Lebensbilder Lebensbilder : E-Cello wartet auf Rammstein

Naumburg - Sphärische Klänge hallen durch die Ausstellung im Erdgeschoss am Naumburger Domplatz 5. Die Töne dringen aus zwölf kleinen Mini-Lautsprechern. Zu sehen sind diese allerdings nicht. Sie stecken in alten, verbeulten Orgelpfeifen, die zu einem schwarzen Kreuz zusammengefügt an der Wand hängen. Davor steht Michael Patzer und streicht mit einem Bogen über die Saiten eines mit dem bespielbaren Orgelkreuz verkabelten sechssaitigen E-Cellos. Dass das große und das kleinere mit einem Griffbrett verbundene Kreissägeblatt ein Instrument ist, fällt erst auf den zweiten Blick auf. Und dass als Grundgerüst eine E-Gitarre herhält, dafür bedarf es gar eines dritten Blickes. Das Sägeblatt-E-Cello ist das erste und auch letzte Instrument, das der freischaffende Künstler gebaut hat. „Es ist ein Kunstwerk. Einmalig. Aber nicht meine Schiene“, sagt der 51-Jährige. Sein Traum: Das E-Cello an die deutsche Rockband Rammstein zu verkaufen.
Warum gerade dieser Band? Rammstein-CDs legt er ein, wenn er „Extremes“ malt , wie das in seinem Wohnatelier über dem Sofa hängende Bild mit dem gekreuzigten Jesus, der scheinbar im Feuer liegt. Dicht beieinander liegen bei Patzer die Extreme. Denn während er erklärt, dass „eben alles über die Musik“ geht, läuft im Radio klassische Musik. „MDR Kultur“ ist sein Lieblingssender, wenn er sich an der Staffelei - mit traumhaftem Blick auf den Dom - der Reproduktion alter Meister widmet. „Diese gibt es kaum auf dem Markt, das ist eine Nische, und mich faszinieren daran die Extremverhältnisse von Licht und Schatten, das findet man nur bei den alten Meistern“, so der gebürtige Weißenfelser, der sich die Ölmalerei autodidaktisch angeeignet hat.
Sind es nicht die alten Meister, sind es religiöse bis mystische Themen, die in seinen Werken dominieren. „Ich mag die Kunst der Kirchen gut leiden, obwohl ich nicht religiös bin.“ Auch wenn er sich mit dem Pinsel auf eine Technik - nämlich Öl - festgelegt hat, so ist er sonst für alles, was die bildende Kunst bietet, offen. „Wer sich nur auf eine Sache konzentriert, hat verloren“, ist sein Credo. Auch in der Wahl der Materialien ist er experimentierfreudig. Holz, Stein, Metall, Edelstahl - da gibt es ebenso keine Grenzen wie in den Größen seiner Skulpturen, die bis vier Meter hoch sein können. In Edelstahl arbeitet er Bilder ein, die dem Betrachter vorgaukeln, eine 3-D-Arbeit zu sein.
Dass er mit Stahl und Metall umgehen kann, verdankt er seiner Schlosserlehre. Nach dieser verdiente er sein Geld damit, Werkzeuge anzufertigen, mit denen Schiffsketten hergestellt werden konnten. Viel lieber wäre er schon damals unter die Künstler gegangen. Doch das sei für ihn zu DDR-Zeiten nicht möglich gewesen. Politisch war er „nicht tragbar“. Mit seinem zehn Jahre älteren Bruder Achim, ebenfalls ein Künstler, gründete er Mitte der 80er Jahre in seiner Heimatstadt die Interessengemeinschaft Bildende Kunst, in der beide ihr künstlerisches Talent zu entfalten begannen. 1998 belegte er schließlich über die IHK ein Existenzgründerseminar. Nach diesen zwei Jahren war er hauptsächlich als Steinbildhauer unterwegs. Später kam die Malerei hinzu. Und irgendwie rutschte er in die Restaurierung von Fassaden rein. So wirkte er bei jener des Weißenfelser Schützenhauses mit oder fertigte während der Rettung des Bismarckturms des Schlosses einen von vier Steinadlern neu an. Das nächste Fassadenprojekt wartet bereits: Die Weißenfelser Wäscherei soll nach altem Vorbild wieder aufgebaut werden. Ein anderes Projekt zog ihn in die Ferne: Für eine einsturzgefährdete Kirchenkuppel der Jesus-Grabeskirche in Jerusalem hat er neue Steine angefertigt.
Eine Auswahl dessen, was in seinem Naumburger Wohnatelier oder unter freiem Himmel entsteht, zeigt Patzer in seinem Ausstellungsraum - und das seit nunmehr zehn Jahren. Es seien weniger die Einheimischen als die Touristen, die sich darin umsehen. Manch Naumburger hat möglicherweise aber im Vorbeigehen die Skulpturen an den Festern wahrgenommen. Von Weißenfels, wo er noch heute ein Atelier und seit 15 Jahren eine Malschule für Hobbykünstler unterhält, zog es ihn nach Naumburg, „weil es sich hier toll lebt“. Doch bald heißt es für ihn, Abschied nehmen.
Die Vereinigten Domstifter, sein Vermieter, wollen das Haus veräußern. Im Februar falle die Entscheidung, ob jener Interessent es bekommt, der selbst in das Gebäude einziehen möchte. Patzer und mit ihm die von fünf Leuten besuchte Malschule, die er seit einem Jahr in Naumburg anbietet, bleiben dann auf der Strecke, was so viel heißt, als dass er Naumburg verlassen werde. Geeignete Immobilien gebe es in der Stadt für einen Künstler nicht. Wohin es ihn ziehen wird, stehe in den Sternen. Er könne nur reagieren. Künstlerisch sei er wegen dieser Situation seit vorigem Jahr stehengeblieben. Patzer: „Man ist da nicht mehr so frei im Kopf.“

