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Von Dorf zu Dorf - Schellsitz  Von Dorf zu Dorf - Schellsitz : Wenn Miteinander zählt

Von Constanze Matthes 03.04.2018, 12:03
In gut einem Monat startet die Fährsaison: Jürgen Radegast, Vorsitzender des Fährvereins und ehemaliger Feuerwehrchef.
In gut einem Monat startet die Fährsaison: Jürgen Radegast, Vorsitzender des Fährvereins und ehemaliger Feuerwehrchef. Biel

Was Naumburg und Schellsitz voneinander trennt, verbindet sie. Ruhig strömt die Saale dahin, nur ein kräftiger Steinwurf liegt zwischen der Stadt und ihrem Ortsteil. Der Blick geht in Richtung Alter Felsenkeller. Etwas weiter entfernt erhebt sich stolz die Schönburg. Was den Burgenlandkreis prägt, ist im Umfeld des 190-Seelen-Ortes auf engstem Raum zu finden: geschichtsträchtige Bauten, ein Fluss und Weinberge, die es im Nachbarort Eulau gibt. Durch den muss jeder dieser Tage, wenn er nach Schellsitz will. Die Deutsche Bahn baut bis weit in den Herbst hinein an der Eisenbahn-Brücke über die Kreisstraße zwischen Naumburg-Henne und Schellsitz.

Ein Umstand, der für die Fähre womöglich von Vorteil sein könnte, hofft Jürgen Radegast. Der 63-Jährige ist seit 2003 der Vorsitzende des Fährvereins, der nicht nur die Fähre betreibt, sondern zudem mit 44 Frauen und Männern den mitgliederstärksten Verein im Ort bildet. Die Zahl der Fahrgäste, die jährlich in der Saison von Mai bis Oktober an den Wochenenden den Weg über das Wasser wählen, ist zwar nicht genau bekannt. Allerdings kann Radegast berichten, was Saale und Fähre bedeuten. „Schon als Kind bin ich mitgefahren. Wir haben damals immer den Fährmann geärgert und uns auf das Seil gesetzt“, erzählt der Kfz-Mechaniker mit einem Schmunzeln.

Heute sind drei Fährmänner im Einsatz, der Saisonstart Anfang Mai und das Fährfest im August bereits Traditionen. Letzteres ist auch das größte Fest im Dorf. „Angefangen haben wir mit 40 Besuchern, mittlerweile kommen rund 450. Aber da muss man sich auch immer etwas einfallen lassen“, so Radegast. Der Naumburger Bauhof sei stets eine große Hilfe.

Der Schellsitzer stand bis zum vergangenen Jahr der Ortsfeuerwehr vor, die heute von Matthias Kühnert geführt und zunehmend von neuen Mitgliedern verstärkt wird. „Da hat auch das neue Einsatzfahrzeug Anteil daran“, meint Radegast. Ein besonderer Einsatz prägt seinen Rückblick auf die vergangenen Jahre: das Hochwasser 2013. „Das Wasser lief von Eulau her ein. Eigentlich sollte das Dorf evakuiert werden. Doch wir sind geblieben.“ Der Ausnahmezustand zeigte gerade da, wofür Schellsitz auch steht: Zusammenhalt und Engagement, jeder hilft jedem, sagt Frank Schlegel, seit 2001 Ortsbürgermeister. Doch Unterstützung kam dabei oft auch von außen. So halfen E-Center, Naumburger Feuerwehr und Obi-Baumarkt während beziehungsweise nach der Flut. Ersteres versorgte die Einwohner, letzterer sponserte Küche und Tür für das hochwassergeschädigte Dorfgemeinschaftshaus, das wichtiger Treffpunkt der Einwohner ist. Hier finden nicht nur die Sitzungen des Ortschaftsrates statt, dem neben Schlegel Uwe Rothe und Elke Rödde angehören, sondern auch Familienfeiern und der sonntägliche Frühschoppen. Das Haus ist zugleich Wahllokal, Domizil der Pfingstburschen und Übungsraum des örtlichen Männerchores, der aktuell eine neue Spitze und einen Nachfolger des langjährigen Leiters Gerhard Ritter braucht. „Mit dem Dorfgemeinschaftshaus steht und fällt das Leben in Schellsitz“, sagt Schlegel.

Ein Gebäude hat ebenfalls eine wichtige Bedeutung im Ort: die Kirche. Wer sie kennt, weiß um ihren Glanz. Wer sie noch nicht kennt, sollte sie besuchen. Das Gotteshaus wird schon seit Jahrzehnten gehegt und gepflegt und weist unter anderem mit dem Marienaltar und dem Kanzelaltar zwei besondere Schätze auf. Auch die Malerei an der Decke ist ein Blickfang. Vor zwei Jahren wurde die Orgel erneuert. Sechs Familien kümmern sich, dass alles tipptopp in und um die Kirche in Schuss ist. „Jede Familie übernimmt einen Monat lang den Küsterdienst“, erzählt Kirchenältester Eckhard Kühnert. Das heißt, nicht nur sauberzumachen und zu den verschiedensten Feiern zu helfen. Auch das Läuten der Glocken gehört dazu, für das man im Übrigen nicht in den Turm hinaufklettern muss. Das Seil hängt nahe der Sakristei, ein Läutplan gibt Auskunft, wann und wie lange die Muskelkraft zu den einzelnen Tagen und Anlässen erforderlich ist. Dass die Schellsitzer Kirche ein Kleinod ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. „Es gibt auch schon mal die eine oder andere Trauung von einem Paar, das nicht von hier stammt“, so Kühnert. Alljährlich im Sommer macht die sächsische Jugendsingewoche mit einem Konzert Station. Zu Weihnachten ist das Gotteshaus und seine zwei Emporen mehr als gut gefüllt.

Gut in Schuss sind das Gros der Häuser und Gehöfte in Schellsitz. Junge Familien lassen sich verstärkt hier nieder, obwohl es weder eine Kindertagesstätte noch einen Laden gibt. „Das machen vor allem die Nähe zu Naumburg sowie die Landschaft und Ruhe aus“, sagt Ortschaftsrat Uwe Rohde. Auch Firmen haben sich angesiedelt - vom Elektrounternehmen über Malermeister bis hin zum Betrieb für Schwimmbadtechnik.

Vor 25 Jahren zog der heutige Unternehmer Pierre Böttger nach Schellsitz. Vor acht Jahren erwarb er einen gut 100 Jahre alten Dreiseiten-Hof. Das Gehöft ist Wohnung und Firmensitz zugleich. Der 48-Jährige führt seit 2003 einen Fenster- und Türenhandel - als Ein-Mann-Betrieb; gelegentlich mit einem selbstständigen Mitarbeiter an seiner Seite. Die Produkte sind ein Gemeinschaftswerk: Die Profile stammen aus Deutschland, die Technik aus Österreich. Zusammengebaut werden die Teile in einem großen Werk in Polen. „Ich habe sehr viel zu tun. Von Jahr zu Jahr wird es mehr. Ich muss auch manchen Auftrag absagen“, erzählt der Schellsitzer. Zu seinen Referenzen zählt der Naumburger Ostbahnhof. Seine Kunden stammen vorwiegend aus der Region, dem Umkreis von Leipzig sowie aus den alten Bundesländern.

Ebenfalls ein schmuckes Gehöft bewohnen Jürgen Hofmann und seine Frau. Der 73-Jährige ist ein bunter Hund in der hiesigen Oldtimer-Szene. Er taucht zum Schleppertreffen in Markröhlitz genauso auf wie zum Lanz-Bulldog-Treffen an der Zeddenbacher Mühle. Auch zum Naumburger Hussiten-Kirschfest zieht er die Blicke auf sich. Besser gesagt: sein fahrender und blubbernder Untersatz. Rund 20 historische Traktoren nennt der Schellsitzer sein eigen, die er alle samt im schrottplatzreifen Zustand wieder aufgebaut hat, darunter einen grasgrünen Deutz Baujahr 1949 mit elf Pferdestärken. Auch Traktoren der Marken Lanz Bulldog oder Schlüter, Oldtimer und Standmotoren reihen sich ein. „Auf dem Deutz habe ich schon als Kind gesessen“, erzählt Hofmann, gelernter Schlosser und einstiger Betriebsleiter der Kieswerke in Eulau und Prießnitz. Dass er nach Jahrzehnten, in denen das Gefährt verschiedene Besitzer hatte, auf diesen Traktor stieß, würden einige wohl Fügung, Schicksal oder auch Glück nennen.

Was wohl private Projekte begünstigt, reicht nicht aus, wenn es um die Zukunft des Ortes geht. Denn Schellsitz hat auch Sorgenkinder. Da ist der Spielplatz, der eine Kur dringend braucht. Besonders kritisch sehen die Schellsitzer indes die Planungen zur Stromtrasse. Ihre Bedenken haben sie bereits vor zwei Jahren in einer Stellungnahme an die Stadt formuliert, wie Ortschaftsrat Uwe Rohde sagt.
Die Hoffnung bleibt, dass die Sorgen kleiner sind als zuerst befürchtet - wie im Vorfeld der aktuellen Arbeiten der Bahn. Trotz Belastung durch die Umleitung zeigen die Schellsitzer auch die Dankbarkeit in Richtung Stadt und Bahn. Naumburg ist dann doch wieder nah.

Blick vom Alten Felsenkeller auf Schellsitz. Seit 1950 gehört der Ortsteil an der Saale zur Stadt Naumburg.
Blick vom Alten Felsenkeller auf Schellsitz. Seit 1950 gehört der Ortsteil an der Saale zur Stadt Naumburg.
Biel