Haus erfordern eben alle Kräfte. Auch Inge Freitag, langjährige Stadtführerin und Unterstützerin der Kulturszene, kennt das Problem „Verkehrsanbindung“. Will sie abends eine Veranstaltung in der Stadt besuchen und steht ihr kein Chauffeur zur Verfügung, muss sie sich zu Fuß auf den Weg zur Almricher Bushaltestelle an der „Linde“ machen, den Rückweg dann „irgendwie“ organisieren. Heidi und Helmut Schmidt leben seit 1975 in der Siedlung, wo sie am Fuße der Serpentinenstraße am dichtesten bebaut ist. Das Jahr wissen beide noch ganz genau, denn da wurde Sohn Alexander geboren. „Das Grundstück gehörte vorher meinem Onkel“, erzählt Helmut Schmidt, der lange Jahre im Bereich Soziales der Landkreisverwaltung seinen Dienst geleistet hat. Schmidt ist kritisch: „Über fehlende Einkaufsmöglichkeiten meckert keiner, das sind wir so gewohnt. Aber Lärm und Unruhe ringsum haben zugenommen.“

Rasenmäher, motorbetriebene Gartengeräte, Kreissägen und andere „Krachmacher“ seien dazugekommen, auch durch Neusiedler und Wochenend-Bewohner. Dazu eben auch, dass der befestigte Weg von Roßbach her von Radfahrerkolonnen und Motorisierten als Rennstrecke genutzt wird. Den Zusammenhalt der Siedler sieht Helmut Schmidt so: „Einen zentralen Treff gibt es nicht, da setzen sich manchmal die älteren Nachbarn zusammen, die jüngeren an anderer Stelle unter Gleichaltrigen. Als wir damals die Antennenanlage gegenüber Ämtern und diversen Institutionen durchsetzen wollten, da haben alle Beteiligten wenigstens noch an einem Strang gezogen.“

Dass der ehemalige Leichtathlet Schmidt seinen alten Kumpel Frank Wege scherzhaft als „nächsten Nachbarn“ bezeichnet, kennzeichnet das freundschaftliche Verhältnis der beiden Männer. Wege wohnt auf der Almricher Seite des Bahnübergangs. Auch zu Gero Zimmer hat Helmut Schmidt lange enge Verbindungen. Beide gehörten neben Frank Wege und anderen Mitbegründern der Laufszene zu den Taufpaten des Rudelsburglaufs. Schmidt hatte uns auch Gero Zimmers Lebensalter verraten: „Unsere Geburtstage liegen nur zehn Tage auseinander.“ Purer Zufall, dass auch Dirk Claus, wie Helmut Schmidt und Frank Wege Vereinsmitglied der LG Rudelsburg Bad Kösen, seit 2007 an den Weinbergen wohnt. Er hat eines der alten Häuser umgebaut. Mit ihm lebt Partnerin Mandy Kühn hier, die auch bei den Rudelsburgern aktiv ist. Beide freuen sich seit Ostern über ihr Söhnchen Johann.

Viele ehemalige Sportler

Überdies haben weitere ehemalige Sportler an den Weinbergen ihr Zuhause. So Renate Schmidt, als ledige Renate Löser sechsfache DDR-Meisterin im Rollkunstlauf, und Ehemann Dieter Schmidt, kürzlich leider verstorben, der einst bei Hochschulmeisterschaften zu Ehren kam. Nicht zu vergessen Burkhardt Schwalb, der Malermeister, der jüngst seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Schwalb war einer der besten Naumburger Fußballer und nach der aktiven Laufbahn vier Jahrzehnte lang Trainer von Männer- und Altherren-Mannschaften. An Garten, Weinberg, Natur und Tieren erfreut sich Doris Thieme. Sie lebt seit mehr als 45 Jahren mit ihrem Mann Max an den Weinbergen, hat sieben Kinder geboren. Heute muss sie auf ihre Gesundheit Rücksicht nehmen. Das Schild „Prill’s Ponyhof“ nebenan ist Geschichte, andere Details an den Grundstücken zeugen von Witz und Einfallsreichtum. Etwa an „Kehls Weinbergs-Ranch“, wo vor „freilaufenden Bullen“ gewarnt wird. Überall herrscht Sauberkeit. Ein idyllischer kleiner Teich und schmucke Häuser fallen ins Auge.

Ende am Gästehaus Steinmeister

Die Wanderung endet am Gästehaus Steinmeister, wo Dörthe Maria Zedler und Jan Werner Familien, Radfahrern, Studenten und jungen Künstlern neben Bett und Essen die Gelegenheit zur Erholung und zum Lernen bieten. Die Kultur steht bei ihnen hoch im Kurs.

Noch immer so idyllisch wie einst: Naumburger Weinberge mit Weinbergshaus.
Noch immer so idyllisch wie einst: Naumburger Weinberge mit Weinbergshaus.
Klaus-dieter Kramer