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Landesschule Pforta Landesschule Pforta: Wäsche in der Kastanie

Von Wieland Führ 12.03.2019, 08:55
Die ersten Mädchen im Internat der Landesschule Pforta 1949/50.
Die ersten Mädchen im Internat der Landesschule Pforta 1949/50. Führ/Pförtnerbund

Schulpforte - „Vor 70 Jahren - Mädchen in Schulpforta. Das Ende einer Männerwelt“ - das Thema hatte Anziehungskraft und lockte passend zum Frauentag viele Gäste in das Besucherzentrum in Schulpforte. Im Mittelpunkt des Abends standen drei Schülerinnen und ein Schüler der Landesschule aus der Nachkriegszeit, darunter Elisabeth Brinkmann, eine der ersten beiden Mädchen an der Landesschule.

Barfuß zum Unterricht

1946 war sie nach Kriegsende eher zufällig als „Extraneer“, also nicht im Internat wohnend, in Schulpforte gelandet. Als Kind einer aus den deutschen Ostgebieten stammenden Flüchtlingsfamilie mit drei Geschwistern habe sie sich sehr schnell unter der Übermacht der Jungen in der Landesschule behaupten können. Ihre Mitschüler und ein weiteres Mädchen stammten zumeist aus Naumburg und Bad Kösen, zahlreiche andere waren wie sie Flüchtlingskinder, die hierzulande als „Umsiedler“ bezeichnet wurden. Anfänglich ging Elisabeth häufig noch barfuß in die Schule. Im gemeinsamen Sportunterricht mit den Jungs konnte sie manchmal auch bei Mannschafts-Wettbewerben zum Erfolg verhelfen, so die promovierte Ärztin aus Thüringen, die 1953 das Abitur in Pforta ablegte. Ihr Exotenstatus in der Schule hatte bereits 1949 ein Ende gefunden, und das begeisterte nicht nur Elisabeth Brinkmann. Dieses Jahr sollte zu einer einschneidenden Zäsur für die Geschichte der Landesschule werden.

Mit der Auflösung einer Internats-Oberschule in Köthen wurden die 9. Klassenstufe nach Schulpforte und die 10. Klasse nach Droyßig verlegt. Dadurch gelangten mit einem Schlag 16 Mädchen aus Köthen und Umgebung an die Landesschule Pforta. Welch ein Ereignis! Keiner wusste genau wohin, so Theresia Schnuppe und Renate Frankenberger, als sie vom Bahnhof in Bad Kösen zur neuen Schule liefen. Erstaunt seien sie vorerst besonders über die Schulanlage in Schulpforte gewesen, denn in Köthen hatte es nur einen unscheinbaren Flachbau gegeben.

Zurückversetzt ins Gestern

Bald sollten aber auch andere Welten aufeinanderprallen. In den Nachkriegsjahren war die Schulordnung der ehemaligen Landesschule und späteren Napola weitestgehend in Kraft geblieben. Mit Keilglocke, die den Tagesablauf regelte, mit Tutor, Hebdomadar oder Famulus, mit einer Hierarchie unter den Schülern, einer entsprechenden Stubenordnung oder dem militärischen „Stellt euch!“ im Kreuzgang herrschten für die Schüler aus Köthen nun ungewohnte Verhältnisse. Viele der neuen Schülerinnen und Schüler empfanden gegenüber den in Köthen freieren und ungezwungeneren, ja fortschrittlichen Verhältnissen ihre neue Umgebung mit den konservativen Regeln vorerst als bedrückend.

Aber man arrangierte sich. Die klassische Kultur hatte in der Landesschule nicht nur im Sprachzweig weiterhin Bestand, sondern vor allem auch die Theater- und Musikkultur der Schule. Aufgeführt wurden griechische Dramen durch die Schüler, und besonders die Aufführung von „König Ödipus“ war in guter Erinnerung geblieben. Gespielt wurde auch der „Diener zweier Herren“ oder das Weihnachtoratorium. In Erinnerung blieben die auswärtigen Auftritte von Chor und Orchester, wofür es manchmal auch eine Extra-Bockwurst mit Brötchen gab. Auch sonst trug das ausreichende Essen in Pforta zum Wohlbefinden der neuen Schülerinnen und Schüler bei. So konnten die Eltern zu Hause häufig feststellen „Du hast wieder zugenommen!“ und das in den noch immer wirtschaftlich angespannten Zeiten nach dem Krieg.

Mit der Gründung der DDR 1949 hatte sich inzwischen der politische Einfluss der Sozialistischen Einheitspartei (SED) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) auf das Schulleben weiterhin verstärkt. Unter anderem auch deshalb zogen einige Lehrer und Schüler mit ihren Eltern nach Westdeutschland. Immer häufiger blieb der Stuhl eines Klassenkameraden plötzlich frei.

„Mit einem Leiterwagen liefen wir durch die Region, um mit kleinen Theaterstücken etwas Geld zu erwirtschaften“, erzählt Karlheinz Klimt, der, ebenfalls aus Köthen kommend, ein „Neu-Pfortenser“ war. Von dem Geld erwarben er und seine Freunde FDJ-Blauhemden, um damit zum „1. Deutschlandtreffen der Jugend“ nach Berlin fahren zu können. Bei den Mädchen aus Köthen fiel der theaterbegeisterte „Oskar“, so sein Spitzname, allerdings zeitweilig ins Hintertreffen. Die Mädchen aus der Bach-Stadt fühlten sich inzwischen den älteren Primanern der Schule zugetan, welche die umkämpften neuen Mädchen der Landesschule auch zu Tanzabenden einladen durften, was wiederum den jüngeren Schülern nicht vergönnt war. Karlheinz Klimt wurde später Lehrer, studierte Biologie, promovierte, wurde freischaffender Puppenspieler, Schriftsteller und Drehorgelinterpret. Für sein Hörspiel „Revolution im Kloster“ erhielt er 1976 den Hörspielpreis der DDR.

Immer wieder schimmerte etwas Geheimnisvolles in der Gesprächsrunde durch und sollte erst gegen Ende der Veranstaltung geklärt werden. Ein Ereignis, an das sich jeder Schüler aus dieser Zeit für immer erinnern sollte. „Es war kurz vor der Heimfahrt in die ersehnten Osterferien. Ich wollte mich nach der Morgentoilette anziehen, mein einziges Kleid war weg. Schnell bekam ich mit, dass dieses Schicksal auch den anderen Mädchen aus dem Internat widerfahren war, die zudem diverse Unterwäsche vermissten.“ berichtet Theresia Schnuppe. Ein Skandal!

Strafversetzt nach Halle

Ein Blick auf die Kastanie im Innenhof der Klosteranlage steigerte das Entsetzen: die Wäschestücke der Mädchen waren auf dem Baum gelandet, und aus den Fenstern schauten die Jungen zur Kastanie. Wer war das gewesen? Natürlich meldete sich niemand. Der Verdacht fiel auf die Jungs, denen allerdings der Besuch der Mädchenzimmer strengstens untersagt war. Der Hausmeister angelte inzwischen die Wäsche von der Kastanie, und der Rektor erteilte allen Mädchen ein Heimreiseverbot, die Jungen durften nach Hause fahren. „Es war kein Mädchen dabei, wir wollen nach Hause“, forderten daraufhin die 16 Mädchen, der Rektor knickte ein.

Irgendwann kam es aber raus: es war tatsächlich ein Junge aus der Schule, der die Wäschestücke extra durchnässt hatte, um sie besser auf die Kastanie werfen zu können. Aber: Er hatte sich der Hilfe eines Mädchens bedient, das die Wäsche organisiert hatte. Für den Schüler ging es glimpflich aus. Er wurde von Pforta an die Schule der Franckeschen Stiftungen nach Halle strafversetzt. Eine tolle Geschichte, die sicher immer wieder bei den Klassentreffen der Pfortenser erzählt wird, an denen auch die anwesenden vier Gäste des Abends gern teilnehmen.

Die Gäste des Abends: Renate Frankenberger und Theresia Schnuppe links neben Moderator Mathias Haase, sowie Elisabeth Brinkmann und Karlheinz Klimt.
Die Gäste des Abends: Renate Frankenberger und Theresia Schnuppe links neben Moderator Mathias Haase, sowie Elisabeth Brinkmann und Karlheinz Klimt.
Wieland Führ