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Karl-May-Kongress in Naumburg Karl-May-Kongress in Naumburg: Staatsfeind Old Shatterhand

Von Steffen Könau 01.10.2017, 06:00
Reinhard F. Gusky war Rock ’n’ Roll-Fan und  Karl-May-Leser und wurde so  automatisch zu einem in der DDR beargwöhnten Rebellen. Eine Rolle, die der heute 72-Jährige gern angenommen und gelebt hat.
Reinhard F. Gusky war Rock ’n’ Roll-Fan und  Karl-May-Leser und wurde so  automatisch zu einem in der DDR beargwöhnten Rebellen. Eine Rolle, die der heute 72-Jährige gern angenommen und gelebt hat. Stedtler

Naumburg - Es passiert in einer Hofpause, als Reinhard F. Gusky gerade zehn Jahre alt ist. Eben sitzt der Junge aus Naumburg noch in seiner Bank und träumt davon, den „Old Surehand“ zu lesen, den er von einem Klassenkameraden eingetauscht hat. Und auf einmal steht er neben seinem Stuhl wie neben seinem Leben: „Ranzenkontrolle“, brüllt der Direktor durchs Klassenzimmer. „Zack“, sagt Gusky mehr als fünf Jahrzehnte später, „war der Band weg.“

Kurze Zeit zuvor hatte die DDR eine Verordnung erlassen, die „Schund- und Schmutzliteratur“ ins Visier nahm. Gusky, im thüringischen Saalfeld geboren, trifft es hart. „Wir haben die Karl-May-Bücher mit roten Ohren gelesen, als würden wir die Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand selbst erleben.“

Ein Spaß, den die DDR ihrer Jugend nicht gönnt. Was Reinhard F. Gusky, den alle Reiner nennen, nur ein paar Jahre später zum Staatsfeind machen wird. „Ich habe das einfach nicht akzeptiert“, erzählt er, „genausowenig wie wir akzeptiert haben, dass wir Bill Haley und Elvis Presley nicht hören und nicht die Welt bereisen dürfen.“

Ganz im Gegenteil: Gusky, auch mit 72 Jahren noch ein federnder Mann mit raumgreifenden Gesten, will es nun erst recht wissen. Mit 20 versucht er, mit einem Freund über Tschechien, Ungarn und Rumänien in den Westen abzuhauen. „Wir wollten bloß zu den Olympischen Spielen“, lacht er.

Nachdem die beiden schon in der Tschechoslowakei erwischt und in die DDR zurückgeschickt worden sind, wird Karl May zum Fluchthelfer. „Ich habe Anzeigen geschaltet und bin überall in der Republik rumgefahren, um May-Bücher aufzukaufen.“ Das geht, denn der Sachse ist nicht verboten in der DDR. „Aber in manchen Zeitungen musste man ,suche Indianer- und Abenteuerliteratur‘ in die Anzeigen schreiben.“ Kein Problem, so funktioniert die ganze DDR. „Die Leute wussten immer, was gemeint war.“

Karl May: Auch in der DDR waren 73 Bücher des Schriftstellers zu bekommen

Nach vier Jahren hat Gusky alle 73 Bände seines großen Idols zusammen. Aber das reicht natürlich nicht. „Ich habe dann an den May-Verlag im Westen geschrieben, um an rare Sachen heranzukommen.“ Wenn Rentner aus dem Bekanntenkreis rüber fahren, drückt ihnen Gusky hundert DDR-Mark in die Hand. „Die haben Bücher in den Wintermantel eingenäht und in die DDR geschmuggelt.“

Warum die sich so schwer tut mit dem Radebeuler Reiseschriftsteller, der vom armen Webersohn zum Auflagenmillionär wurde, erforscht Reinhard Gusky an der Quelle, direkt beim Staatsrat der DDR.

Die Antwort lässt ihn heute noch kollernd lachen. Trotz „spannender Erzählweise“ seien Mays Bücher „wirklichkeitsfremd“ und sie „prägten mit ihren religiös-sentimentalen nationalistischen Tendenzen eine romantische und unwahre Vorstellung über die Lebensweise anderer Völker“, liest Gusky vor. „Und das Beste zum Schluss“, sagt er, „hier steht auch noch, die DDR wolle der Jugend ein realistisches Bild vermitteln.“

Schon damals hat der Naumburger genauso gelacht. „Das war doch alles nicht ernst zu nehmen“, beschreibt er, dem es damals verboten ist, den Arbeitsplatz zu wechseln, Berlin zu betreten oder Reisen ohne Ankündigung bei der Polizei zu unternehmen.

Reinhard Gusky zahlt auf seine Art zurück, etwa, als er im Rat des Kreises gefragt wird, was für eine Arbeitsstelle er sich denn vorstelle. „Ich sagte, Ratsvorsitzender, das würde mir Spaß machen.“ Als dem Beamten daraufhin ein „Sind Sie blöd?“ herausrutscht, kontert Gusky kühl lächelnd mit: „Nein, ist das Einstellungsvoraussetzung?“

Karl-May-Fan in der DDR: Als Quertreiber abgestempelt

Praktisch lebt er damals noch in der DDR, innerlich aber hat er sich längst verabschiedet. „Ich galt als Quertreiber, die Stasi hatte in meiner Akte vermerkt, dass man mich beschleunigt ausreisen lassen sollte.“

Reinhard Gusky würde auch gern, sogar lieber heute als morgen. Doch die Behörden wollen seine Frau nur mit ihm ziehen lassen, wenn die ihren Sohn aus erster Ehe zurücklässt. „Nur in der DDR ist für das Kind eine weitere Erziehung gesichert“, heißt es in einem Gutachten des Jugendamtes. Dass Gusky dank der Bemühungen des Karl-May-Verlages in Bonn inzwischen auf der Freikaufsliste der Bundesregierung steht, nützt ihm nichts. „Also habe ich es illegal versucht.“

Vergebens. Zwar belassen es die tschechischen Grenzbeamten dabei, ihn und seinen Freund in die DDR zurückzuschicken, nachdem sie die beiden in Grenznähe aufgegriffen haben. „Aber ein paar Wochen später kam dann die Stasi und ich landete im Knast.“

Für Gusky ist es der Anfang vom Ende seiner Zeit in der DDR. Am 30. Jahrestag der Republik, die vier Jahre älter ist als er, schreibt der Karl-May-Experte aus dem Burgenland einen Ausreiseantrag. Nach einer Schamfrist lässt ihn die DDR gehen. „Die waren auch froh, dass sie mich loswaren“, glaubt Gusky, der im Ruhrgebiet eine neue Heimat findet.

Karl May in der DDR: Der Schriftsteller wird rehabilitiert

Die Rehabilitation seines Lieblingsschriftstellers im Reich der Roten erlebt er so nur aus der Ferne mit. Erich Loest, der Leipziger Schriftsteller, schreibt mit „Swallow, mein wackerer Mustang“ ein Buch über Karl May, das in der DDR erscheint.

„Und ausgerechnet im ,Karl-Marx-Jahr‘ erzählt mir dann ein Freund aus Pößneck, der dort in der Druckerei arbeitete, dass sie den Druck von Karl Marx gestoppt haben, um Karl May zu drucken.“ Für Reinhard Gusky ein klares Zeichen, dass die SED die Lage beruhigen will. „Old Shatterhand und Winnetou als Ventil für die Bevölkerung“, sagt er, „wenn die schon nicht in die amerikanischen Prärien fahren darf, soll sie sich wenigstens hinträumen dürfen.“

Sie tut es mit Begeisterung. 250 000 Exemplare werden von den May-Klassikern gedruckt. „Wer keinen kannte, bekam nichts ab“, erklärt der May-Forscher, der sich auf verschlungenen Wegen alle Bände besorgt.

Drüben im Westen ist Gusky Mitglied der May-Gesellschaft geworden, 1969 gegründet und heute einer der größten literarischen Gesellschaften. Statt normaler Bücher jagt er jetzt nach Raritäten: May-Geschichten in längst vergessenen Zeitschriften, Postkarten des Autoren an Freunde und von ihm selbst unterschriebene Quittungen.

Aus dem Jungen mit dem Abenteuer im Ranzen, der zum Rebellen wird, weil ihm jemand seine Träume nehmen will, ist ein Forscher geworden, der Leben und Werk Karl Mays verstehen will.

„Schon vor 21 Jahren wollte ich deshalb den Internationalen Karl-May-Kongress nach Naumburg holen“, erzählt Gusky, der nach der Wende zurückkehrte in seine Heimatstadt. Klappte damals nicht, weil es für die Sammler, Hüter und Amateurexperten aus aller Welt keinen genügend großen Konferenzort gab in der Domstadt. Auch ein zweiter Anlauf versandete, doch ein dritter bringt Gusky nun ans Ziel seiner Wünsche: Die nächste Tagung der Karl-May-Gesellschaft findet vom kommenden Donnerstag bis zum nächsten Sonntag im Ringhotel Mutiger Ritter in Naumburg statt. (mz)

Auch einen Karl-May-Wein und den passenden Sekt gibt es zur Tagung.
Auch einen Karl-May-Wein und den passenden Sekt gibt es zur Tagung.
Andreas Stedtler